Werner knallhart
Handabdruck mal anders (Symbolbild). Quelle: imago images

Mikrochip-Implantate: Ich will eine Daten-Kapsel in der Hand

Einen Chip unter der Haut zwischen Zeigefinger und Daumen. Wie bei TUI in Schweden. Praktisch ist das schon. Aber für was? Welche Daten darauf ergeben Sinn? Welche sind Quatsch? Unser Kolumnist würde es ausprobieren. Mit den richtigen Daten drauf.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Eigentlich müssten ausgerechnet Datenschützer über implantierte Datenträger jubeln. Die These wirkt erstmal steil, aber lassen Sie mich es entwickeln: Ein kleiner Chip, so groß wie ein Reiskorn und mit einer glatt polierten Glashülle, damit das Gewebe nicht dran anwächst. Geschoben in den schwabbelig-weichen Bereich zwischen Zeigefinger und Daumen: Genau genommen ist dieser Fleischlappen da wie gemacht für die sichere subkutane Aufbewahrung von Kleinkram wie Datenträgern, die man im Alltag schnell mal eben zur Hand haben will.

Statt „Haben Sie eine Visitenkarte zur Hand?“, heißt es dann einfach: „Haben Sie eine Visitenkarte in der Hand?“ Obwohl nee, das ist missverständlich. Besser: „Haben Sie eine Visitenkarte in sich?“ „Welche Daten hast du in dir?“ Vielleicht werden wir das bald so selbstverständlich fragen wie „Was für ein Handy hast du?“. Zumindest dann, wenn sich unter die Haut implantierte Chips durchsetzen.

Bei uns kann das dauern. Denn es kommt direkt alles zusammen, was hierzulande sämtliche Anti-Knöpfe gleichzeitig drückt: Datenschutz, Funkwellen, körperlicher Eingriff, Innovation. Wer in Deutschland sagt: „Probieren wir es doch einfach mal aus“, ja, der kann froh sein, wenn er nicht direkt eine Zwangsjacke übergeworfen bekommt.

Winzig klein: Die Mikrochips können in den Bereich zwischen Daumen und Zeigefinger implantiert werden. Quelle: imago images

Die Schweden sind da das glatte Gegenteil. Die fühlen sich erst dann richtig wohl, wenn ihre gesammelten persönlichen Daten komplett öffentlich einsehbar sind. Vielleicht übertreibe ich etwas. Aber es ist zumindest keine Überraschung, dass der deutsche Tourismus-Konzern TUI nicht in seinem Heimatland, sondern in Schweden damit anfängt, seine Mitarbeiter zu chippen. Jeder fünfte TUI-Mitarbeiter trägt dort einen NFC-Chip unter der Haut. Und man musste sie dafür nicht hinterrücks mit einem Betäubungspfeil abschießen, die haben das freiwillig gemacht.

Der Chef von TUI Nordic, Alexander Huber, hat jetzt auf Spiegel Online erzählt, was die Leute damit alles machen können: Sich am Firmeneingang als Mitarbeiter ausweisen, ihre persönlichen Sachen am Feierabend in den Spind schließen, den Drucker aktivieren und verriegelte Snack-Kühlschränke öffnen. Und Huber muss nicht lange erklären, was daran besser ist als an einer Magnetkarte: „Meine Hand verliere ich nie.“
Der implantierte Chip als die Lösung für die kleinen Schussel im Büro. Joa, hat was.

Aber geht da nicht mehr? Natürlich. Die Frage ist nur: Was ergibt Sinn?

Wenn das Ding erstmal unter der Haut steckt, werden die Hemmungen fallen

Zunächst ist gut zu wissen: Der Einbau tut nicht mehr weh als ein Bienenstich. Wer Ohrringe oder ein Bauchnabelpiercing trägt, kennt das. Wenn es sich jemand nachträglich anders überlegt: ein kleiner Schnitt und die Kapsel kommt wieder raus. Die Daten auf dem Implantat lassen sich auch nachträglich unter der Haut von außen aktualisieren und löschen. Bei Sicherheitskontrollen am Flughafen piept nichts, genauso wenig wie bei Metallknöpfen an der Jeans. Und eine Batterie ist auch keine drin. Die Energie stammt aus dem Gerät, das die Daten von außen ausliest. Induktion. Und das funktioniert nur aus zwei bis vier Zentimeter Entfernung.

