Werner Knallhart
Essstäbchen Quelle: dpa

Essstäbchen: Nehmt wieder Messer und Gabel!

Gegen Tradition hat es Fortschritt immer schwer. Aber warum imitieren wir Europäer unbeholfen das Essen mit vergleichsweise unpraktischen Stäbchen, wo unser Besteck doch viel hilfreicher ist?

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Ich erinnere mich an einen Heinz-Erhardt-Film, in dem Willi mit seiner Familie nach Italien in den Urlaub gefahren ist. In diesem Film musste den Zuschauern erstmal erklärt werden, was Spaghetti sind. Und dass man sie mit der Gabel aufrollt, um sie in den Mund zu bekommen. Denn einfach so ungerollt aufgegabelt flutschen die Nudeln nun einmal immer wieder durch die Zinken. Guter Tipp. Und so rollt die Menschheit Spaghetti bis heute - unabhängig von Nationalität und Herkunft. Weil diese Methode universell effizient ist und damit für immer sinnvoll.

Warum aber sitzen wir mitten in Europa in ostasiatischen Restaurants und fummeln uns Speichel schluckend Reiskörner fast einzeln mit Stäbchen zwischen die Zähne, statt sie entspannt in mundgerechten Portionen mit der Gabel aufzunehmen und uns dabei auf das Tischgespräch zu konzentrieren? Vor dreißig Jahren hätte ich gesagt: Weil wir Spaß haben an fremden Kulturen und weil wir gerne zeigen, dass wir weltoffen sind. Gerade wir Deutschen. So gibt es Umfragen, in denen Hoteliers aus aller Welt bezeugen: Insbesondere deutsche Touristen haben Spaß daran, mit ein paar Brocken der Landessprache zu glänzen. Wir zeigen uns auf Reisen gern mondän.

Aber zuhause in unserer westlichen Welt, in der wir heutzutage täglich zwischen Pizza, Sushi, Thaicurry, Abendbrot, Tapas, Spargel mit Kochschinken, Cevice, Fischstäbchen mit Kaisergemüse, Döner und Quinoa-Salat mit Acai-Beeren variieren: Wen wollen wir daheim damit beeindrucken oder ehren, wenn wir mitten in Erfurt, Bielefeld oder Offenburg in einem Asia-Imbiss die gebratenen Nudeln mit Stäbchen bis an den Mund anheben, um sie dann mit den Lippen und Kiefern nach und nach der Länge nach einzuzutzeln?

Dass wir insgeheim nicht so recht wissen, was das alles soll, zeigt der Bedarf an Stäbchen-Benimmregeln wie der japanisch inspirierte Online-Sushi-Knigge des Fischgroßhändlers „Deutsche See“ mit Ratschlägen wie:
- Sushi nicht mit Messer und Gabel essen.
- Sushi niemals mit einem Stäbchen „aufspießen“, auch wenn das als praktische Methode anmutet.
- Es ist unhöflich, mit Essstäbchen auf jemanden zu zeigen.
- Nicht mit den Essstäbchen gegen die Schale tippen, früher taten das Bettler und nach wie vor wird diese Geste damit assoziiert.

Fühlen Sie sich gekränkt, wenn jemand mit dem Stäbchen auf Sie zeigt?
Die Regeln zeigen vor allem: Wir sollen nicht so dürfen, wie wir eigentlich wollen. Aufspießen oder gleich zu Messer und Gabel greifen? Es juckt uns Pragmatikern hierzulande in den Fingern. Aber nix da. Aber warum denn nicht? Unsere Vorfahren haben das Auto erfunden, aber unsere Hemden sind voller süßsaurer Soßenflecken, weil uns das Huhn zwischen den Stäbchen zurück aufs mittlerweile lauwarme Wokgemüse zurückplumpst. Nur, weil das so echt ist?

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