Als Kurt Beck im Jahr 1994 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wurde, umarmte er seinen Vorgänger Rudolf Scharping herzlich – und Wolf Jobst Siedler sah sich bestätigt. Der Publizist, ein melancholischer Chronist gesellschaftlicher Untergänge, nahm endgültig Abschied von der Bürgerlichkeit. Denn der Bürger, wie Siedler ihn sich vorstellte, bezeugte seine innere Haltung auch durch diszipliniertes Auftreten: Indem er seinem Gegenüber die Hand gab, wahrte er die Würde der Distanz.
Aus, Schluss, vorbei.
Noli me tangere, rühr mich nicht an – von diesem Abstandsgebot wollen Menschen heute weniger wissen, erst recht auf der öffentlichen Bühne. Als Ideal gilt der Politiker zum Anfassen, der die Nähe zum Wähler ebenso sucht wie zu seinesgleichen. Auf Kundgebungen, Parteitagen oder Gipfeltreffen zählt die physische Präsenz: Es wird nach allen Regeln der Begrüßungskunst geherzt, getätschelt und gedrückt.
Bruderkuss und Umarmungen
Das gilt nicht nur bei den Genossen, die Solidarität traditionell durch Bruderkuss und Unterhaken bekräftigen. Wer Sympathie demonstrieren will, umarmt sein Gegenüber, gibt ihm einen Klaps auf den Rücken, lässt die Hand auf seiner Schulter ruhen. Das signalisiert Verbundenheit: Wir halten zusammen, verstehen uns, vertrauen einander. Das war schon immer die Botschaft, wenn Politiker sich öffentlich umarmten. Doch die Gesten haben sich verändert.
Was Ihre Gesten über Sie verraten
signalisiert laut den Bewerbungsexperten von Hesse/Schrader Konzentration oder Nachdenken
bedeutet Ungeduld oder Nervosität, vielleicht sogar Provokation
zeigen die eigene Überlegenheit
Gesagtes wird zurückgenommen, weil Unsicherheit in der Sache besteht
demonstriert Selbstzufriedenheit, wirkt aber nicht immer sympathisch
zeigt bei Zurücklehnen grenzenlose Souveränität
lässt auf Desinteresse, Unkonzentriertheit oder Nervosität schließen
steht für Nachdenklichkeit, Erschöpfung oder Langeweile
zeigt Ratlosigkeit oder Unsicherheit
steht für Nachdenklichkeit und Zufriedenheit
zeigen bei Frauen: Unsicherheit oder Angst, bei Männern: Ablehnung und Verschlossenheit
signalisieren Überheblichkeit, gleichzeitig Abwehr gegen Einwände
Nachdem sie am 22. Januar 1963 den Élysée-Vertrag unterzeichnet hatten, beugten sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer einander entgegen. Die Fotos zeugen von zeremonieller Feierlichkeit. Als sich Jacques Chirac und Gerhard Schröder bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des D-Day am 6. Juni 2004 umhalsten, dominierte handgreifliche Herzlichkeit.
Was für ein Unterschied: De Gaulle und Adenauer traten als Repräsentanten ihrer Länder auf, mit dem noch in der Zuwendung distanzierenden Pathos von Staatsmännern. Chirac und Schröder waren eher Privatpersonen in Ausübung öffentlicher Rollen, mit der Ungezwungenheit guter Freunde. Inzwischen ist klar: Ihre zupackende, kumpelhafte Art hat sich durchgesetzt.
Kuscheln für die Kameras
Wenn Staatschefs zusammenkommen, wie jüngst auf dem bayrischen Schloss Elmau, gibt es ein großes Hallo mit Körperkontakten für die Kameras: Obama und Cameron, Cameron und Hollande, Hollande und Merkel drücken einander mehr oder wenig heftig ans Herz und bilden eine Gruß- und Kussgemeinschaft, in der es zugeht wie in einer Familie. Die persönliche Distanz schrumpft, der Respektabstand, der im öffentlichen Leben Schutz vor Zudringlichkeiten bietet, wird demonstrativ außer Kraft gesetzt: Gruppenumarmung im Zeichen der Brüderlichkeit.
