Triathlet Sebastian Kienle Mit Alkohol und Schokolade den Ironman gewinnen

Der gesunde Menschenverstand ist für den amtierenden Ironman-Weltmeister von Hawaii der beste Ernährungsberater. Ein Gespräch über allmorgendliche Motivation, Beharrlichkeit und das Wachstum des Triathlonsports.

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Kienle, 30, gewann 2014 neben der Europameisterschaft in Frankfurt den Ironman in Hawaii über die Distanz von 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Kienle, Sie haben 2014 im Alter von 30 Jahren den Europa- und den Weltmeistertitel im wohl härtesten Ausdauersport der Welt gewonnen. Welche Ziele kann es danach noch geben?

Das ist bei mir recht ähnlich wie bei Unternehmen – es gibt große übergeordnete Ziele, die ich im Blick haben muss und die ich kleineren, kurzfristigen Gewinnen nicht opfern darf. Für 2015 zum Beispiel ist mir ein vermeintlich altes Ziel wichtig – den Weltmeistertitel auf der halben Ironman-Distanz, dem sogenannten 70.3 zurückzuholen, den ich 2012 und 2013 gewonnen hatte. Außerdem unterscheide ich im Alltag harte und weiche Ziele. Harte, messbare Ziele sind bestimmte Zeiten beim Schwimmen auf einer bestimmten Strecke und Ähnliches. Zu den weichen Zielen gehört hingegen das Gefühl, das Beste aus sich herausgeholt zu haben. Mein volles Potenzial auszureizen ist sicher eines meiner großen übergeordneten Ziele, das mich antreibt. Ich werde nur nie erfahren, ob ich das geschafft habe.

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Stört Sie das?

Ich liebe das, was ich mache. Ich habe ein sehr selbstbestimmtes Leben, wie kaum sonst ein Profisportler. Fußballer haben Verpflichtungen wegen des Spielplans. Sie haben feste Trainingszeiten. Ich bin frei, wo immer ich auch starte. Ich kann jeden Tag, wenn ich aufstehe, entscheiden: Will ich trainieren oder liegen bleiben? Das ist eine große Verantwortung sich selber gegenüber.

Wie entscheiden Sie sich am Morgen?

Am Anfang meiner Profikarriere im Jahr 2007 bin ich oft liegen geblieben. Und habe es auch genossen. Mit der Freiheit musste ich erst lernen umzugehen. Manchmal wünschte ich mir auch heute noch, ich hätte einen Bürojob und könnte da einfach hin, und abends wäre der Job zu Ende. Meine Arbeit dauert aber 24 Stunden, denn alles, was ich mache, beeinflusst meine Leistung. Was ich esse, was ich trinke, wie viel ich schlafe, meine gesamte Freizeitgestaltung – es hat immer etwas damit zu tun, dass ich fit bin für mein Training.

Und was machen Sie nun, wenn Sie lieber liegen bleiben wollen?

Ich frage mich, woran es liegt. Bin ich tatsächlich müde vom Training? Oder liegt es einfach daran, dass es draußen gerade regnet und ich eigentlich keine Lust habe.

Mit diesen Ratschlägen erreichen Sie Ihre Ziele einfacher.

Klingt nach Zufallsprinzip.

Ich trainier nicht nach einem knallharten festen Plan. Ich entscheide Tag für Tag in Absprache mit meinen Trainern, was ich mache. Es gibt einen groben Rahmen, der mir sagt, was in den nächsten Wochen passieren soll. Und ich orientiere mich natürlich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Formaufbau. Aber im Wesentlichen muss man lernen, darauf aufzupassen, was einem der Körper sagt, und das ist nicht immer einfach. Wenn ich nach vier, fünf Tagen intensiver Trainingsarbeit das Gefühl habe, lieber eine Pause zu machen, dann mache ich das. Dazu gehört mehr Mut, als sich halberkältet für eine weitere Einheit aufs Rad zu setzen.

Haben Sie Glück, sich einfach oft genug fürs Aufstehen entschieden zu haben?

Das sportliche Talent habe ich, das kann ich nicht beeinflussen, das wurde mir in die Wiege gelegt. Aber für meinen Sport sind auch Dinge wie Fleiß und Beharrlichkeit wichtig. Und auch meine Erziehung hat viel mit dem zu tun, was ich im Sport erreicht habe und erreichen kann.

