Werner knallhart

Whatsapp, iMessage, SMS - Wann darf man noch anrufen?

Geheimtipp: Mit Smartphones kann man auch telefonieren. Allerdings gilt heute ein Anruf oft schon als unverschämter Vorstoß in die Intimsphäre. Man textet lieber ewig. Mit einer neuen Etikette lässt sich das aber wieder ändern: einfach häufiger wegdrücken. Eine Kolumne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Mann telefoniert mit einem Smartphone. Quelle: dpa

Die SMS ist wie Wurst. Die Wurst ist im Wesentlichen das Gezottels, das nach der Schlachtung übrig ist und in den Darm gepresst wird. Und so in der Art ist auch die SMS. Sie wurde eingeführt, um das nicht ausgelastete Funknetz mit einem Billigfeature zu füllen, für das der Kunde teuer bezahlen sollte.

Und der tat es.

In den Speicher meines ersten Handys passten zwölf SMS. Und ich war täglich am Löschen. Damals, 1999, war der unfassbare Erfolg der mobilen Textnachricht eben noch nicht abzusehen. Seit Jahren telefonieren wir Deutschen sogar kontinuierlich immer weniger und verlagern die Kommunikation in Texte und Smileys. Warum?

Wir wollen doch auch sonst immer alles hautnah mit allen Sinnen erleben. 3D-Filme, satten Bass im Kopfhörer und jetzt kommt die Brille für die virtuelle Realität.

Aber bei der mobilen Kommunikation verzichten wir auf das, was die Technik heute besser bietet als je zuvor: die persönliche Nähe beim Gespräch. Mit kristallklarem Ton und mit Bewegtbild. Dank Skype, FaceTime und deren Konkurrenten wäre das praktisch jederzeit und kostenlos möglich.

Aber für ein Gespräch müssen eben beide Zeit und Lust haben. Und zwar im selben Moment. Das war früher auch schon so. Als es nur Festnetztelefone mit Wählscheibe gab. War man damals zuhause, als das Telefon klingelte, ging man einfach dran. Der geheimnisvolle Anrufer musste ja schließlich einen wichtigen Grund haben, war er doch drauf und dran, 23 Pfennig für die Einheit hinzublättern.

War man unterwegs, war man nicht erreichbar. Fertig. Früher konnten Einbrecher sogar noch mit einem Testanruf ausprobieren, ob die Luft rein war.

Heute ist man immer erreichbar. Außer im Theater. Und selbst da gehen einige noch dran.

Ein ewiges Hickhack

Doch sprechen können heißt nicht sprechen wollen. Zumindest nicht mit jedem. Die Gruppe der Auserkorenen und die der Geächteten variiert je nach Tageszeit. Vormittags dürfen Kollegen. Für Freunde und Familie aber gilt: "Kinners, ich muss doch arbeiten." In der Mittagspause wendet sich das Blatt. Freunde dürfen, Kollegen nicht. Dann der Timeslot nach dem Essen, der Timeslot nach Feierabend, der am späten Abend Richtung Koje. Ein ewiges Hickhack. Kein Anrufer blickt da durch, wann bei wem. Und so schreibt man lieber eine schnelle Nachricht. Die kann gelesen und beantwortet werden, wann immer es dem Empfänger passt. Das ist leider praktisch.

Mittlerweile verbitten sich einige Menschen sogar, einfach so angerufen zu werden. Stefan Schmitt schrieb jüngst in der ZEIT, telefonieren sei rückständig, denn ein Anruf störe immer. Das muss für Stefan Schmitts Freunde sehr frustrierend sein. Ein Mensch, der mit ihm sprechen möchte, muss ihn immer persönlich aufsuchen. Wie vor der Erfindung des Telefons.

Außerdem: Was, wenn man tippfaul ist - so wie ich? Ich finde auch, das neue iPhone ist zu groß und zu teuer, um mal eben beim Laufen zur U-Bahn über Glatteis einhändig zu tippen. Also diktiere ich den Text mündlich. Das Telefon wandelt das Gequatsche dann in Schrift um. Wenn man irgendwann im Blut hat, welche Formulierungen nicht klappen ("Hey. Hast du Bock heute Abend auf Game of Thrones oder was von Amazon Prime?" wird zu "Hast du Bock heute Abend auf gemafrei uns oder was von Emerson Crime") und die kritischen Stellen deshalb umgeht ("Hey Punkt hast du Bock auf Spiele um den Thron oder was von Amma-Zohn Peh Err Ih Emm Eh Fragezeichen"), dann geht das flott ohne Gefinger. Aber wollen Sie so auf der Straße belauscht werden?