Mit der intimen Freundschaftsgeste bestätigen die Politiker nur, was in der Gesellschaft Standard geworden ist: Gleichgesinnte umarmen sich – diese Geste, auch Akkolade genannt, kennt man aus den Mittelmeerländern. Doch hinzu kommt eine spezifisch emotionale Färbung: Man kommt einander näher als beim Händedruck, lässt Steifheit fahren, betont die Innigkeit, die Beseeltheit der Beziehung, überbrückt nicht nur symbolisch den trennenden Abstand, sondern öffnet sich dem anderen als ganze Person.
Freundschaftsgesten unter Politikern
Darin steckt ein menschliches Urbedürfnis. Ohne körperliche Nähe-Erfahrung würden wir seelisch zugrunde gehen. Psychologen sprechen von Berührungshunger: Menschen, die sonst durchaus Abstand halten, suchen den Körperkontakt, die Berührung und das Berührtwerden durch Freunde. Fast könnte man meinen, die erkältende Distanz, die den Menschen in modernen, westlichen Gesellschaften vom Mitmenschen trennt, solle im Akt der Umarmung, Wange an Wange, Körper an Körper, für einen Moment aufgehoben werden.
Umarmung statt Handschlag
Der Essayist Karl Markus Michel beobachtete schon Ende der Neunzigerjahre die Wiederkehr der Nah-Sinne und das veränderte Körpergefühl. Er sah darin eine Umkehrung des Prozesses der Zivilisation, wie ihn der Soziologe Norbert Elias in seinem Hauptwerk von 1936 entworfen hatte: Mit dem Vorrücken der Peinlichkeitsschwelle in Europa seit dem 16. Jahrhundert, so Elias’ These, sei die Empfindung von Scham gegenüber der eigenen Leiblichkeit und Ekel gegenüber der fremden einhergegangen.
Die Folge: Menschen gingen zueinander auf Distanz und unterzogen ihre Gefühle einer strengen Affektkontrolle. Verstöße gegen das Distanzgebot wurden als Bedrohung erlebt und mit Angst belegt.
Ende des 20. Jahrhunderts hingegen, so Michel, habe die physische Nähe jeden Schrecken verloren. Im Gegenteil, die Menschen verlangten nach körperlicher Gemeinschaft mit anderen. Sie wollen sich fühlen und „mitgetragen werden in einem Wärmestrom“ – und umarmen sich deshalb lieber, als einander die Hand zu geben.
Auch deshalb, weil sich die Gefühle im Lauf der Geschichte verändern. Der Händedruck war ein Import aus Großbritannien, in Mitteleuropa setzte er sich erst im 19. Jahrhundert durch und ersetzte damit die stumme Verbeugung. Zunächst galt er als eher intime, emotionsgeladene Geste der Annäherung. Er hatte nichts Steifes, im Gegenteil: Er war ein Zeichen der Zuneigung, mit dem man wählerisch umging, zumal zwischen den Geschlechtern.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avancierte das Handgeben zum alltäglichen Gruß, mit dem man sich quer durch alle Klassen der wechselseitigen Wertschätzung versicherte. In bürgerlichen Familien umarmten die älteren Kinder ihre Eltern nicht. Sie gaben ihnen die Hand, wie anderen Erwachsenen auch.
So benehmen Sie sich in Deutschland richtig
Akademische Grade von Doktor an aufwärts werden bei der Anrede dem Namen vorangestellt („Herr Dr. Müller“), Diplome, Master- und Bachelor-Titel bleiben unerwähnt. Doppelnamen (Müller-Lüdenscheidt) immer vollständig nennen, Ehrentitel und öffentliche Mandate ebenfalls (Herr Bürgermeister, Frau Ministerin), aber nicht auf die Ehepartner übertragen! Komplizierter sind Adelstitel. „Graf“, „Baron“ oder „von“ sind Namensbestandteile, werden also genannt. Dafür fallen „Herr“ oder „Frau“ sowie „von“ und „zu“ weg. Richtig bei Baron zu Lippe: „Guten Tag, Baron Lippe!“ Hat der Baron auch noch promoviert: „Guten Tag, Dr. Baron Lippe!“
Privat grüßt immer, wer dazukommt oder den anderen zuerst sieht. Geschäftlich zählt allein die Hierarchie. Bei Meetings begrüßen sich aber immer jene zuerst, die sich schon kennen. Danach stellt der Rangniedrigere seine Begleitung vor, ebenso der Ranghöhere danach. Jetzt sind alle miteinander bekannt und können sich die Hand geben. Ein kurzer, sanfter Händedruck reicht – mit Blickkontakt.