Erfolg trifft einen nicht unvorbereitet

Kein Mentalcoach oder Guru, der Sie auf die Spur bringt?

Nein, inzwischen bin ich ja eher derjenige, der gefragt wird und davon erzählen soll, wie ich mich zu meinen Leistungen motiviere. Viele glauben, ich sei ein unglaublicher Motivationskünstler.

Sind Sie es?

Nein, eben nicht. Mich wundert es ja selbst. Ich musste mir vor meinem ersten Vortrag über Motivation erst einmal ein Buch zum Thema kaufen, um das, was bei mir gut funktioniert, in markige Worte zu fassen.

Sie gelten als hervorragender Radfahrer und eher mittelmäßiger Schwimmer. Trainieren Sie Schwächen oder Stärken.

Beides – anders geht es nicht in unserem Sport. Aber beim Schwimmen erziele ich schneller Fortschritte, und das motiviert. Beim Radfahren wäre ich hingegen sehr demotiviert, wenn die Verbesserungen trotz Training nicht von alleine kämen.

Die schönsten Marathonstrecken der Welt
Great Wall Marathon (China)Datum: 17. Mai 2014 Für 2014 ist der Marathon auf der chinesischen Mauer bereits ausverkauft. Für 2015 können sich Interessierte auf der Homepage der Veranstalter auf eine Warteliste setzen lassen, derzeit ist der 16. Mai angepeilt. Der Great Wall Marathon findet seit 1999 statt und zieht mittlerweile rund 2500 Läufern aus mehr als 50 Nationen an. Bei dem Event können neben dem vollen Marathon auch ein Halb-Marathon und ein 8,5 Kilometer langer Fun Run absolviert werden. Vor allem für ungeübte Läufer sind die kurzen Distanzen besser - aufgrund der extremen Auf- und Abstiege des Wegs dauert der Marathon rund 50 Prozent länger als ein üblicher Lauf.Quelle: Forbes Quelle: REUTERS
Marathon de la Baie du Mont Saint-MichelDatum: 25. Mai 2014 5000 Läufer können sich zwischen der Bretagne und der Normandie auspowern. Schon von der Startlinie in Cancale sehen die Teilnehmer das Ziel Mont Saint-Michel (im Bild). Der Weg des Marathon de la Baie du Mont Saint-Michel schlängelt sich an der französischen Nordwest-Küste entlang und ist relativ ebenmäßig, so dass man die schöne Aussicht auch genießen kann. Quelle: REUTERS
Big Five Marathon (Südafrika)Datum: 21. Juni 2014 Kein Wunder, dass der Big Five Marathon für dieses Jahr schon nahezu ausverkauft ist: Vereint er doch den Marathon mit einer Safari. Der Laufweg führt mitten durch die Savanne, mit Glück vorbei an den fünf bekanntesten afrikanischen Wildtieren: Elefanten, Nashörner, Büffel, Löwen und Leoparden. Quelle: dpa
Athens Classic MarathonDatum: 9. November 2014 Beim Athen-Marathon geht es zurück zu den Wurzeln. Der Lauf startet auf einem alten Schlachtfeld in der Stadt Marathon nahe der Ägäis. Weiter geht es vom Meer bergauf nach Athen, das Ziel ist am Panathinaiko-Stadion nahe der Akropolis. Dort fanden 1896 die ersten modernen Olympischen Spiele statt. Der Weg des Marathons wurde auch bei den Olympischen Sommerspielen 2004 gelaufen. Quelle: dpa
Napa Valley MarathonDatum: 1. März 2015 Der Lauf durch das Napa Valley, einem berühmten Weinanbaugebiet, ist für maximal 2300 Läufer offen. Die Route des Napa Valley Marathons führt entlang des malerischen Silverado Trail im Osten des Tals und schlängelt sich dann Richtung Süden nach Napa. Die Läufer werden mit einer Szenerie aus verträumten Weingärten, goldgelben Senfblüten und Obstbäumen belohnt. Da der Großteil der Strecke bergab führt, ist sie auch für Marathon-Neulinge geeignet. Quelle: AP
Schneider Electric Marathon de ParisDatum: 12. April 2015 Die Route führt an den Ufern der Seine entlang und an einigen der schönsten Sehenswürdigkeiten - inklusive Louvre und Eiffelturm. Der Marathon von Paris ist extrem begehrt: Obwohl zwischen 35.000 und 40.000 Läufer angenommen werden, ist schon jetzt die Registrierung für 2015 geschlossen. Eine letzte Chance gibt es aber vielleicht doch noch - falls Sie für ein Unternehmen laufen oder sich über einen Reiseveranstalter einbuchen. Quelle: AP
Boston MarathonDatum: 20. April 2015 Der Boston Marathon ist einer der ältesten Läufe der USA. Die Teilnehmer müssen vorab mit einer Laufzeit eines anderen Marathon bewerben. Traditionell findet der Marathon am Patriot Day statt. Durch den Bombenanschlag im Jahr 2013, bei dem drei Menschen starben und 264 verletzt wurden, erlangte er weltweit traurige Berühmtheit. Quelle: AP

