Übersprungshandlungen gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Etwa wenn zwei Hähne um ihr Revier kämpfen. Der innere Konflikt: Soll ich angreifen oder abhauen?
Ein Angriff bietet die Chance, den Rivalen zu vertreiben. Flucht bietet mir sicheren Schutz vor Verletzungen. Und diese zermürbende innere Unentschlossenheit zeigt sich daran, dass die Hähne plötzlich anfangen Körner aufzupicken - obwohl dort gar keine Körner sind. Völlig sinnlos, aber es beruhigt.
Was Ihre Gesten über Sie verraten
signalisiert laut den Bewerbungsexperten von Hesse/Schrader Konzentration oder Nachdenken
bedeutet Ungeduld oder Nervosität, vielleicht sogar Provokation
zeigen die eigene Überlegenheit
Gesagtes wird zurückgenommen, weil Unsicherheit in der Sache besteht
demonstriert Selbstzufriedenheit, wirkt aber nicht immer sympathisch
zeigt bei Zurücklehnen grenzenlose Souveränität
lässt auf Desinteresse, Unkonzentriertheit oder Nervosität schließen
steht für Nachdenklichkeit, Erschöpfung oder Langeweile
zeigt Ratlosigkeit oder Unsicherheit
steht für Nachdenklichkeit und Zufriedenheit
zeigen bei Frauen: Unsicherheit oder Angst, bei Männern: Ablehnung und Verschlossenheit
signalisieren Überheblichkeit, gleichzeitig Abwehr gegen Einwände
Sonntagnachmittag: Die Nachbarn sind mit den Kindern zum Kaffee da. Und die kleine Tochter hört nicht auf herumzukreischen. Womöglich würde Bello jetzt am liebsten mit einem knackigen Nackenbiss dem Geschrei ein Ende setzen. Weil der Hund aber begriffen hat, dass das unüblich ist, schnappt er sich plötzlich ein Sofa-Kissen und schüttelt es herum, um es zur Strecke zu bringen.
„Sag mal, euer Hund hat aber auch nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?“
„Übersprungshandlung. Sei froh, dass es nur das Kissen ist.“
Katzen, die plötzlich beim Toben anfangen sich zu putzen. Pavian-Männchen, die erst wie irre rumbrüllen und sich gegenseitig die Zähne zeigen, um sich dann zwischendurch ohne Vorwarnung zur Beruhigung ein paar Sekunden mit dem nächstbesten Weibchen zu paaren.
In jedem Fall machen sie einen seltsamen Eindruck, diese „Übersprungshandlungen“. Ein alter Begriff aus der Instinkttheorie vom Zoologen Konrad Lorenz. Aber wir Menschen stehen mit solch einem Verhalten auch ganz schön blöde da.
Mit diesen Fragen bringen Sie Lügen ans Licht
In Situationen, in denen wir nicht die Antwort bekommen, mit der wir gerechnet haben, greifen wir oft zu negativ formulierten Fragen. Angenommen, Sie fragen eine Autofahrerin, ob sie schon einmal die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, und sie antwortet darauf: "Nein, noch nie." Diese Antwort wird Sie vermutlich überraschen, also haken Sie spontan noch einmal nach: "Sie haben noch niemals die Höchstgeschwindigkeit überschritten? Wirklich noch nie?" Doch damit bestärken sie Ihren Gesprächspartner, bei seiner Antwort zu bleiben.
Beginnen Sie Ihre Frage mit einer Einleitung: "Als Nächstes möchte ich Sie nach XYZ befragen. Bevor wir auf dieses Thema eingehen, will ich Ihnen erklären, warum diese Frage wichtig ist und worum es uns geht." Legitimierungen führen dazu, dass Menschen die Frage ehrlicher beantworten. Auch Rationalisierungen eignen sich sehr gut als Prolog zu einer Frage. Zum Beispiel: "Niemand ist perfekt" oder "Jeder macht einmal etwas falsch". Das kann enorm dazu beitragen, Ihren Gesprächspartner für die Frage zu öffnen, die Sie ihm stellen möchten. Auch durch Minimierung können Sie verhindern, dass sich jemand hinter seiner Lüge verschanzt – zum Beispiel mit Äußerungen wie: "Wir möchten diese Angelegenheit ja nicht unnötig aufbauschen."
