Werner knallhart

Großes Geschäft - Die Abzocke an öffentlichen Toiletten

An Bahnhöfen und an Raststätten ist Pinkeln mitunter teurer als Trinken. Und keiner weiß, wo eine Gebühr überhaupt rechtens ist. In Deutschland herrscht Klochaos.

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Eine Klobürste lehnt an einer Tür einer Toilette Quelle: dpa

Früher, als Raststätten-Klos an der Autobahn noch beißend nach Ammoniak stanken, da wusste man noch, wo man dran war. Zwei Groschen mitnehmen und möglichst nichts anfassen. Und Mund zu wegen der Fliegen.

Wir hatten so unsere Tricks: Mein Vater knibbelte die zwanzig Pfennig in das angerostete Münzschloss an der Klokabine, während meine Schwester (4) und ich (7) anschließend dafür zuständig waren, die Tür zu bewachen - dann musste sie nicht ins Schloss gezogen werden. Mein Vater lehnte sie nur an. Ohne Verriegeln.

Denn letztendlich war es ja das Verriegeln, das so unfassbar teuer war. Aber so konnten wir drei einer nach dem anderen die Toilette benutzen - für nur einmalig zwanzig Pfennig. Ha! Wir ließen uns doch nicht schon auf dem Weg in die Ferien die Urlaubskasse plündern. So ging eine clevere Pipipause in den Achtzigerjahren.

Heute sind die Toilettenbetreiber die Cleveren. Nach Ammoniak stinkt da nichts mehr, höchstens nach Chlor. Und, ja, zugegeben: Das ist toll. Mitunter geht man vom Auto zum Urinal und wieder zurück, ohne eine einzige Türklinke anzufassen. Und keinen Wasserhahn; keine Seife; keinen Papierspender, nichts. Hygienischer geht es nicht. Das ist ja fast besser als zuhause.

Aber jetzt stellt sich die Frage: Was ist uns das wert? 70 Cent? Nein? Kostet es aber! Zugegeben, 50 Cent bekommen wir als Gutschein, den wir im Restaurant für Leberkäse oder Snickers ausgeben können. Aber spätestens die zwanzig Cent darüber hinaus, die seit einigen Jahren fällig sind, lassen Autofahrer reihenweise den Kragen platzen.

Nehmen wir an, eine vierköpfige Familie fährt von Flensburg nach Österreich in die Ferien und macht auf der Reise durch Deutschland vier Mal Pause. Und jeder geht jedes Mal austreten. Dann kostet der Spaß 11 Euro und 20 Cent - davon 8 Euro als Gutscheine. 3 Euro 20 sind futsch.

Rausgeschmissenes Geld

Nun kann man fragen: Was sind schon 6 Euro 40 (3 Euro 20 mal zwei für hin und zurück) auf der großen Ferienreise? Ich sage: rausgeschmissenes Geld. Denn wer die Gutscheine im Restaurant einlöst, ist Gast. Und seit wann müssen Gäste eines Restaurants in Deutschland obendrein fürs Klo bezahlen? Nun ja, man könnte sagen: seit 2006.

Seitdem herrscht in Deutschland ein generelles Regelungschaos. Denn seit der großen Föderalismus-Reform 2006 ist Gaststätten-Recht jenseits der Autobahn Ländersache. Jedes Bundesland möchte selber regeln, wer wann wie zu welchem Preis aufs Klo darf.

Früher galt im Groben: "Hat eine Gaststätte Sitzplätze, muss sie auch Toiletten anbieten." Aber die gute alte Pinkel-Garantie ist längst passé. Es ist unklar, was in Deutschland Sache ist. Denn die Gastro-Klo-Ländergesetze sind mitunter schlampig gemacht.

So regeln längst nicht alle Länder klar und deutlich, ob in Restaurants der Gang aufs Klo kostenlos angeboten werden muss. Warum nicht? Weil die Gesetzgeber davon ausgegangen sind, dass das doch selbstverständlich ist? Berlins Gaststätten-Verordnung (und ganz ähnlich auch die von Rheinland-Pfalz und Hamburg) sagt zumindest: "Die …Toiletten dürfen nicht …nur gegen Entgelt zugänglich sein."

Was ist in den anderen Ländern? Darf dort der Gast dazu verdonnert werden, 50 Cent in das Schälchen vor den Toiletten zu werfen? Die Frage bleibt offen.

Druck auf der Blase

Und auch die Umstände, ab wann ein Betrieb überhaupt Toiletten anbieten muss, sind für Bürger mit Druck auf der Blase nicht schnell genug erfassbar. Es hängt manchmal von der Größe des Gastraumes ab und davon, wie viele Gäste der Raum fassen kann. Über 200 Gäste: Toiletten ja. Unter 200 Gästen kommt es wiederum darauf an, ob Alkohol ausgeschenkt wird. Wenn ja, müssen meistens Toiletten sein. Wenn nein, dann oftmals nicht, es sein denn, der Raum ist größer als 50 Quadratmeter oder fasst mehr als 50 Personen. Dann vielleicht schon.