Sie haben nach Ihrem Vordiplom das Physik-Studium abgebrochen und den Schritt in den Profisport gewagt. Eine mutige Entscheidung?

Ich habe davor keine Berechnung darüber angestellt, zu wie viel Prozent dies und jenes klappen muss und wird. Man muss bei so einer Entscheidung auch bereit sein, seinem Herz zu folgen und nicht nur seinem Kopf. Sonst hätte ich mich nie so entschieden. Das Schöne an dem Sport ist, dass der Erfolg nicht über Nacht kommt.

Das klingt erst mal nicht so gut.

Nein, es kann auch das Harte daran sein. Aber der Erfolg trifft einen, wenn es klappt, nicht unvorbereitet. Zudem sind bestimmte Risiken wie etwa Verletzungen im Triathlon selten. Ich reiße mir nicht eben mal im Training wegen eines Trainingsfouls die Kreuzbänder. Nach dem Vordiplom haben auch meine Eltern grünes Licht gegeben. Außerdem habe ich das Studium auch nicht von heute auf morgen abgebrochen, sondern erst mal zwei Urlaubssemester gemacht. Dann lief es aber ganz gut.

Als Sieger des Ironman Hawaii können Sie den Erfolg vermarkten. Sie bezifferten in einem Interview Ihren Marktwert auf etwa eine Million Euro. Wäre das Unternehmen Kienle auch so profitabel mit Platz zwei oder drei in Hawaii?

Der Unterschied zwischen dem ersten und dem dritten Platz ist enorm. 20 Menschen haben das gleiche Talent, aber am entscheidenden Tag einfach eine unterschiedliche Form. 19 gewinnen das Rennen nicht. Die verdienen aber nicht nur zehn Prozent weniger, sondern nur noch einen Bruchteil dessen, was der Sieger davonträgt. Das Preisgeld ist allerdings für einen Profi der kleinste Teil, die Werbepartnerschaften danach machen den Unterschied.

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Stand der Sieg in Hawaii in Ihrem Businessplan?

Das war das Ziel. Trotzdem: Es hat mich gewundert, dass es schon so früh geklappt hat. In der Woche vor dem Rennen habe ich mit Thomas Hellriegel, der 1997 den Ironman als erster Deutscher gewann, darüber gesprochen, was ich 2015 besser machen könnte, damit es dann klappt. Denn zu dem Zeitpunkt damals habe ich mit einem Erfolg nicht gerechnet. Man hat nicht so viele Versuche. Das nimmt nicht gerade den Druck auf diejenigen, die wissen, dass sie in Hawaii siegen können. Viel mehr als drei bis fünf Versuche hat man sicher nicht.

Wie groß ist das Unternehmen Kienle?

Inzwischen größer, als man denkt. Ich mache noch sehr viel selber, aber es geht nicht ohne Management. Ich arbeite mit zwei Trainern, habe meist einen Physiotherapeuten dabei und hoffe auf den entsprechenden Return on Investment.

Mehr als einmal die Woche Schokolade

Wurmt es Sie, dass der Sport, der 1978 in Hawaii mit 15 Teilnehmern aus der Taufe gehoben wurde, um herauszufinden, ob Schwimmer, Radler oder Läufer fitter sind, bei Olympia in einer viel kürzeren Version ausgetragen wird?