Das „Du“ darf nur der Ranghöhere anbieten, nicht zwingend der Ältere. Wird es vom Chef etwa auf einer Feier und unter Alkoholeinfluss angeboten, sollte man nur dabei bleiben, wenn er sich am nächsten Morgen daran erinnern mag.
Schmeicheleien hört jeder gerne, es sei denn, sie rutschen ins Anzügliche ab. Vorsicht: Abmahnungsgefahr! Als Kollege können Sie der Kollegin (die sie gut kennen!) noch sagen: „Sie sehen heute bezaubernd aus.“ Als Chef besser nicht. Je detaillierter („Dieses Dekolleté, Ihre Figur... Wahnsinn!“), desto justiziabler. Das gilt auch für betriebliche Feiern, Ein- und Ausstände. Wer schmeicheln will, lobt besser – und unverfänglicher! – Leistungen, Charakterstärken, Teamspiel.
Die Dame zuerst, gilt nur privat. Im Geschäftsleben heißt es: Untergebener hofiert Chef. „Wer hält wem die Tür auf?“ oder „Wer hilft wem in den Mantel?“ bei diesen Fragen gilt heute: Er kann helfen, sie aber auch. Falsch wäre nur, solche Gesten barsch abzulehnen.
Ihr Geschäftspartner bietet an, Sie im Auto mitzunehmen: Bloß nicht auf die Hinterbank setzen! Der Typ ist kein Chauffeur. Werden Sie im Taxi chauffiert, sitzt der Ehrengast hinten rechts – optimal zum Ein- und Aussteigen. Wer zahlt, sitzt hinter dem Fahrer oder daneben.
Auch im Büro gibt es Schutz- und Distanzzonen. Beim Plausch auf dem Flur oder im Meeting empfinden Menschen eine Distanz von 60 Zentimetern als Intimzone – sie bleibt guten Freunden vorbehalten. Ein Meter ist nahe genug für Geschäftsdialoge, ein bis zwei Meter in Gruppen. Wer Vertrauen herstellen will, erreicht das besser, indem er Körperhaltung, Sprechweise und Wortwahl angleicht.
Höfliche Menschen sind pünktlich. Das gilt auch für Chefs, die ihren Rang gerne dokumentieren, indem alle auf sie warten müssen. Stillos!
Beim lockeren Parlieren geht‘s darum, sich gegenseitig kennenzulernen, Gemeinsamkeiten zu betonen, eine gute Atmosphäre zu schaffen. Als Einstieg eignen sich Bemerkungen über das Ambiente, in dem man sich gerade trifft – oder über das Essen, den Wein, das Wetter. Alle Bemerkungen sollten positiv sein, Kritik ist ebenso tabu wie politische, religiöse oder weltanschauliche Diskussionen.
Wer anruft, grüßt und stellt sich vor; wer angerufen wird, nennt mindestens seinen Namen, nie aber in der dritten Person („Hier ist Herr Müller“). Peinlich sind zu laute Klingeltöne. Diskreter ist der Vibrationsalarm – erst recht in Sitzungen. Wer an öffentlichen Orten telefoniert, nennt keine Namen! Man weiß nie, wer mithört.
Im Meeting übergibt der Besucher als Erster seine Karte – in Gruppen erhält sie zuerst der Ranghöchste. Ist die Hierarchie nicht erkennbar, werden die Karten reihum verteilt, beginnend mit der nächsten Person. Karten nie ungelesen wegstecken!
Wenn der Aperitif vor dem Essen gereicht wird, sollte das Glas nicht zum Tisch mitgenommen werden; das erledigen Kellner. Eingedeckte Gläser werden von rechts nach links, Besteck von außen nach innen verwendet. Gläser werden nur bis zum ersten Drittel eingeschenkt und nur am Stiel angefasst, falls sie einen haben.
Es wird nicht getrunken, bevor der Gastgeber dazu aufgefordert hat. „Guten Appetit“ wird kaum noch gewünscht. Kommt das vom Gastgeber und Koch, riecht es nach Eigenlob; wünscht es der Gast, könnte man meinen, es sei nötig. Wünschen Sie lieber einen netten Abend und gute Gespräche. Und angestoßen wird nur mit weinhaltigen Getränken, zunicken und zuprosten ist aber dezenter. Cheers!
