Ist der Dresscode in Ihrem Büro noch zeitgemäß? Beispiel „Mann im Sommer“. Finden Sie nackte, noch winterweiße Männerbeine hässlich? Und wenn ja: Sollten Männer deshalb lange Hosen am Arbeitsplatz tragen? Und wenn ja: Finden Sie, dass Frauen mit dicken Hintern keine engen Jeans tragen sollten? Und wenn ja: Was bedeutet diese Haltung für das Arbeitsklima in Ihrer Firma?
Dieses seltsam unfaire Pro-Dresscode-Argument gegen kurze Hosen bei Männern gerade im Frühsommer: Stichwort Kalkstelzen-Alarm. Männer sollen bitte ihren Körper verhüllen, weil zu viel nackte Haut unangebrachte Gefühle bei den Betrachtenden auslösen könnte. Ersetzen Sie im vorangegangenen Satz einmal das Wort Männer gegen das Wort Frauen. Fühlt sich das für Sie auch wie Steinzeit an?
Beide Varianten sind Gängelei aus der Befindlichkeit der Betrachter heraus. Zieh dich an, wie ich es will, sonst kann ich für meine Gefühle nicht garantieren. Wie anmaßend. Wenn das die Aktionäre wüssten…
Die kurze Männerhose am Schreibtisch zu verbrämen, ist in Dienstvorschriften gegossenes Bodyshaming. Das Gleiche gilt für Tanktops, Nagellack und Leggings bei allen Geschlechtern – und für Sandalen. Geschlossenes Schuhwerk ist beim Wandern unabdingbar. Aber unter der Tischplatte? All diese Regeln wegen „ist ja wohl irgendwie schöner“ sind im Jahr 2023 aus zwei Gründen verheerend allein schon für die Unternehmen selber:
- zeigt sich, dass sich das Homeoffice als parallele Arbeitswelt dauerhaft etabliert hat. Nicht alle stellen dann zuhause ungeduscht im Schlafanzug den Laptop in knackende Eierschalen auf dem unaufgeräumten Frühstückstisch. Was aber zählt, ist, dass es geht. Wer im Sommer drei Tage pro Woche die Freiheit hat, bei 26 Grad im Schatten in der Unterhose vom Sofa aus zu arbeiten (weil es geht!), denkt sich bei Langhosen-Pflicht im Großraumbüro: „Och, nö.“ Und Och-nös sind Motivationskiller.
- zeigt sich, dass sich in Zeiten des Fachkräftemangels die junge Generation einiges an althergebrachten Gepflogenheiten verbittet. Ich weiß von Bewerbungsverfahren dieser Tage, in denen die sich Bewerbenden (alle so zwischen 20 und 30 Jahre alt) erst einmal einen Fragenkatalog an den um Hilfe flehenden Arbeitgeber senden, um besser beurteilen zu können, ob sich der Umstand eines Vorstellungsgesprächs für sie als aufstrebende Subjekte der Begierde überhaupt lohnt. Für Dresscodes braucht man hier sehr gute Argumente. Wollen Sie diese Avantgarde (die sich zumindest so fühlt) mit einem „Das handhaben wir hier aber traditionell anders“ vor den noch eigenen Kopf stoßen?
Ist der Business-Dresscode nicht vielmehr eine Unverschämtheit aus Dann-produzieren-wir-halt-in-China-Zeiten, in denen sich Arbeitnehmende Unternehmens-Unverschämtheiten noch bieten lassen mussten?
Klar ist: Die Idee mit dem Casual Friday allein ist schon seit Jahrzehnten das Eingeständnis der Unternehmen: Casual ist besser. Sonst gäbe ja keinen Grund für eine Ausnahme ausgerechnet an dem Tag, an dem ab der Kantine alles Richtung Wochenende ausfranst (was ja gerade für eine strikte Disziplin auch in der Garderobe spräche). Wenn es aber ausgerechnet Freitag geht, warum dann nicht immer?
Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider
Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen.
Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe.
Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe.
Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr.
Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh.
Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kaschmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Es ist mal wieder alleine eine Frage des gemeinsamen Codes. Bei uns heißt Kopfschütteln nein, in Indien ja. Mo-Do ist das Tennishemd pfui - am Freitag, naja, vielleicht nicht hui, aber etabliert. „Wir nennen es einfach Casual Friday und fertig.“ Kein Affront möglich. Das ginge natürlich auch schon an den Tagen vor Freitag. Alles eine Frage des Wollens. In Berlin dürfen Frauen in Schwimmbädern jetzt oben ohne schwimmen. Weil Männer es auch dürfen. Das ist kein Appell, es im Büro eins zu eins zu imitieren. Nur der Hinweis: Mit einer Einigung über einen neuen Code wäre selbst das möglich. Theoretisch. Und deshalb auch praktisch.
Der Dresscode im Job führt mitunter zu Schweißausbrüchen, Bauchweh, Beklemmungen, Atemnot und Rückenschmerzen. All das gibt es. Und jetzt kommt der Sommer. Geben wir den traditionellen Dresscode auf, der suggeriert: Wenn wir deinen Körper nicht sehen, geht es uns allen besser. Und setzen wir stattdessen auf die Stilsicherkeit aller im Team.
Da haben Sie Zweifel? Dann helfen Sie. Geben Sie besser nicht selber Feedback („Hast du keine Hose unter der Bluse? Ach, das ist ein Kleid!“), sondern lassen Sie externe Profis sprechen. Viele Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren erhalten professionelle Styling-Tipps. Das lässt uns Entscheidungsspielraum fürs Wohlfühlen und passt so zur eigenen Persönlichkeit und zum Produkt. Und wenn Sie der Meinung sind, dass Kleider Leute machen und dass das auch in Ihrem Unternehmen gilt, dann machen Sie Ihre Leute zu Fashion-Experten in eigener Sache. Bis die Shorts gefunden ist, die selbst die „Kalkstelze“ in ihrer ganzen weißen Schönheit strahlen lässt.
Wir haben uns an gesellschaftliche Konventionen gewöhnt, für die wir uns mit Sicherheit in ein paar Jahren mit der Hand an die Stirn klatschen werden. Etwa dafür, wie wir heute in der Massenhaltung mit Säugetieren umgehen, um sie am Ende billig essen zu können. Oder wenn wir finden, dass ein richtiger kräftiger Automotor doch wohl dröhnen muss. Anderen zu sagen, wie sie sich kleiden sollen, weil es uns selber gefällt, wird meiner Einschätzung nach mit dazugehören. Blamieren wir uns am besten schon ab jetzt nicht mehr. Dann wird der Sommer noch schöner.
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