Nein, das ist gerechtfertigt. Auch für den olympischen Sport ist es wichtig, dass er medial präsentabel ist. Das wäre bei einer Langdistanz, für die die besten Athleten gut acht Stunden brauchen, sehr schwierig.

Kienle bei seinem Ironman-Sieg auf Hawaii im Oktober 2014. Quelle: dpa

Leidet die Sportart also zum Großteil an ihrer ureigenen Faszination, den extremen Distanzen?

Ja, das ist so. Wir könnten die Langdistanz reizvoller machen, wenn die Streckenführung bei den Rennen stark verkürzt würde und die Radfahrer in mehreren Runden öfter am Publikum vorbeikämen. Es wird aber sicher eine parallele Entwicklung geben wie in der Leichtathletik: Da gibt es den 100-Meter-Sprint und den Marathon. Die beiden Extreme wecken die Aufmerksamkeit, und in der Mitte sinkt das Zuschauerinteresse. Das wird der Triathlon vermutlich ähnlich erleben. Die kurze Distanz wird mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die lange Distanz zugleich nicht an Faszination einbüßen.

Die Zahl der Mitglieder der Deutschen Triathlon Union steigt kontinuierlich, ebenso das Angebot an Wettbewerben in allen Regionen Deutschlands. Dort werden mit Schnupper- oder Sprint-Triathlon immer kürzere Distanzen angeboten, die sich an jedermann richten. Ist Triathlon schon ein Volkssport?

Triathlon kombiniert die drei beliebtesten Ausdauersportarten in Deutschland. Schon dadurch hat der Sport das Potenzial, ein Breitensport zu werden. Volkssport wäre übertrieben, denn da gibt es im Grunde nur zwei Kandidaten: Fußball und Laufen. Alle anderen, auch Radfahren oder Schwimmen, sind keine Volkssportarten.

Aber der Sport boomt.

Sicher, er wächst. Aber auch Boomsportart würde ich es nicht nennen, das wäre auch gar nicht erstrebenswert. Wir wachsen konstant. Das aber schon seit sehr langer Zeit. Ein sehr gesundes Wachstum. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Triathlon ist neben Marathon eine der wenigen Sportarten, wo Hobbysportler im gleichen Rennen starten wie Profis. Für die Amateure ist das ein Anreiz. Für Profis auch?

Die Atmosphäre bei den Rennen ist bemerkenswert. Es sind sehr angenehme Kontakte, und das ist sicher auch der Grund, warum wir ohne Securitypersonal auskommen. Ich brauche keine Bodyguards. Wenn ich vorm Wettkampf meine Vorbereitungen treffe, sehen die Athleten schon, dass man mich nicht bestürmen sollte mit Wünschen nach Autogrammen oder Selfies. Auch die Profis wissen um die Verantwortung gegenüber den Amateuren: Man ist auf viel direktere Art Vorbild.

Müssen Sie auf Dinge verzichten, die sonst im Alltag normal sind? Trinken Sie Alkohol?

Ja. Durchaus regelmäßig.

Einmal im Jahr?

Das wäre auch eine Regel. Es geht mir um die innere Balance. Alkohol mindert die Leistung, gewiss, aber wenn ich ein Glas Wein in der Woche trinke, dann ist das kein Problem. Im Gegenteil. Man sollte sich nicht zu arg kasteien, sonst wird man zu unentspannt, und das muss man vermeiden.

Das heißt, Sie halten auch keine spezielle Diät?

Ich beherzige, was der gesunde Menschenverstand sagt. Ich esse normal. Natürlich möglichst viel frisches Obst und Gemüse. Wenn es geht, wenig Zucker, auch wenn sicher mehr als einmal die Woche Schokolade dabei ist. Ich koche auch gerne selber. Und wenn ich einen Ratschlag geben sollte, dann wäre es folgender: Sobald die Zubereitung länger als 30 Minuten dauert, kann ich schon gar nicht mehr so viel falsch machen. Dann ist genau das drin, was ich drin haben wollte.

Und im Rennen?

Da braucht es die spezielle Wettkampfnahrung, die vorher in harten Einheiten auf Verträglichkeit getestet wird.

Aber im Training tut es auch mal eine Stulle?

Klar.

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