Einmal aufgenommenes Besteck berührt die Tischdecke nicht wieder, bei Pausen wird es auf dem Teller geparkt.
Erlaubt ist, jederzeit zum Büfett zu gehen, um einen weiteren Gang zu holen. Tabu ist hingegen, den Teller bis zum Anschlag vollzupacken. Speisen nie am Büfett verzehren oder probieren! Und nie mit gebrauchtem Geschirr zurück ans Büfett (Ausnahme: privat).
Das Brot vor dem Essen ist keine Vorspeise, sondern eine Beilage zur Vorspeise. Es wird nur gebrochen, nie wie eine Stulle mit Butter bestrichen und gegessen! Richtig: Brot in Happen brechen, jedes Stück einzeln bestreichen und essen.
Heiße Getränke, die in Tassen nach dem Essen gereicht werden, dürfen erst serviert werden, wenn alle Besteckteile (Messer, Gabel, Teller) abgeräumt sind.
Artischocken, Austern, Canapés, Garnelen, Muscheln, Spareribs, Wachteln dürfen mit den Fingern gegessen werden. Ebenso Geflügel – aber nur, wenn es nicht anders geht.
Sie stoßen ein Weinglas um und bekleckern den Nachbarn: alles kein Desaster! Bitten Sie den Kellner diskret heran. Er beseitigt die Spuren. Den Nachbarn bitten Sie um Entschuldigung und bieten an, für etwaige Reinigungskosten aufzukommen. Sind nur Sie betroffen, ziehen Sie sich diskret auf die Toilette zurück.
Gastgeber mit Stil fragen: Was halten Sie von einem Menü? Wollen wir eine Vorspeise nehmen? Möchten Sie Wein dazu trinken? Anschließend passt er sich den Wünschen der Gäste an und lässt ihnen bei der Bestellung den Vortritt. Er bezahlt auch nicht am Tisch, sondern am Empfang.
Wird ausgebreitet und einmal gefaltet auf den Schoß gelegt. Fällt sie beim Essen runter, bitten Sie das Personal um eine neue. Nicht aufheben! Wer aufstehen muss, legt die Serviette locker links neben den Teller (amerikanisch: auf den Stuhl). Der Gastgeber deutet mit derselben Geste an, dass das Essen beendet ist.
Niemals bei Tisch! Make-up auffrischen, Lippenstift nachziehen, Augen nachtuschen – dazu zieht sich die Dame stets zurück.
Einzig richtig: nicht pusten, nicht mit dem Brot tunken, den Löffel nur mit der Spitze zum Mund führen. Cremesuppen und Suppen mit Einlagen werden nur ausgelöffelt, klare Brühen dürfen auch ausgetrunken werden.
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider; Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen. Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe. Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe. Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr. Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh. Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kashmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Erst die Sitznachbarn begrüßen, dann setzen. Adäquat nach der Landung. Dem Passagier in der Mitte stehen die Lehnen links und rechts zu; Gang- und Fensterplatz bekommen je eine Armlehne. Falls Sie aufstehen, bitte nicht am Vordersitz festhalten – nervt den Vordermann. Gleiches gilt für ständiges Hoch- und Runterklappen der Rückenlehne.
Bei privaten Einladungen obligat. Ein kleines Präsent, etwa eine Flasche Wein und ein Blumenstrauß (nie verpackt überreichen!), ist Pflicht.
Wer vom Tod eines Bekannten, Nachbarn, Geschäftspartners oder Kunden erfährt, sollte umgehend schriftlich kondolieren. Karten, Umschläge oder Briefpapier mit schwarzem Rand sind Hinterbliebenen vorbehalten! Für die „aufrichtige Anteilnahme“ ist Geschäftspapier ebenso tabu wie ein Fax oder die Schlussformel „Mit freundlichen Grüßen“ – besser: „Mein herzliches Beileid“. Im Business ideal: weißes Papier mit Hand beschrieben und persönlichen Zeilen zum Verstorbenen. Scheuen Sie sich nicht, fremden
Angehörigen das Beileid auszudrücken! Die meisten Hinterbliebenen freuen sich, wenn sie sehen, wie beliebt der Verstorbene war.