Es ist wichtig, zwischen Verdachtsfragen und Suggestivfragen zu unterscheiden. Mit einer Suggestivfrage versucht man den Gesprächspartner zu beeinflussen und ihm eine bestimmte Antwort in den Mund zu legen: "Sie haben doch gestern Abend das Geld genommen?" Eine Verdachtsfrage ist: "Was ist gestern Abend mit dem Geld passiert?" Der Unschuldige sagt "Keine Ahnung." Wer schuldig ist, muss nachdenken und sagt also eher: "Sie fragen mich, was da passiert ist? Woher soll ich denn das wissen?"
Eine klassische Köderfrage wäre "Könnte es einen Grund geben, warum jemand behauptet, Sie hätten das Geld genommen?" Es handelt sich um eine hypothetische Frage, die auf einem psychologischen Prinzip namens "Gedankenvirus" beruht. Wenn der Kollege auf Sie zukommt und sagt: "Die Chefin möchte dich sofort in ihrem Büro sprechen", schlägt ein solches Gedankenvirus zu. Wir machen uns nämlich sofort Gedanken darüber, was wir angestellt haben könnten, was uns jetzt droht und spielen alle Konsequenzen durch.
Fragen Sie: "Was sollte Ihrer Meinung nach mit der Person passieren, die das getan hat?" Wenn Sie jemanden befragen, der kein reines Gewissen hat, fordern Sie die verdächtige Person mit dieser Frage im Grunde genommen dazu auf, sich selbst zu verurteilen. Dahinter steht die Theorie, dass jemand, der schuldig ist, naturgemäß eine ziemlich milde Strafe vorschlagen wird. Wer unschuldig ist, wird sich dagegen wohl für eine strengere Bestrafung aussprechen.
Das Problem mit dieser Theorie ist nur, dass Lügner und Betrüger immer nach Möglichkeiten suchen, unsere Wahrnehmung ihres Charakters zu manipulieren: Ignorieren Sie also die Forderung nach einer harten Strafe, aber werden Sie bei zu milden Strafen hellhörig.
Mit solchen Fragen kann man Lügen vom Weglassungstyp auf die Schliche kommen. "Gibt es noch irgendetwas Wichtiges zu Ihrer Beziehung mit dieser Person, das wir bisher nicht besprochen haben?" oder "Gibt es noch irgendetwas, was ich wissen sollte und worüber wir bisher nicht gesprochen haben?"
Als Kinder sind wir noch ein Bündel aus Übersprungshandlungen. Zumindest war es bei mir so. Beispiel: Bild malen. Die gängigen inneren Konflikte: Soll ich eine Sonne mit Strahlen malen oder ohne? Übersprungshandlung: Knuddeln mit Zeigefinger und Mittelfinger in meinen Haaren am Hinterkopf.
So gab es eine Phase in meinem Leben als Kindergartenkind, in der ich mit einer Haarsträhne in Form eines Schweine-Kringelschwanzes am Hinterkopf herumgelaufen bin. Wirklich wahr. Bis meine Mutter eines Tages aus Liebe zur Schere griff. Alles wegen dieser Übersprungshandlungen.
Im Mathe-Leistungskurs mussten 15 Jahre später meine Fingernägel dran glauben. In der Abi-Zeit brauchte ich sie mir nie zu schneiden. Denn ich biss sie mir im Unterricht fein säuberlich ab.
