
Noch vor wenigen Jahren konnte sich Matthias Keudel eine Karriere im deutschen Mittelstand nicht vorstellen. Seine berufliche Biografie richtete er gezielt auf eine Konzern-Laufbahn aus: Studium an der TU Darmstadt, Unternehmensberater bei Bain, MBA an der Haas School of Business im kalifornischen Berkeley, danach sechs Jahre beim Medienkonzern Bertelsmann. Doch vor vier Jahren heuerte Keudel als Exportchef beim Küchenhersteller Nobilia im westfälischen Verl an. Grund: Das Fach „Entrepreneurship“, das Keudel während seines MBA belegte, habe ihm schon damals „den Reiz kleiner, schnell agierender Firmen nähergebracht“.
Mittelständische Unternehmen steigen im Ansehen der MBA-Absolventen, und auch diese rekrutieren immer lieber diesen exklusiv ausgebildeten Nachwuchs, dessen moderne Arbeitsweise die Firmen zu schätzen wissen. An einigen Business Schools wird der Führungsnachwuchs sogar gezielt auf den Mittelstand vorbereitet.
Je größer die Unternehmen, desto höher der Bedarf an MBA-Expertise. Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern suchen „aktiv nach MBA-Absolventen“, sagt Sven Ripsas, Leiter des Programms „MBA Entrepreneurial Management“ an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin (FHW). Kleinere Firmen würden ihre Mitarbeiter vor allem zu Weiterbildungsseminaren an die FHW schicken. So sichern sie sich wertvolles Know-how für den globalen Wettbewerb.
„Ich erlebe täglich Situationen, wo ich mein MBA-Wissen nutzen kann“, sagt Absolvent Keudel. Die Vorlesungen in „Intercultural Management“ an der Business School und die Zusammenarbeit mit Kommilitonen aus vielen Ländern helfen ihm besonders bei Verhandlungen in Asien. Zudem könne er auch bei Fragen zum Jahresabschluss, der Investitionsplanung oder Marketingplänen Gelerntes konkret anwenden.
Mittelständische Arbeitgeber schätzen ebenfalls die Praxisorientierung der Studenten. Der 27-jährige Till Schneider zum Beispiel ging nach seinem MBA an der Mannheim Business School zur Trumpf-Gruppe ins schwäbische Ditzingen. Dort arbeitet er heute als Referent der Geschäftsführung im Bereich Laser- und Systemtechnik: „Die Aufgaben meiner jetzigen Tätigkeit sind näher an meiner MBA-Ausbildung als an meinem Ingenieursstudium in Karlsruhe“, sagt Schneider.
Ein weiterer Vorteil: Der Mittelstand kauft sich auf diesem Weg Beratungsexpertise ein. „Mein Job lässt sich mit der täglichen Arbeit eines Unternehmensberaters vergleichen“, sagt Schneider, mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: „Als Mitarbeiter im Mittelstand ist man viel stärker in die Implementierung und Nachverfolgung eingebunden.“
Schneider ist nicht der einzige MBA-Absolvent beim Unternehmen Trumpf, das 70 Prozent des 1,94-Milliarden-Euro-Umsatzes im Ausland erwirtschaftet: „Insbesondere für Schnittstellenfunktionen und interdisziplinäre Managementaufgaben » suchen wir Bewerber mit MBA-Abschluss“, sagt Sprecher Ingo Schnaitmann. Dies betreffe vor allem die Bereiche Einkauf und Vertrieb. Am Stammsitz in Ditzingen stellte Trumpf im vergangenen Jahr fünf MBA-Absolventen ein. Die Zahl soll sich in den nächsten fünf Jahren erhöhen.
Der berufsbegleitende MBA wird „zunehmend als Instrument der strategischen Personalentwicklung und als Anreiz für die Mitarbeiter“ genutzt, sagt Torsten Wulf, Akademischer Direktor der Leipzig Graduate School of Management (HHL). Der aktuelle Jahrgang hat 33 Studenten — Rekordwert seit Beginn des Programms 2003. Die Studenten kommen nicht nur von Autokonzernen und Investmentbanken, sondern auch vom Medizintechnikunternehmen Bauerfeind, den Stadtwerken Leipzig und dem Automatenproduzent Gollmann Kommissioniersysteme.
Opfer müssen immer beide Seiten erbringen. Jungmanager verzichten für die Zeit der Ausbildung auf Freizeit, die Firma auf wertvolle Mitarbeiter. Immer mehr Mittelständler finanzieren ihren Nachwuchskräften die teure Ausbildung. Eine Studie der Goethe Business School (GBS) in Frankfurt belegt, dass insgesamt bereits 81 Prozent der befragten Unternehmen ihren Beschäftigten die Teilnahme an MBA-Programmen ermöglichen.
Einen intelligenten Weg hat der Arbeitgeber von Stephan Kiene gefunden. Kiene leitet beim IT-Dienstleister VR Netze in Münster die Abteilung für Account Management und Vertrieb. Nebenbei absolviert er seinen „Executive MBA“ an der GBS. Die Kosten in Höhe von 56 000 Euro werden über den variablen Gehaltsbestandteil von Kiene verrechnet. Das heißt: Je besser seine Leistung im Unternehmen, desto weniger wird Kiene selbst für die Ausbildung bezahlen.
„Wir sind davon überzeugt, dass wir als Unternehmen vom Know-how einer Business School profitieren können“, sagt Geschäftsführer Martin Schauer. Die meisten der 115 Mitarbeiter hätten durch ihr Studium einen eher technischen Hintergrund. Kiene soll nun modernes Management-Wissen einbringen. Obwohl der MBA oft noch einen amerikanischen Blickwinkel habe und die VR Netze als relativ kleiner Mittelständler die Mehrheit des Umsatzes in Deutschland macht, ist Schauer überzeugt: Es sei „grundsätzlich hilfreich“, Geschäftsprozesse auch „aus anderen Perspektiven betrachten zu können“.