Wer unfreiwillig Zeuge eines Beziehungsstreits wird, zieht sich umgehend, diskret und mit einem Vorwand („Ich muss mal telefonieren“) zurück. Zurückkehren können Sie, wenn sich die Wogen hörbar geglättet haben. Dauert der Zwist länger, entschuldigen Sie sich, dass Sie jetzt besser gehen werden. Nie mehr Text als nötig: Einer der Streithähne könnte das nutzen, um weiteres Öl ins Feuer zu gießen („Siehst du, jetzt hast du unsere Gäste verprellt!“).
Sie stehen auf einer Party mit einem Langweiler zusammen. Wie stehlen Sie sich aus der Affäre? Entweder täuschen Sie einen Toilettengang vor und kommen nicht wieder. Das Manöver wird jedoch oft durchschaut. Oder Sie sagen, was Sie wirklich wollen: „Ich sehe gerade einen Kollegen/Kunden, mit dem ich gerne sprechen möchte. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Noch besser: Sie verkuppeln Ihr Gegenüber vorher mit einem Gesprächspartner, der zu ihm passt.
Der Hautgout des Formellen haftet dem Händedruck erst seit den Sechzigerjahren an. Damals geriet mit den bürgerlichen Umgangsformen die Autorität der Manieren en gros unter Beschuss. Die Soziologen bezeichnen die heute noch spürbaren Folgen als Prozess der Informalisierung. Oder anders formuliert: als Wandel der Umgangsformen. Verbindliche Verhaltensregeln – wie man Menschen anspricht oder begrüßt beispielsweise – sind seitdem vielen Möglichkeiten gewichen. Vom leichten Kopfnicken über das Winken aus Distanz bis zur Umarmung mit Wangenküssen.
Tyrannei der Intimität
Man kann das als Bequemlichkeitsfortschritt verbuchen: Die Menschen machen keine großen Umstände. Man gibt sich gern zwanglos, legt die Krawatte ab und duzt sich.
Der amerikanische Kultursoziologe Richard Sennett hat diese Entwicklung in seinem Buch über „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ beschrieben. Gesellschaft und Politik würden zunehmend als psychische Phänomene wahrgenommen, die Wärme, Vertrauen und den offenen, authentischen Ausdruck von Gefühlen ermöglichen. In einer Zeit, so Sennett, in der persönliche Beziehungen darüber bestimmen, was glaubhaft sein soll, „scheinen Konventionen, Kunstgriffe und Regeln nur im Wege zu sein, sie behindern den intimen Ausdruck“.
Wärme aus Imagegründen
Die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre verwischt damit weiter. Der Politiker soll auch als Privatperson kenntlich und damit glaubwürdig werden. So wird er zum Repräsentanten seiner selbst – und produziert spontan wirkende Gesten der Wärme und Zwischenmenschlichkeit. Wenn das bürgerliche Zeitalter um Würde und distanzierende Selbstbeherrschung bemüht war, dann ist in nachbürgerlichen Zeiten Ausdrucksoffenheit das Ziel: Man gibt sich unverstellt und zeigt möglichst direkt, wer man wirklich ist – oder vielleicht liebend gerne wäre.
Sennetts israelische Kollegin Eva Illouz spricht vom neuen „therapeutisch-emotionalen Stil“, der die Trennung zwischen emotionsfreier öffentlicher Sphäre und einer mit Emotionen gesättigten Privatsphäre zersetzt habe. Niemals zuvor sei das „private Selbst derart öffentlich inszeniert worden“. Auch Männer seien nun eingeladen, ihre Emotionen auszudrücken.
Da bietet sich die Berührung schon aufgrund ihrer wohltuenden therapeutischen Wirkung an. Mindestens vier Umarmungen täglich empfehlen Gesundheitsratgeber. Besser seien acht, zwecks Ausschüttung des Botenstoffs Oxytocin, der als Bindungshormon bekannt ist. Berührungen, da sind sich Forscher einig, stärken das Immunsystem und Beziehungen. Mehr Umarmungen, weniger Stress.