Und dann kommt es noch auf die regionalen Gepflogenheiten an. Besteht keine Toilettenpflicht, muss mitunter auf einem Schild am Eingang darauf hingewiesen werden. Haben Sie schon einmal solch ein Schild gesehen? "Hier keine Toilettenpflicht". Igitt, wie einladend.

Gastronomen öffnen sanitäre Einrichtungen

Die Handelskammern geben dazu spezielle Merkblätter für Gastronomen raus, allerdings gerne einmal mit dem Hinweis "Kein Anspruch auf Vollständigkeit". Denn das Recht auf Pinkeln passt in Deutschlands Ländern nicht komplett in eine Broschüre. So ist das, wenn man im 21. Jahrhundert die Bundesländer neue Verordnungen machen lässt.

Und so schaffen Burger King und McDonald´s, wo möglich, nach und nach ihre Toiletten ab, wie etwa am Bielefelder Hauptbahnhof. Dort wird man dann auf die öffentlichen Toiletten mit Drehkreuz geschickt, durch die kaum der Rollkoffer passt, und die mitunter einen ganzen Euro kosten (auch das ist nicht einheitlich), ein Teil wiederum als Gutschein erstattet. Dieser Gutschein wird dann aber nicht von allen Gastronomen angenommen. McDonald´s im Mainzer Hauptbahnhof macht zum Beispiel nicht mit. Begründung: "Keine Ahnung. Mein Chef will das nicht." Da kostet dann das kleine Getränk zum Burger 49 Cent und der Besuch auf dem Klo das Doppelte. So geht Pipi 2014.

Aber die Spitze des dampfenden Haufens: Galeria Kaufhof lässt alle Kunden kostenlos aufs Klo, weil sie ja nicht zwischen kostenlos pinkel-befugten Restaurant-Besuchern und sonstigen Kunden unterscheiden können. Der Kaufhof nennt es aber gönnerhaft Service. Und freut sich natürlich über eine Spende für die tüchtigen Reinigungskräfte, die fleißigen Bienen. So, und jetzt platzt mir mal der Kragen:

Es ist doch zum Austreten! Warum soll man für die Reinigungskräfte immer etwas spenden? Warum nehmen wir es hin, dass Gastronomen und Einzelhändler ihre Reinigungskräfte derartig demütigen und zu Bettlern degradieren? Das ist an der bundesweiten Klo-Katastrophe das Allerschlimmste.

Wie wäre es, wenn man die Reinigungskräfte genauso angemessen bezahlt wie die Kassierer und Lageristen? An der Kasse steht schließlich auch kein Teller für eine milde Gabe. Die Putzfrauen und -männer auf ihren Hockern vor den Klos sind doch die Deppen der deutschen Dienstleistungsbranche. Alleine dafür lohnt sich schon der Mindestlohn.

Um die Gastronomen und Warenhausbetreibern zu Respekt zu zwingen: Ihr seid für saubere Klos zuständig! Erspart uns das peinliche Nesteln im Portemonnaie nach Kleingeld direkt nach dem Händewaschen. Erspart euren Toiletten-Mitarbeitern den Klimperkram mit Kupfergeld. Anderer Leute Fäkalien wegzuschrubben, ist schon hart genug.

Aber es gibt in all diesem erbärmlichen Klo-Chaos einen Lichtblick. "Die nette Toilette". Bei dieser Aktion öffnen Gastronomen ihre sanitären Anlagen selbst für Passanten, die gar keine Gäste sind. Kostenlos. Dafür erhalten sie von den Kommunen eine Aufwandsentschädigung irgendwo zwischen 40 und 150 Euro pro Monat. Dadurch ersparen sich die Städte den teuren Unterhalt öffentlicher Toiletten und die Gastronomen bekommen Besuch, der ganz nebenbei mal einen unverbindlichen Blick in die Räumlichkeiten wirft. Werbung, die sogar aus Steuergeldern bezahlt wird.

Achten Sie mal auf die Aufkleber am Eingang. Schon über 150 Kommunen machen mit bei "Die nette Toilette", wie Detmold, Bremen, Kaiserslautern und Freiburg. Vor allem im Südwesten der Republik wagen die Menschen dieses unbürokratische Experiment.

Ist das nicht mal erfrischend unverkrampft? Einfach laufen lassen und gucken, was kommt. Das würde einem doch so jeder Urologe empfehlen.

Doch der ganze Rest ist Murks: teuer, unfair, chaotisch geregelt. Wieder neue Gesetze, die es so kompliziert machen, dass es Kommunen, Gastronomen und Gäste nicht mehr begreifen. Die Nichtraucherschutz-Gesetze lassen grüßen.

Geht es noch blöder? Ginge es: mit einer Extra-Pinkel-Gebühr für Ausländer. Mal googlen, ob es das in Bayern schon gibt.

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