Werner knallhart

Moral in Serien: spritzendes Blut hui, nackte Haut pfui

Warum darf der Serienheld anderen in Nahaufnahme die Gehirnmasse an die Wand schießen, aber wenn er und seine Freundin im Bettchen kuscheln, dreht die Kamera ab? Nackt sein ist tabu, Gewalt-Szenen werden gefeiert. Ist das eine nur allzu menschliche Moralvorstellung?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ich denke einfach mal laut: Wenn im realen Leben hier bei uns im freien Westen eine junge Frau ihrer besten Freundin sagt: „Und dann habe gestern noch schön mit meinem Mann geschlafen“, was wird das wohl in der besten Freundin auslösen? Freude für die andere, vielleicht Eifersucht. Die Polizei hätte sie aber wohl nicht gerufen. Weil einvernehmlicher Sex ja durchaus zu begrüßen ist.

Hätte die junge Frau ihrer Freundin bei Erdbeerkuchen erzählt: „Du, übrigens, gestern habe ich meinem Schatz hinterrücks mit dem Brotmesser die Halsschlagader aufgeschnitten. Mann, Mann, Mann, das war vielleicht was“ - die beste Freundin hätte doch allen Grund dazu gehabt, mal ernsthaft nachzufragen, was das denn sollte. Dass am Ende die Polizei ein Wörtchen mitreden würde, ist zumindest sehr wahrscheinlich.

Kurz gesagt: Sex: gut. Gewalt: schlecht. Im wahren Leben. Dann aber frage ich mich: Warum ist das dann in Serien und Spielfilmen anders?

Ich erinnere mich an eine Szene bei Breaking Bad. Da wird der Inhaber eines Fastfood-Restaurants, Gustavo Fring, der im Hintergrund Teil eines gigantischen Drogenringes ist, Opfer eines Bombenanschlages. Schon mehrfach war er vorher Zielscheibe, und weil er zu den Bösen gehört, ist man als Zuschauer auf der Seite der Attentäter, der Serienhelden.

Die Bombe explodiert, man hört es knallen, da tritt das Anschlagsopfer plötzlich aus dem Staub in den Flur und zuppelt sich die Krawatte zurecht. Und man denkt: Verdammt, der alte Glückspilz ist nicht tot zu kriegen. Da fährt die Kamera langsam um ihn herum, man sieht die andere Seite seines Schädels - und blickt in seine leer gebombte rechte Augenhöhle, seine rechte Wange fehlt, die Zähne liegen frei, da fällt er tot zu Boden.

Die beliebtesten Serien bei Netflix

Ich erinnere mich noch an den Abend, als ich die Szene mit Freunden zusammen gesehen habe: Wir blickten uns danach geschockt an und mussten anerkennend nicken. Diese Szene hatte gesessen.

Es ist ja unumstritten: Selbst der allsonntägliche Tatort profitiert davon, dass sich die Zuschauer an Mord und Totschlag ergötzen. Weil es so schön ist, dass es einem selber besser geht als den Opfern im Film. Das Leid der anderen als Unterhaltung.

Das ist das Prinzip von jedem Thriller, jeder Krimiserie. In modernen Serien muss es dann perfekt aussehen, wie die Klinge des Messers die Haut aufschneidet. Rausgeschlagene Zähne werden ausgespuckt, bei Schlägereien hört man die Knochen brechen wie Karotten, Arme und Beine werden perfekt per Computer retuschiert, so dass sie aussehen wie abgeschnitten oder weggeschossen, in Folterszenen werden Fingernägel gezogen und Rücken gepeitscht, bis das Blut spritzt. Wenn Film-Leichen lange unentdeckt in Kofferräumen herumliegen, dann erklingt zum Anblick des schwarz-blau-braun verwesten Fleisches noch das Summen der Schmeißfliegen drum herum. Gedärm hängt heraus, Splitterbrüche ragen aus der Haut, Hirnmasse läuft die Wand herunter. Perfekte Inszenierung. Vom Echten nicht zu unterscheiden.