Drei Viertel der unter 30-Jährigen in Deutschland, so weiß eine Statistik, begrüßen einander mit Wangenküssen. Umarmungen sind bei Geburtstagspartys, Abschlussfeiern oder Wiederbegegnungen inzwischen die Regel. Die liebevolle, manchmal stürmische Umarmung ist unter Freundinnen längst üblich. Ihr männliches Pendant ist die kurze, klatschende Umarmung. Sie hat nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft erreicht: In traditionell testosterongesteuerten Branchen wie der Automobil- oder Medienindustrie machen sich Top-Manager bei öffentlichen Auftritten mit kernigen Umarmungen gegenseitig Mut.
Globale Trend zur Umarmung
Auf dem Fußballplatz, wo sich wildfremde Leute regelmäßig um den Hals fallen, war die Umarmung schon immer zu Hause. Je enger die Umarmung, desto inniger scheint die Beziehung. Sie ist unter Freunden und guten Kollegen selbstverständlich geworden, fast wie eine Grußfloskel, die man automatisch erwidert.
Gewiss, es gibt Unterschiede: In anfassfreudigen Ländern wie Brasilien wird ausgiebiger umarmt als in England. Auch in Mitteleuropa und den USA gilt unter Gesprächspartnern mindestens der Abstand einer Armeslänge: US-Präsident Obama tippte beim Gespräch im Oval Office vor einem Jahr bei ausgestrecktem Arm mit den Fingerspitzen auf den Unterarm der Kanzlerin. Doch der globale Trend geht zur Umarmung als elementarer Geste des Wohlwollens, der Freundschaft, der Ermutigung, auch des Trosts.
Als der deutsche Innenminister Thomas de Maizière seinem Amtskollegen Bernard Cazeneuve nach dem Anschlag auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris kondolierte, neigte er sich ihm zu und umarmte ihn fest. Eine im wahrsten Sinne des Wortes berührende Geste, auch wenn sie womöglich durch die Kameras zustande kam.
Balanceakte der Vertrautheit
Authentizität will im Zeitalter der Massenmedien eben inszeniert werden. „Wir alle spielen Theater“, sagt der Soziologe Erving Goffman. Dabei zeigt sich zuweilen, dass die Sprache des Körpers der Wahrheit tatsächlich näher ist als das Wort. Etwa dann, wenn die Umarmung zu einem Remis zwischen Hinwendung und Abwehr gerät, zu einem Balanceakt, wie ihn der „Spiegel“ bei Angela Merkel beobachtet hat: Sie erwidert die Umarmung ihres Gegenübers und reguliert zugleich mit der freien Hand den Abstand. Sozialpsychologen sprechen von korrektivem Austausch.
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat Merkel zuletzt nur die Hand gereicht, garniert mit einem verdrießlichen Gesichtsausdruck. Auch Alexis Tsipras hat ihr bisher keinen Grund für „gesteigerte Zugänglichkeit“ (Goffman) gegeben. Von Matteo Renzi lässt der Grieche sich in den Schwitzkasten nehmen, zu Angela Merkel geht er Arme drückend auf Distanz.
Ein heikler Rest bleibt: Überraschungsbegrüßungen können missglücken, zum Beispiel wenn ein privater Spaß auf öffentlicher Bühne daneben geht. So wie auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg im Jahr 2006.
Damals brachte der damalige US-Präsident George W. Bush die Bundeskanzlerin mit einem beherzten Griff in den Nacken in Verlegenheit. Amerikanische Medien wollten aus der zärtlichen Attacke einen Grapsch-Skandal machen. Dabei war sie nur eine kleine, harmlose Peinlichkeit, wie sie entstehen kann, wenn nicht mehr ganz klar ist, was sich gehört.
Informalisierung und Intimisierung bedeuten nicht, dass man sich alles erlauben kann. Im Gegenteil: Sie erfordern viel Taktgefühl und soziales Gespür. Gerade weil die Schamschwellen im Umgang miteinander sinken, kommt es darauf an, in wechselnden Situationen und Milieus das jeweils richtige Maß zwischen Nähe und Distanz zu finden. Es sei denn, man will die Regeln durchbrechen.
Als der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg beim Neujahrsempfang 2006 die oberste Richterin des Staates New York mit elitären europäischen Wangenküssen grüßte, verstieß er bewusst gegen das herrschende Reglement und erntete empörte Pressekommentare. Zehn Jahre später regt sich darüber niemand mehr auf.