Anfang Juni, ein sonniger Morgen im britischen 4000-Einwohner-Städtchen Bakewell bei Manchester. Ein Wimpel mit dem Union Jack flattert über die Water Lane. Die schmale Gasse ist gesäumt von Steinhäusern aus dem 19. Jahrhundert. Ein herrlich ruhiges Dorfidyll – wären da nicht Hunderte von Rennradfahrern in, nun ja, auffallender Montur.
Die einen tragen Wolljerseys, andere bunte Mützen mit Sonnenblenden, alle sitzen leicht nervös auf ihren Rennrädern. Doch deren Rahmen sind nicht aus Aluminium oder Carbon wie die modernen Rennmaschinen der Tour de France. Vielmehr stammen sie aus einer früheren Epoche.
Wer damals den Gang wechseln wollte, musste sich tief herunterbeugen und einen Hebel am Rahmen betätigen. Materialfahrzeuge, die Rennradfahrer heutzutage auf Etappen begleiten, gab es auch noch nicht. Daher haben sich einige Fahrer in Bakewell zwei Ersatzschläuche über die Schultern gehängt. Kann ja sein, dass doch etwas schiefgeht.
Auf Geschwindigkeit alleine kommt es hier niemandem an, aber selbst durchs Ziel fahren will dann doch jeder. Auch wenn es diesmal länger dauert. Denn das Material ist nicht unbedingt für Rekorde geeignet.
Zwar wirken viele Räder dank ihrer dünnen Rohre grazil und leicht. In Wahrheit sind sie aus Stahl und wiegen an die 15 Kilogramm. Umso wichtiger ist es, auf der Fahrt nicht hinzufallen. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches modernes Rennrad wiegt nur etwa sechs Kilo.
Aus der Zeit gefallen
Statt eines lauten Startschusses spricht ein Zeremonienmeister mit Zylinder feierliche Worte. Dann bewegt sich der Wurm aus Menschen, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, durch das britische Nest, dessen ältestes intaktes Bauwerk eine Brücke aus dem 13. Jahrhundert ist. Willkommen bei der Eroica Britannia.
Dahinter verbirgt sich eines der jüngsten Festivals der Radkultur, die derzeit europaweit einen Aufschwung erleben und nun auch in Deutschland zunehmend Anhänger finden.
Deutsche Vintage-Radrennen
In Mecklenburg-Vorpommern startet am 19. und 20. September die erste Veloclassico. Teilnehmer können wählen zwischen der Genießer-Runde (40 Kilometer), der Liebhaber-Runde (80) oder der Helden-Runde (150 Kilometer).
Oldtimerfans treffen sich in Baden-Württemberg schon seit Jahren, am 20. September findet die erste Tretro statt. Auch die deutsche Radlegende Rudi Altig macht sich auf die beschauliche Runde von 50 Kilometer Länge.
Am Ostufer der Elbe fand im vergangenen Mai das erste Vintage-Radrennen statt. Die Bedingungen für die Teilnahme waren allerdings streng: Alle Räder mussten mindestens 30 Jahre alt, der Fahrer stilecht gekleidet sein.
Kein Wunder: Seit einigen Jahren gehören Rennräder aus der Zeit vor Aluminium und Carbon zum Straßenverkehr jeder Großstadt. Die Fahrer sind oft jünger als ihr Gefährt, sie kurven in der Unterlenkerposition wie einst Eddy Merckx zur Uni oder zum Eiscafé. Vergessen geglaubte Markennamen des Fahrradbaus wie Peugeot oder Motobécane erleben eine Renaissance – und das kostet. Bis zu 3000 Euro zahlen sportliche Nostalgiker für ein Rennrad.
All diese Klassikermodelle sieht man auch auf den historischen Radfesten. Deren Ablauf ist meist gleich: Über mehrere Tage treffen sich die Teilnehmer zu einer Mischung aus Volksfest, Musikfestival und Zeltlager. Im Mittelpunkt steht alles rund um alte Fahrräder. Höhepunkt ist stets eine Tour, die mal gemütlich, mal herausfordernd geplant ist, aber immer nach gewissen Regeln abläuft. Die meisten Veranstalter pochen darauf, dass das Rad ein Mindestalter von etwa 30 Jahren bereits überschritten hat – und der Fahrer in spezieller Montur startet.