Nacktsein ist erst als Leiche erlaubt

Wenn wir es aber akzeptabel finden, uns durch eine solche Darstellung von Gewalt zu ergötzen, warum ist es dann so unmoralisch, sich am Liebesleben anderer zu erfreuen?

Warum darf der Schauspieler meist erst dann nackt sein, wenn er als aufgedunsene Wasserleiche aus dem See gezogen wird?

Wenn Filmhelden aber aus dem Bett steigen, halten sie sich ungelenk die Bettdecke vor die Hüfte, im Badezimmer ist immer die Duschkabine beschlagen und kopuliert wird in Unterwäsche oder unter der Decke. Hier wird der Bruch mit der Wirklichkeit in Kauf genommen. Nicht, dass das nicht zu ertragen wäre. Ich frage mich nur: Warum darf es eigentlich ausgerechnet hier so unrealistisch sein?

Nun könnte man sagen: Ich lege keinen Wert darauf, im Kino oder bei Netflix nackte Geschlechtsteile zu sehen. Aber legen Sie denn wert darauf, halb weg geschossene Gesichter zu sehen? Manchmal sind weggeschossene Gesichter dramaturgisch sinnvoll. Kann nackte Haut es nicht auch sein? Warum ist es legitim, beim Zuschauer das Gefühl von Angst, Ekel, Wut und Hass auszulösen, nicht aber das Gefühl sexueller Erregung?

Ist es verwerflicher, beim Zuschauer das Gefühl auszulösen von „oh, sehr erotisch, das würde ich jetzt auch gerne erleben“, als in einer Kochshow das Gefühl von „oh, sehr lecker, das würde ich jetzt auch gerne essen“?

Der Vorwurf an die Porno-Industrie, sie würde gerade jungen Zuschauern ein verzerrtes Frauenbild vermitteln, sie würde den Zuschauern Komplexe einhandeln, wenn sie die sportlichen Vorzeige-Körper mit ihren eigenen vergleichen, sie würde viele abstumpfen lassen, die Erwartungen an ihr eigenes Sexualleben zu hoch schrauben und es damit ruinieren, das ist ja bestimmt völlig richtig. Von den widrigen Bedingungen für die Darsteller einiger Produktionen mal ganz abgesehen.

Die erfolgreichsten Filme 2016
The-Jungle-Book Quelle: obs
Bibi-und-Tina-3 Quelle: Presse
Willkommen-bei-den-Hartmanns Quelle: dpa
Ein-Ganzes-halbes-Jahr Quelle: dpa
Deadpool Quelle: dpa
The-Revenant Quelle: dpa
Ice Age - Kollision Voraus! Quelle: dapd

Aber wo gibt es denn eine Auseinandersetzung im Film mit Erotik und Sex außer in den diversen billigen XXX-Seiten im Internet?

Wäre es nicht schöner, wir würden in den hochwertigen Mainstream-Filmen und -Serien unsere Haltung zu Nacktszenen etwas entspannen und den Produzenten die Chance geben, Körperlichkeit genauso echt zu inszenieren wie alles andere? Das heißt ja nicht wildes Treiben von Minute eins bis zum Abspann. Sondern dort, wo es einfach gut passt, um die Geschichte aufzuwerten.

Dass Gewalt salonfähig ist, Sex aber als Schmuddelkram gilt, das ist doch wirklich seltsam. Und schade.

Ja, Sex ist etwas sehr Privates. Aber von Geschichten, die das Private erzählen, leben doch die Serien gerade. Hätten die vielen gut gemachten Serienproduktionen die Chance, einfach ganz souverän Erotik aus dieser Pfui-Ecke zu holen, was wäre das für ein Gewinn für eine sonst so aufgeklärte Gesellschaft, in der man heute in der Kantine ohne Hemmungen über seine hartnäckige Nasennebenhöhlenentzündung sprechen kann, seinen Knutschfleck aber unter einem Schal verstecken muss.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%