Werner knallhart

Souveränes Auftreten: Nicht an der Nase kratzen jetzt!

Übersprungshandlungen sind menschlich, entlarven aber unsere Nervosität - ausgerechnet dann, wenn wir cool sein wollen. Unser Kolumnist will sie deshalb endlich in den Griff kriegen.

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Was Gesten über Sie verraten
Ein Mann verschränkt die Hände hinter dem Kopf Quelle: Fotolia.com
Vermutlich Angela Merkel mit verschränkten Händen Quelle: dpa
Eine Frau mit verschränkten Armen Quelle: Fotolia.com
Eine Frau fasst sich an den Hals Quelle: Fotolia.com
Eine Hand berührt den Ärmel am Anzug der anderen Hand Quelle: Fotolia.com
Eine Frau zeigt mit "zur Pistole" geformten Fingern auf den Betrachter Quelle: Fotolia.com
Eine Frau fasst sich an die Nase Quelle: Fotolia.com

Übersprungshandlungen gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Etwa wenn zwei Hähne um ihr Revier kämpfen. Der innere Konflikt: Soll ich angreifen oder abhauen?

Ein Angriff bietet die Chance, den Rivalen zu vertreiben. Flucht bietet mir sicheren Schutz vor Verletzungen. Und diese zermürbende innere Unentschlossenheit zeigt sich daran, dass die Hähne plötzlich anfangen Körner aufzupicken - obwohl dort gar keine Körner sind. Völlig sinnlos, aber es beruhigt.

Was Ihre Gesten über Sie verraten

Sonntagnachmittag: Die Nachbarn sind mit den Kindern zum Kaffee da. Und die kleine Tochter hört nicht auf herumzukreischen. Womöglich würde Bello jetzt am liebsten mit einem knackigen Nackenbiss dem Geschrei ein Ende setzen. Weil der Hund aber begriffen hat, dass das unüblich ist, schnappt er sich plötzlich ein Sofa-Kissen und schüttelt es herum, um es zur Strecke zu bringen.

„Sag mal, euer Hund hat aber auch nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?“

„Übersprungshandlung. Sei froh, dass es nur das Kissen ist.“

Katzen, die plötzlich beim Toben anfangen sich zu putzen. Pavian-Männchen, die erst wie irre rumbrüllen und sich gegenseitig die Zähne zeigen, um sich dann zwischendurch ohne Vorwarnung zur Beruhigung ein paar Sekunden mit dem nächstbesten Weibchen zu paaren.

In jedem Fall machen sie einen seltsamen Eindruck, diese „Übersprungshandlungen“. Ein alter Begriff aus der Instinkttheorie vom Zoologen Konrad Lorenz. Aber wir Menschen stehen mit solch einem Verhalten auch ganz schön blöde da.

Mit diesen Fragen bringen Sie Lügen ans Licht

Als Kinder sind wir noch ein Bündel aus Übersprungshandlungen. Zumindest war es bei mir so. Beispiel: Bild malen. Die gängigen inneren Konflikte: Soll ich eine Sonne mit Strahlen malen oder ohne? Übersprungshandlung: Knuddeln mit Zeigefinger und Mittelfinger in meinen Haaren am Hinterkopf.

So gab es eine Phase in meinem Leben als Kindergartenkind, in der ich mit einer Haarsträhne in Form eines Schweine-Kringelschwanzes am Hinterkopf herumgelaufen bin. Wirklich wahr. Bis meine Mutter eines Tages aus Liebe zur Schere griff. Alles wegen dieser Übersprungshandlungen.

Im Mathe-Leistungskurs mussten 15 Jahre später meine Fingernägel dran glauben. In der Abi-Zeit brauchte ich sie mir nie zu schneiden. Denn ich biss sie mir im Unterricht fein säuberlich ab.

In meinem ersten Ferienjob mit 17 - in einer Eisdiele - da fand ich die Gespräche mit der dicken Chefin immer sehr unangenehm. Sie war so autoritär und stank entsetzlich nach Zigaretten. Der Konflikt: respektvoll lauschen oder nichts wie weg? „Sag mal, Marcus, warum guckst du eigentlich immer so doof auf deine Uhr, wenn ich mit dir rede?“

„Nur so.“

„Alle zehn Sekunden nur so? Langeweile, wenn ich mit dir rede? Dann feg mal die Terrasse.“

Natürlich hätte sie auch freundlich und schlau sagen können: „Dein reflexhafter Blick auf deine Armbanduhr scheint eine Übersprungshandlung zu sein. Wie ich sehe, fühlst du dich in meiner Nähe unwohl. Also gehe hin und fege mal die Terrasse.“ Aber selbst dann wäre ich der Dumme gewesen. Der, der Signale sendet, die seine inneren Konflikte entlarven.

Um uns herum wimmelt es von Übersprungshandlungen. Setzen Sie sich mal in eine Konferenz oder an den Tisch in der Kantine und achten Sie drauf:

Kollege Meyer ergreift in großer Redaktionskonferenz-Runde das Wort, nimmt dabei sofort die Brille ab und reibt sich beim Sprechen die Augen: „Wir sollten mal wieder was über die Deutsche Bahn bringen.“

Kollegin Schmidt sagt: „Haben wir doch erst letzte Woche gemacht“ und greift danach sofort zur längst leeren Kaffeetasse.