Es menschelt beim Telefongespräch

Einfacher: aufgezeichnete Audionachrichten senden. Dann hört der andere Ihre Stimme. Ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich Kommas und Fragezeichen mitgesprochen habe, obwohl das natürlich lächerlicher Unsinn ist. Naja. Der Trott. Aber so verändert die Technik unsere Sprache.

Was an Whatsapp Kopfschmerzen bereitet

Das Telefongespräch hat gegenüber der Textnachricht und dem Hin- und Her an Audionachrichten einen entscheidenden Vorteil: Es menschelt. Man bekommt die spontanen Zwischentöne mit. Ein kleines Zögern, das Lächeln in der Stimme, seufzen, kichern.

Kleine Missverständnisse werden per Whatsapp hingegen schnell zu dramatischen Konflikten aufgeblasen. Selbst wenn die Schreiber zwischen all die Kränkungen noch so viele Blinzelsmileys quetschen:

"Wie geht es dir?"

"Gut. *thumbsup* Dir?"

"Echt alles gut?"

"Hä? :-\"

"Naja. Du bist so kurz angebunden. ;-)"

"Wieso? Ich habe doch gesagt, dass es mir gut geht."

"Aha."

"Bist du jetzt sauer? :-D"

"Fändest du das lustig? Oder warum das Lachen?"

Hier kann allein schon eine plötzliche Wartezeit von zehn Minuten zwischen zwei Nachrichten Freundschaften für immer ruinieren.

Der Zeitpunkt muss beiden passen

Das persönliche Gespräch am Telefon schlägt alles. Erst recht mit Livebild über die Cam.

Bleibt aber das Problem: Der Zeitpunkt zum Gespräch muss beiden passen. Wer aber jetzt schon aufgibt, ist ein Weichei. Was wir brauchen, ist mehr Kaltschnäuzigkeit. Den hemmungslosen Anrufer und den hemmungslosen Blockierer.

Smartphones bieten hier eine Menge komfortabler Hilfsmittel.

1.     Der Nicht-stören-Modus: Hier gibt es etwa beim iPhone viele Möglichkeiten. Dieser Modus stellt Klingelton und Vibration ab. Trotzdem kommen Anrufe und Nachrichten rein (anders als im Flugmodus). Wer Anrufe bestimmter Kontakte nicht verpassen will, kann seine Favoritenliste vom Nicht-Stören-Modus ausnehmen. Außerdem kann man festlegen: Wenn jemand innerhalb von drei Minuten erneut anruft, wird das trotz "nicht stören" hörbar und mit Vibration angezeigt. Falls mal was Dringendes ist.

2.     Der individuelle Vibrationsalarm. Mit dem spürt man schon in der Hosentasche, wer anruft, etwa die Familie oder Geschäftspartner. So kann man ohne panisches Wühlen in der Hose schon entscheiden, wie wichtig einem der Anruf ist.

3.     Der Joker unter den Telefon-Features: die Wegdrücktaste. 1x drücken lässt das Telefon verstummen. 2x und der Anrufer hört besetzt. Eine Frechheit? Nein, nicht wenn wir uns endlich angewöhnen: Wer gerade nicht sprechen kann, drückt weg. Das erspart dem Anrufer auch die immer gleiche schüchterne Einstiegs-Frage: "Störe ich gerade oder können wir kurz reden?"

Wenn wir auf Anrufe nicht mehr hysterisch reagieren, als würde plötzlich ein Serienkiller im Schlafzimmer stehen, sondern einfach cool entschieden: passt/passt nicht, dann ist das die halbe Miete.

Und wenn wir nicht mehr beleidigt sind, wenn wir weggedrückt werden, dann ist das die andere Hälfte der Miete. Und dann passiert vielleicht wieder ganz oft, was früher ganz normal war: Man spricht schnell aus, was man will. Und der andere antwortet sofort. Man kann auch noch 2016 innerhalb von 20 Sekunden den Abend planen. Sogar mit Smartphones. Man nennt es: telefonieren. Blinzelsmiley Ausrufezeichen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%