In meinem ersten Ferienjob mit 17 - in einer Eisdiele - da fand ich die Gespräche mit der dicken Chefin immer sehr unangenehm. Sie war so autoritär und stank entsetzlich nach Zigaretten. Der Konflikt: respektvoll lauschen oder nichts wie weg? „Sag mal, Marcus, warum guckst du eigentlich immer so doof auf deine Uhr, wenn ich mit dir rede?“
„Nur so.“
„Alle zehn Sekunden nur so? Langeweile, wenn ich mit dir rede? Dann feg mal die Terrasse.“
Natürlich hätte sie auch freundlich und schlau sagen können: „Dein reflexhafter Blick auf deine Armbanduhr scheint eine Übersprungshandlung zu sein. Wie ich sehe, fühlst du dich in meiner Nähe unwohl. Also gehe hin und fege mal die Terrasse.“ Aber selbst dann wäre ich der Dumme gewesen. Der, der Signale sendet, die seine inneren Konflikte entlarven.
Um uns herum wimmelt es von Übersprungshandlungen. Setzen Sie sich mal in eine Konferenz oder an den Tisch in der Kantine und achten Sie drauf:
Kollege Meyer ergreift in großer Redaktionskonferenz-Runde das Wort, nimmt dabei sofort die Brille ab und reibt sich beim Sprechen die Augen: „Wir sollten mal wieder was über die Deutsche Bahn bringen.“
Kollegin Schmidt sagt: „Haben wir doch erst letzte Woche gemacht“ und greift danach sofort zur längst leeren Kaffeetasse.
Alles bloß primitiver Instinkt
Kollege Müller wirft ein: „Im ICE sagen sie seit einer Woche immer: Achten Sie beim Aussteigen auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig“ und knipst die Kugelschreibermine rein und raus und rein.
Redaktionsleiterin Schneider: „Alles klar, dann machen wir mit dieser Story auf.“ Es gibt artiges Gelächter, Schneider verändert eilig die Sitzposition und zupft einen Fussel von ihrem Halstuch. Müller kritzelt einen Würfel auf seinen Block.
Wenn man weiß, dass das alles bloß primitiver Instinkt ist, resultierend aus dem Konflikt zwischen „ich sage jetzt was, denn ich finde das wichtig“ und „wenn ich meine Klappe halte, stehe ich weniger im Rampenlicht“, dann wirkt all das Gesagte plötzlich weniger souverän: Der Redner, der sich ständig räuspert, ohne heiser zu sein. Der Talkshow-Gast, der sich bei der Vorstellungsrunde an der Nase reibt. Die Kundin, die sich bei der Bestellung an der Käsetheke am Mundwinkel kratzt. Der Bundesminister, der in einer Bundestagsrede der Opposition hart angegangen wird, dabei müde lächelnd zuhört aber unter dem Tisch unaufhörlich mit dem linken Bein zappelt. Alles uncool.
Deshalb will ich diese Ticks bei mir weghaben. Und beobachte mich selber. Denn wenn, dann will ich sie bewusst einsetzen. Sich etwa beim Grübeln über den Konflikt „Lösung A oder B“ am Kopf zu kratzen, wirkt nicht unsouverän, sondern konzentriert. Sich bei der Fahrkartenkontrolle in der S-Bahn aber das Ohrläppchen zu reiben oder zu gähnen, ist doof, wenn man weiß, woher es kommt.
Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin
Laut den CIA-Agenten Philip Houston, Michael Floyd und Susan Carnicero - Autoren des Buches "Erkenne den Lügner" - gibt es einige körperliche Signale, die helfen, eine Lüge zu enttarnen. Eine häufige Diskrepanz zwischen verbalem und nichtverbalem Verhalten, auf die Sie achten sollten, besteht darin, dass Ihr Gesprächspartner bestätigend nickt, während er gleichzeitig "Nein" sagt, oder umgekehrt: Er sagt "Ja" und schüttelt dabei den Kopf.
Wenn sich jemand die Hand vor den Mund hält, während er eine Frage beantwortet, hat das etwas zu bedeuten. Außerdem neigen wir alle von Natur aus dazu, uns vor der Reaktion eines Menschen abzuschirmen, den wir belügen. Wenn jemand bei der Antwort auf Ihre Frage also seine Augen abschirmt, verrät er damit auf unterbewusster Ebene womöglich, dass er Ihre Reaktion auf die faustdicke Lüge, die er Ihnen gerade erzählt, nicht mitansehen kann.
