Theologe und Unternehmer Ulrich Hemel Managementfehler der katholischen Kirche

Der Theologe und Unternehmer Ulrich Hemel über die Schwierigkeiten der Amtskirche, die hausgemachten Probleme zu managen.

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Papst Benedikt XVI.: Die Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Hemel, es gibt Umfragen, nach denen nur noch jeder vierte Katholik seine Kirche für eine vertrauenswürdige Institution hält. Ein Autobauer würde einen solch gravierenden Verlust der Kundenbindung nicht überleben. Wie steht es um die Zukunft des Moralunternehmens Kirche?

Ulrich Hemel: Das hängt davon ab, welche Kirche sie meinen. Natürlich, es liegt nahe, eine große Organisation wie die katholische Kirche mit einem globalen Unternehmen zu vergleichen. Man hat dann einen Weltkonzern vor Augen, der seit 2000 Jahren besteht, der durch ein sagenhaft gutes Branding machtvoll wurde – und der jetzt einen immensen Markenschaden erleidet. Das Problem ist nur, dass die Analogie von Kirche und Unternehmen nicht durchzuhalten ist. Wir müssen unterscheiden zwischen einer Kirche als Gemeinschaft von Menschen, die sich an Jesus Christus und den Werten des Evangeliums orientiert – und einer Kirche als Organisation von berufstätigen Laien und Priestern, die sozusagen das Management übernommen haben.

Sprechen wir von der Amtskirche und ihren Managementfehlern. Die Bilanz des Vorstandsvorsitzenden, Papst Benedikt XVI., fällt verheerend aus. Die Duldung der Piusbruderschaft, der Holocaust-Leugner Williamson, die Missbrauchsfälle, die Lügen Bischof Mixas – was steckt dahinter?

Hier kommt vieles zusammen. Hervorzuheben ist eine Form von Neoklerikalismus, die mit Papst Benedikt XVI. verstärkt wurde. Die Amtskirche geriert sich, als sei sie die einzige, „wahre“ Kirche – und die Unterscheidung der Amtsträger von den Gläubigen wird so stark markiert, dass der Kern des Glaubens aus dem Blick zu geraten droht. Der Macht-, Repräsentations-, Kontroll- und Deutungsanspruch des kirchlichen Amtes ist so groß, dass sie der anderen Kirche, der Kirche der Glaubensgemeinschaft, zu der sie schließlich auch selbst gehört, die Luft zum Atmen nimmt.

Welche Wurzeln hat der Neoklerikalismus?

Das Zweite Vatikanische Konzil 1962 bis 1965 war eine fantastische Gelegenheit für die katholische Kirche, das Fenster zur Welt zu öffnen. Und die Kirche hat diese Gelegenheit auch genutzt. Unter dem schönen Stichwort aggiornamento hat sie nicht ihre Botschaft geändert, sondern die Präsentation ihrer Inhalte erneuert, heute würde man sagen: ihren Auftritt optimiert. Dann aber hat sich eine gewisse Ängstlichkeit durchgesetzt, die man durchaus in Benedikt repräsentiert sehen kann. Eine Ängstlichkeit gegenüber dem Reformschwung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das heißt: eine Ängstlichkeit vor innerkirchlichem Kontrollverlust.

Worin äußert sich diese Ängstlichkeit?

Im Rückgriff auf nur scheinbar bewährte Formen der Tradition. Vielleicht auch im Formulieren eines absoluten Anspruchs durch den Papst. Das Problem ist nur, dass Benedikt dabei keine neue Deutungshoheit über das gefunden hat, was Glauben ist, sondern dass er lediglich alte Formen und Formeln wiederholt. Das Ergebnis ist eine große Kluft zwischen vielen Amtsträgern in der Kirche – und Menschen, die gerne glauben möchten, sich aber in der eigenen Kirche heimatlos fühlen.

Benedikt würde argumentieren, dass die Kirche sich mit seinem Anspruch auf „Wahrheit“ nicht gegen ihre Zeitgenossenschaft wehrt, sondern aus guten Gründen auf einer positiven Unzeitgemäßheit beharrt.

Eine Abschottung gegen zeitgenössische Erscheinungen kann vernünftig sein, vor allem dann, wenn sie mit einem irrationalen Überschwang einhergehen – wie zum Beispiel zuletzt bei der Finanzkrise. Auf der anderen Seite hat die Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingestanden, dass „Wahrheit“ immer historisch eingekleidet ist – und dass es zumal in Demokratien schwerfällt, den Anspruch auf „Wahrheit“ allgemeingültig umzusetzen. Dennoch auf „Wahrheit“ zu pochen kann dazu führen, dass die Kirche an derselben Fähigkeit zur Diskussion verliert, die Benedikt eigentlich durch die Akzentuierung des eigenen Standpunkts gewinnen will. Führt man eine solche Verweigerung des Dialogs ins Extrem, droht die Kirche, sektiererische Züge anzunehmen.

Sie meinen, die Kirche verliert buchstäblich den Anschluss an die Welt?

Wenn Sie im Besitz der „Wahrheit“ sind, brauchen Sie die Welt nicht mehr. Wahrheit ist für Benedikt unteilbar. Und philosophisch und theologisch ist dies eine legitime Vorstellung. Ein Denken aber, dass die dialogische Seite der Wahrheit ignoriert, wird den Vertrauensverlust in die Kirche als Glaubensverlust der Moderne definieren. Er wird davon ausgehen, dass es für die Wahrhaftigkeit dieser Wahrheit nicht auf ihre Mehrheitsfähigkeit ankommt.

Wie kommt es dazu?

Es gibt in der Kirche heute zu viele Leute, die sich im Besitz der gefühlten und intellektuell hergeleiteten „Wahrheit“ wähnen, die den Wert des Dialogs als Erkenntnisgewinn zu gering schätzen – und die daher auf öffentlich gegen sie erhobene Vorwürfe mit totaler Verständnislosigkeit reagieren.

Gibt es Beispiele?

Nehmen Sie den Missbrauchsskandal, der einerseits ein Skandal der Gewalt ist – und andererseits ein Skandal der Sprachlosigkeit. Die meisten Menschen sind ja über den Umgang der Kirche mit dem Thema nicht weniger entsetzt als über den Missbrauch selbst. Verständlich! Die Kirche hat es nicht geschafft, sich für das traumatische Gefühl der Verwundung zu öffnen, an dem die Missbrauchsopfer leiden.

Dabei ist Mitleid doch eines ihrer Kerngeschäfte!

Was wir in der Missbrauchsdebatte erleben, ist eine erhabene Form der religiösen Sprachlosigkeit. Das Problem scheint mir zu sein, dass viele Kirchenmenschen zwar das Entsetzen über den Missbrauch verstehen – aber nicht das Entsetzen über ihre rhetorische Hilflosigkeit, über ihr mangelndes Gespür für die richtigen Gesten, ihr instinktives Fluchtverhalten.

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