Alles bloß primitiver Instinkt

Kollege Müller wirft ein: „Im ICE sagen sie seit einer Woche immer: Achten Sie beim Aussteigen auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig“ und knipst die Kugelschreibermine rein und raus und rein.

Redaktionsleiterin Schneider: „Alles klar, dann machen wir mit dieser Story auf.“ Es gibt artiges Gelächter, Schneider verändert eilig die Sitzposition und zupft einen Fussel von ihrem Halstuch. Müller kritzelt einen Würfel auf seinen Block.

Gesten, die im Ausland unbeliebt machen
A young France's fan with the face painted in national flag colors shows victory sign as he waits for the start of the Group D Euro 2012 soccer match against Sweden Quelle: REUTERS
Nicole (8) streckt am Dienstag (21.06.2005) in einem Freibad in Gelsenkirchen dem Fotografen die Zunge heraus. Quelle: dpa/dpaweb
Der deutsche Tennisspieler Tommy Haas zeigt am Sonntag (17.06.2012) bei den Gerry Weber Open in Halle (Westfalen) im Finale gegen den Schweizer Federer mit dem Zeigefinger zur Seite. Quelle: dpa
Mann mit der Hand am Hals Quelle: Fotolia
A newly commissioned second lieutenant gives a thumbs up at the Air Force Academy Quelle: REUTERS
A fan wearing a mask gives the thumbs up as he enters the venue of the concert of US singer Madonna Quelle: dpa
Köchin zeigt mit ihren Händen "okay" Quelle: Fotolia

Wenn man weiß, dass das alles bloß primitiver Instinkt ist, resultierend aus dem Konflikt zwischen „ich sage jetzt was, denn ich finde das wichtig“ und „wenn ich meine Klappe halte, stehe ich weniger im Rampenlicht“, dann wirkt all das Gesagte plötzlich weniger souverän: Der Redner, der sich ständig räuspert, ohne heiser zu sein. Der Talkshow-Gast, der sich bei der Vorstellungsrunde an der Nase reibt. Die Kundin, die sich bei der Bestellung an der Käsetheke am Mundwinkel kratzt. Der Bundesminister, der in einer Bundestagsrede der Opposition hart angegangen wird, dabei müde lächelnd zuhört aber unter dem Tisch unaufhörlich mit dem linken Bein zappelt. Alles uncool.

Deshalb will ich diese Ticks bei mir weghaben. Und beobachte mich selber. Denn wenn, dann will ich sie bewusst einsetzen. Sich etwa beim Grübeln über den Konflikt „Lösung A oder B“ am Kopf zu kratzen, wirkt nicht unsouverän, sondern konzentriert. Sich bei der Fahrkartenkontrolle in der S-Bahn aber das Ohrläppchen zu reiben oder zu gähnen, ist doof, wenn man weiß, woher es kommt.

Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin

Geniale Übungsfläche: der Aufzug. Fahren Sie mit einer fremden Person allein vom Erdgeschoss in den siebten Stock, ohne zu kratzen, zu zupfen, zu reiben, sich zu räuspern, den glatten Schal glatt zu streichen, schon wieder auf die Uhr zu gucken oder zu seufzen. Das ist hart, denn was bleibt einem dann noch? Im Aufzug ist kein Handyempfang. Es bleibt einem auf den ersten Blick nur noch zweierlei:

1. Starren. Entweder auf die Stockwerk-Anzeige des Aufzugs oder auf die fremde Person. Letzteres dürfte allerdings bei der fremden Person ein Feuerwerk von Übersprungshandlungen auslösen.

2. Reden. Ein solches Not-Gespräch kann aber auch ziemlich erbärmlich enden, wie bei mir vor einiger Zeit in einem Aufzug in Myanmar gemeinsam mit einer US-amerikanischen Touristin. Sie fragte mich: „Woher kommen Sie?“ - „Aus Berlin. Und Sie?“ - „Aus Washington.“ - „Ach, schön.“ - „Ja, ich besuche hier eine Freundin, die habe ich mal auf einer Zugreise an der US-Westküste kennengelernt und nun arbeitet sie hier und ich dachte, das ist die Gelegenheit, mal Südostasien kennenzulernen, allerdings habe ich mir auch noch Arbeit mitgebracht, weil meine Freundin muss ja auch arbeiten hier und da dachte ich, ich nutze die Zeit, und Sie?“ - „Ich - sorry, ich muss hier im vierten Stock raus.“

Aber heutzutage gibt es DIE Lösung für jede Fahrstuhl-Fahrt: Kopfhörer. Ich stecke sie mir immer rein, oft sogar ohne angeschlossenes Handy. Dann mache ich meine Augen zu, die fremde Person ist auch erleichtert und so fährt der Lift sanft und leise nach oben - mit zwei Passagieren, aber ohne eine einzige Übersprungshandlung. Ich lasse mich schließlich doch nicht von meiner eigenen Psyche zum Deppen machen.

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