Training Die Macht der Stimme

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Wie sage ich etwas: Quelle: dpa

Krankheit und Stimme. Seit einiger Zeit sind Sprachwissenschaftler sogar in der Lage, Erkrankungen des Nervensystems zu diagnostizieren, frühzeitig „und mittels Stimme“, sagt etwa Martin Ptok, Chefarzt der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie in Hannover.

Tatsächlich schlagen viele neurologische Krankheiten zuerst auf die Feinmuskulatur durch und kündigen sich so in der sensiblen Mechanik des Kehlkopfes an. Parkinson-Patienten zum Beispiel sprechen oft noch vor Ausbruch der Krankheit auffallend lasch und leise, selbst euphorische Bemerkungen klingen bei ihnen stets etwas gebremst. Im vergangenen Jahr konnte der Physiker und Sprechforscher Yoram Levanon am israelischen Weizmann Institute of Science anhand von Stimmanalysen in 87 Prozent der Fälle erste Anzeichen von Autismus an Kleinkindern registrieren. Bei Studien am Beer Yaakov Mental Health Centers wiederum konnten Forscher allein aufgrund von Stimmproben mit einer Genauigkeit von 80 Prozent Schizophrenie nachweisen.

Derlei Erkenntnisse könnten schon bald Patienten zugute kommen – dank neuer Software. Patienten müssten dann nur noch bei ihrem Hausarzt anrufen und einen Text auf Band sprechen, der anschließend von einem Computer analysiert wird. Die amerikanisch-israelische Firma Gold-Gate hat hierzu bereits Software entwickelt.

Die digitale Stimmerkennung basiert auf der Entdeckung der sogenannten Universal- oder Meta-Sprache. Jede Stimme besitzt kaum veränderbare emotionale Merkmale, bei denen es egal ist, welche Sprache die Menschen sprechen.

Jede Emotion aktiviert im Gehirn spezifische Neuronen

Man muss sich das so vorstellen: Jede Emotion aktiviert in unserem Gehirn spezifische Neuronen, die Impulse in einem spezifischen Rhythmus ausstrahlen und deren Frequenz sich auf die Stimme überträgt. Diese emotionalen Muster können menschliche Ohren zwar hören, Computer aber noch viel genauer interpretieren.

Was davon heute schon möglich ist, kann derzeit jeder im Internet ausprobieren: Auf der von Gold-Gate betriebenen Web-Seite areyoutalking2me.com können Interessierte ihre Stimme kostenlos analysieren lassen – etwa, um herauszufinden, wie sie auf andere wirken, warum ihre Präsentationen nicht ankommen oder warum sie bei der letzten Gehaltsverhandlung einfach nicht überzeugen konnten.

Die Testsprecher brauchen dazu ein gutes Mikrofon oder Headset, das sie an den Computer anschließen. Ist die Software zur Stimmerkennung auf den Rechner geladen, können sie Texte von 7 oder 26 Sekunden Länge online aufsprechen. Schon nach wenigen Sekunden sei das Programm in der Lage, „die aktuelle Gefühlslage zu erkennen sowie welche Motive der Sprecher verfolgt“, sagt der Gold-Gate-Geschäftsführer Erik Feingold. Das Programm wurde bereits an rund 40 000 Probanden getestet und lernt mit jedem weiteren Online-Test dazu. Derzeit liege die Trefferquote bei rund 85 Prozent, wirbt Gold-Gate.

„Schon in einem einzigen Wort kann ein ganzer Charakter durchklingen“, sagt Irina von Bentheim. Die Berlinerin ist Synchronsprecherin und vielen eher bekannt als die Stimme von Sarah Jessica Parker alias Carrie Bradshaw aus der Kultserie „Sex and the City“. Schon ein „Hallo“ kann viel ausdrücken: Freude, Angst, Hoffnung oder Verlegenheit, weil man eigentlich lieber „Tschüss“ sagen würde. „Ein einzelnes Hallo ist eines der schwersten Wörter beim Synchronisieren“, sagt Irina von Bentheim.

Als Profi ist sie in der Lage, auch andere Charaktere und deren Emotionen glaubwürdig zu imitieren – selbst wenn sie sich dabei ganz anders fühlt. Dabei sei sie froh, dass ihre Rollen meist viel mit dem Temperament, den Gefühlen und Problemen der echten Irina von Bentheim gemein hatten. Letztlich könne auch ein Profisprecher das, was er in eine Stimme hineingibt, „nur aus seinem Inneren herausholen“.

Die Stimme ist Spiegel der Persönlichkeit – gleichzeitig beeinflusst sie aber auch unseren Charakter. Eine junge, engagierte Kollegin wird womöglich deshalb immer wieder übersehen und überhört, weil ihre Stimme piepsig klingt und damit bei Kollegen Stereotype wie „unsicher“, oder „inkompetent“ auslöst. Weil sie das spürt, wird sie erst recht unsicher, wodurch sich die anderen in ihrer Einschätzung bestätigt sehen. Ein Kreislauf dreht sich nach unten.

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