Werner knallhart

Deutsche Städte brauchen endlich neue Claims

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Hässlich aber mit Herz

Die Ur-Berliner werden nicht müde zu erklären, dass ein Zugezogener niemals Berliner sein kann. Wie provinziell. In Köln darf sich jeder sofort zuhause fühlen. Die Kölner könnten mit ihrer Weltoffenheit politisch Akzente setzen.

Köln ist keine Augenweide. Viele Kölner sagen: Hässlich, aber mit Herz. Jahrzehntelang hat Köln vor sich hin gedöst. Aber davon gehen die Nachkriegs-Bausünden nicht weg. Zentrale Plätze wie Ebertplatz, Rudolfplatz, Zülpicher Platz, Barbarossaplatz sind eigentlich laute, vierspurige Straßenkreuzungen mit Außengastronomie.

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Aber jetzt tut sich was. Am Rhein und hinter dem Dom wird die Stadt umgebaut und aufgelockert. Für die Kölner ist das wie ein schöner Schock. Die Lokalpresse frohlockt schon, Köln sei am Durchstarten. Kölner sind längst entspannt im Kopf. Jetzt passt sich auch noch das Stadtbild an. Mein Claim: Köln - Der geilste Arsch lässt es jetzt krachen. Oder wie sehen das die Kölner?

Stuttgart

Ja, Stuttgart. Zu München und Frankfurt ein anderes Mal. Das Image von Stuttgart hätte so schön sein können. Für mich waren Düsseldorf, Leipzig und Stuttgart die drei deutschen Städte auf den Aufstiegsplätzen in der zweiten Liga.

Düsseldorf: dynamisch, schuldenfrei, selbstbewusst. Leipzig: das neue Berlin. Stuttgart: eine Stadt erfindet sich neu.

Kulturell, subkulturell, städtebaulich. Stuttgart, der einzige Leuchtturm zwischen München und Frankfurt. Aber nach der Bahnhofs-Schlichtung steht Stuttgart für mich nun für das Wutbürgertum. Vor meinem geistigen Auge: pensionierte Lehrer mit grauen Bärten, die sich in All-Wetter-Jacken und mit Fahrradhelm an Bäume ketten. Im Hintergrund Wasserwerfer, deren Strahl Menschen die Augenlider abreißen.

Der Protest gegen den neuen Bahnhof ist das gute Recht der Wutbürger - und auch nachvollziehbar. Aber nicht anziehend. Mein Claim: Stuttgart - zur Schönheits-OP geprügelt.

Stuttgart ist ein Geheimtipp für Grüne der ersten Generation, denen Freiburg zu jugendlich ist. Und auf absehbare Zeit eine einzige Baustelle. Ich gucke mir das ganze in zehn Jahren noch mal an. Vielleicht steigt Stuttgart ja doch noch auf. Oder was sagen die Stuttgarter?

Bielefeld

Warum, in Gottes Namen, jetzt Bielefeld? Diese exakt 800 Jahre alte Stadt liegt im Herzen einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen der Republik. In OWL - Ostwestfalen-Lippe. Mit Weltkonzernen wie Bertelsmann, Dr. Oetker und Miele. Bielefeld liegt idyllisch am Teutoburger Wald und ist größer als Freiburg oder Bonn. Und trotzdem weiß keiner etwas mit der Stadt anzufangen. Seit Jahren kursiert der Gag: Bielefeld gibt es nicht. Googeln Sie mal „Bielefeld-Verschwörung“.

Das einzige, was die meisten Menschen von Bielefeld wissen: Da gibt es doch diesen Gag, dass es Bielefeld nicht gibt. Viele Bielefelder nervt das. Aber warum? Was für ein Image haben Karlsruhe, Würzburg, Göttingen, Duisburg, Magdeburg oder Darmstadt? Fehlanzeige.

Bielefeld aber ist die Stadt, die es nicht gibt. Das ist ein Anfang. Jetzt muss man nur etwas draus machen. Aber was? Das Stadtmarketing hat sich bemüht: „800 Jahre Bielefeld - Das GIBT`S DOCH gar nicht.“ Verstehen Sie? Gibt es nicht? GIBT´S DOCH! Ha!

Wie kann man das weltweit einzigartige Image noch weiter ausschlachten, nicht zu existieren? Mir fällt einfach nichts ein. Verdammt! Ihnen, liebe Bielefelder?

Und dann die vielen Städte ganz ohne Image. Aber wo kein Image, kann auch keins kippen. Was, wenn Berlin plötzlich nicht mehr als kribbelnder Mix aus Geschichte und Selbstverwirklichung gilt, sondern als geschichtsbesoffen und selbstverliebt?

Wenn Hipster sich selber nicht mehr hip finden? Wenn App-Entwickler mit ihren Start-ups nach Leipzig ziehen? Wenn Berlin fertiggebaut ist und sich nicht mehr ständig selbst neu erfindet? Wenn Berlin nicht mehr sexy ist, dann fällt womöglich auf, wie arm und grau Berlin jenseits der Top-10-Sightseeing-Spots auch ist. Nicht ein Dax-Konzern sitzt in der Hauptstadt. Ich hoffe, Berlin sorgt für andere Zeiten schon mal vor. Dit wäre extrem cool.

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