Und da geht es schon los. Wer soll die Daten auslesen können? Es ließe sich damit die Haustür ohne Schlüssel öffnen, das Drehkreuz im Fitnessstudio entriegeln, der Einkauf an der Kasse im Supermarkt bezahlen. All das aber nur dann, wenn alle mitmachen. Der innovativste Chip unter der Haut nutzt uns nichts, wenn es dann vom McFit-Mitarbeiter heißt: „Hä?“

Die schwedische Eisenbahn bietet schon länger die implantierte Fahrkarte an. Die wäre auch bei uns in Deutschland möglich: „Hände hoch, Fahrkartenkontrolle.“ Die BVG in Berlin etwa kontrolliert auch heute schon per Nahfeldkommunikation, indem sie das Lesegerät an die Kundenkarte halten. Das ginge auch mit dem Chip in der Hand, ohne im Sitzen nach dem Portemonnaie in der Gesäßtasche zu fummeln. Aber wir kennen uns doch: „Damit die schneller kontrollieren können, soll ich mich teuer mit Elektronik vollstopfen lassen?“

Nein, damit sich das mit den Chips unter der Haut in Deutschland durchsetzt, muss ein Vorteil für den Nutzer dazukommen, der ihn in seinem hier so typischen Bedürfnis nach Sicherheit abholt. Und da gibt es etwas:

Was, wenn jemand nach einem Unfall vom Notarzt behandelt werden muss? Der Blutverlust ist hoch, es muss Blut nachgefüllt werden. Aber welche Blutkonserve soll es sein? Die Blutgruppe steht dann im Chip.

Oder wenn jemand bewusstlos ist und den behandelnden Ärzten nichts von seinen Allergien gegen bestimmte Wirkstoffe in Medikamenten sagen kann. Steht im Chip.

Der ganze Impfpass könnte im Chip hinterlegt sein und bei einer Auffrischung aktualisiert werden.

Blutgerinnungsstörungen, das Herz auf der anderen Seite (gibt es ja wirklich), relevante Vorerkrankungen: alles auf dem Chip. Der dann nur noch mit einem handelsüblichen Handy mit NFC-Lesefunktion abgefragt werden muss.

Und wie gesagt: All das ist ein Traum für jeden Datenschützer. Denn diese Informationen sind zwar fest mit dem Körper des Betroffenen verbunden. Aber nicht verquickt mit seinem Namen, mit seinem Fingerabdruck, seinen biometrischen Daten oder dem Bild seiner Iris. All dies muss man nicht preisgeben.

Wie bei einer Stempelsammelkarte im Café, bei dem der Verkäufer am Tresen sieht, dass der zehnte Kaffee aufs Haus geht, aber dennoch nichts Persönliches vom Kunden weiß, könnten die Informationen auf dem Chip anonym hinterlegt werden. Einfach für den Notfall. Für den Notfall wappnen wir Deutschen uns doch gerne.

Und hätten Sie Angst, dass die Info über Ihre Blutgruppe in falsche Hände gerät?
Wenn das Ding erstmal unter der Haut steckt, werden bestimmt nach und nach die Hemmungen fallen. Wie wäre es damit: Sie nehmen im Restaurant die Speisekarte in die Hand und bekommen nur noch angezeigt, was Sie mögen und vertragen?

Also ich würde das gerne mal ausprobieren. Mein Abendessen im Restaurant bezahle ich gerne mit Apple Pay im Handy oder mit Karte. Aber die Blutgruppe und den Impfpass immer unter der Haut zu haben, fände ich eigentlich ganz beruhigend. Vielleicht würde ich außerdem noch gerne die Telefonnummer eines Angehörigen abspeichern, der informiert werden soll, wenn es mir schlecht geht.

Das müsste sich nur im größeren Stil durchsetzen und rumsprechen. Rettungssanitäter und Ärzte sollten natürlich schon auf die Idee kommen, die Hand abzuscannen.

Vielleicht bräuchte es eine Kampagne: statt „Deutschland sucht den Impfpass“ dann „Deutschland implantiert sich den Impfpass“. Das wäre doch im guten Sinne typisch deutsch. Und dann Schritt für Schritt vorwagen.

Dem Autor auf Twitter folgen:



© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%