Wenn jemand sich vor seiner Antwort auf eine Frage räuspert oder deutlich spürbar schluckt, liegt hier womöglich ein Problem vor. Tut er das erst nach seiner Antwort, so brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen.
Achten Sie auf alles, was Ihr Gegenüber als Reaktion auf Ihre Frage mit seinem Gesicht oder Kopf anstellt. Vielleicht beißt oder leckt er sich die Lippen oder er zieht an seinen Lippen oder Ohren. Oder die betreffende Person ringt die Hände oder reibt sie sich.
Wenn wir nervös sind, zeigt unser Körper das, beispielsweise durch sogenannte "Ankerpunkt"-Bewegungen. Die Ankerpunkte eines Menschen sind jene Körperteile, die ihn an einem bestimmten Punkt oder in einer bestimmten Position verankern. Wenn er steht, sind die Füße seine primären Ankerpunkte. Wer von einem Fuß auf den anderen tritt, gibt so seiner Anspannung ein Ventil. Wenn jemand auf einem Stuhl sitzt, sind die primären Ankerpunkte sein Gesäß, sein Rücken und seine Füße. Rutscht er im Stuhl hin und her oder wippt vor und zurück?
Manche Menschen versuchen ihre Nervosität auch durch Gesten zu vertreiben: Sie streichen oder zupfen an sich selber oder an irgendwelchen Gegenständen in ihrer unmittelbaren Umgebung herum.
Dass jemand schwitzt, ist unerheblich, aber wenn er sich bei seiner Antwort den Schweiß mit einem Taschentuch oder mit der Hand von der Stirn wischt, ist das ein Alarmsignal.
Manchmal räumt jemand, der eine Lüge erzählt, auch plötzlich sein näheres Umfeld auf: Man stellt ihm eine Frage und plötzlich muss das Telefon zurechtgerückt werden, das Glas Wasser steht zu nah oder der Bleistift liegt nicht am richtigen Ort.
Geniale Übungsfläche: der Aufzug. Fahren Sie mit einer fremden Person allein vom Erdgeschoss in den siebten Stock, ohne zu kratzen, zu zupfen, zu reiben, sich zu räuspern, den glatten Schal glatt zu streichen, schon wieder auf die Uhr zu gucken oder zu seufzen. Das ist hart, denn was bleibt einem dann noch? Im Aufzug ist kein Handyempfang. Es bleibt einem auf den ersten Blick nur noch zweierlei:
1. Starren. Entweder auf die Stockwerk-Anzeige des Aufzugs oder auf die fremde Person. Letzteres dürfte allerdings bei der fremden Person ein Feuerwerk von Übersprungshandlungen auslösen.
2. Reden. Ein solches Not-Gespräch kann aber auch ziemlich erbärmlich enden, wie bei mir vor einiger Zeit in einem Aufzug in Myanmar gemeinsam mit einer US-amerikanischen Touristin. Sie fragte mich: „Woher kommen Sie?“ - „Aus Berlin. Und Sie?“ - „Aus Washington.“ - „Ach, schön.“ - „Ja, ich besuche hier eine Freundin, die habe ich mal auf einer Zugreise an der US-Westküste kennengelernt und nun arbeitet sie hier und ich dachte, das ist die Gelegenheit, mal Südostasien kennenzulernen, allerdings habe ich mir auch noch Arbeit mitgebracht, weil meine Freundin muss ja auch arbeiten hier und da dachte ich, ich nutze die Zeit, und Sie?“ - „Ich - sorry, ich muss hier im vierten Stock raus.“
Aber heutzutage gibt es DIE Lösung für jede Fahrstuhl-Fahrt: Kopfhörer. Ich stecke sie mir immer rein, oft sogar ohne angeschlossenes Handy. Dann mache ich meine Augen zu, die fremde Person ist auch erleichtert und so fährt der Lift sanft und leise nach oben - mit zwei Passagieren, aber ohne eine einzige Übersprungshandlung. Ich lasse mich schließlich doch nicht von meiner eigenen Psyche zum Deppen machen.