Werner knallhart
Schnell und kurz in Whatsapp getippt: Werden Nachrichten immer pampiger? Quelle: REUTERS

WhatsApp: Sind die drei "???" als Nachricht pampig?

Während selbst langjährige Kollegen in E-Mails untereinander die alten Form-Regeln beachten, herrscht bei WhatsApp Kraut und Rüben. Ist das Verrohung oder effizient? Alles entscheidet sich gerade am "?" als Nachricht.

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Kennen Sie das Phänomen mit dem „?“. Gemeint ist das „?“ als einziger Bestandteil einer Chat-Nachricht. Da schreibt einem einer: „?“ Und fordert damit eine ausstehende Antwort ein. Ist das hinzunehmen? Also, ich fühle mich da gekränkt und möchte das erläutern: Selbst Kollegen, die seit Jahren untereinander bekannt sind, beginnen ihre E-Mails tatsächlich doch fast immer noch mit einer höflichen Anrede (Liebe Kolleginnen und Kollegen) und enden mit Abschiedsfloskel samt Absendernamen (LG, Lisa-Marie). Lieber kürzt man also die Höflichkeiten ab (MfG/LG/BG), anstatt sie ganz wegzulassen.

Wobei ich sagen muss: Abgekürzte Zuneigungsbekundungen wie „LG“ für „liebe Grüße“ wirken so zugeneigt wie ein vor die Füße geworfener Blumenstrauß. Oder? Die WhatsApp-Nachricht kommt zumindest ohne sie aus. Das wird damit zusammenhängen, dass die SMS in ihren Anfangsjahren auf wenige Zeichen limitiert war. Ganz ohne Betreffzeile. Ganz ohne „freundliche Grüße“ am Ende. Und bei WhatsApp lebten die Förmeleien aus alten Tipp-Ex-Schreibmaschinenzeiten nicht wieder auf. Gut so.

Nun ist es aber ja so, dass wir mal die E-Mail nutzen, mal eine WhatsApp-Nachricht schreiben. Das führt kurioserweise dazu, dass je nach Kommunikationsmittel in unterschiedlichem Stil miteinander umgehen. Gerade so, als könnte alles, was man per E-Mail raushaut, vor Gericht gegen einen verwendet werden, setzt man bausteinhaft Begrüßung und Verabschiedung dazu und formuliert mit Bedacht. Bei der WhatsApp kumpelt man mit Kollegen und Geschäftspartnern ohne Punkt und Komma herum, als säße man gerade gemeinsam bei einem Gin Tonic am Strand. Dabei kann auch WhatsApp-Text justiziabel sein, aber egal. Zwei Welten: die alte formelle Welt und die App-Welt.

Selbst einige Fernsehsender siezen ihre Zuschauer im TV-Programm und duzen dieselbe Zielgruppe bei Facebook. Kommunikation über die neuen Kanäle verlockt zum Verbrüdern, während wir uns auf den klassischen Kanälen gegenseitig auf Distanz halten.
Ist das nicht seltsam unauthentisch? Aber ob seltsam oder nicht: Es zeichnet sich ab, dass die flapsige Tour in weiten Feldern obsiegen wird.

Der Weg ist der:
Stufe 1: Es beginnt flapsig bei WhatsApp unter Freunden.
Stufe 2: Diese Flapsigkeit setzt sich fort in Chats wie bei Tindr, wo man sich noch nicht kennt und deshalb halbwegs anonym herum experimentieren kann.
Stufe 3: Weil irgendwie alle flapsig sind, ist die Hemmung plötzlich null auch in Chats unter Kollegen.
Stufe 4: Dann fallen auch gegenüber den Geschäftspartner die Barrieren.
Stufe 5: Am Ende werden Kunden ganz offiziell so angesprochen. Irgendwann sogar per E-Mail. Weil das ja Zeitgeist ist.

Aber wo ist die Grenze? Die ist weit entfernt, sag ich Ihnen. Das sieht man, wenn man sich die Firmenkommunikation auf Twitter und WhatsApp anguckt. Bei einem freundlichen Wortwechsel mit dem Team des E-Roller-Sharers Coup von Bosch per iMessage bekam ich jüngst statt netter Sätze nur ein Emoji mit einem nach oben gereckten Daumen als Antwort. Geht auch.

Und der Twitter-Account der Berliner Verkehrsbetriebe @BVG_Kampagne zieht seine Existenzberechtigung ja regelrecht aus den frechen Antworten. Da beschwert sich ein Kunde über den Ton eines Busfahrers („Weg von den Türen, verdammt noch mal“) und bekommt von der BVG die Antwort: „Vielen Dank für den Hinweis! Die Beförderung für den Kollegen ist raus.“

Und während der lockere Tonfall aus WhatsApp langsam und als letztes in die E-Mails einsickert (Car2Go schreibt „Hi Marcus“, Amazon verzichtet im Newsletter mitunter schon auf die Verabschiedungsgrüße), wird Kommunikation auf WhatsApp selber immer flapsiger.

Die Krönung: das besagte Fragezeichen. Es hat sich nach meiner Einschätzung bereits auf Stufe 3 vorgearbeitet. Und ich fühle mich in diesem Zusammenhang eher konservativ, denn irgendwie stecke ich noch in Stufe 1 fest und verweigere mich dem Ganzen. Ich finde, das „?“ ist eine doch zu große Frechheit.

Beispiel: Ein junger Mann fragt dienstags eine junge Frau, auf die er ein Auge geworfen hat, per WhatsApp, ob er sie am Freitag ins Kino einladen dürfe. Und hofft damit auf das allererste Date. Sie antwortet: „Oh, ja, gerne. Super, danke. Lass uns wieder schreiben und Details klären.“ Das ganze garniert mit ein paar netten Smileys, aber nichts mit Herzen. Dann ist es Freitagnachmittag und zum Verdruss des jungen Mannes endet der Chat noch wie am Dienstag. Nun fragt er sich, wie er den Chat wieder aufgreifen solle, um Gewissheit über den Start ins Wochenende zu erlangen.

Option 1: Er schreibt ihr: „So, komm, Mädchen, mach mich nicht wahnsinnig, was ist denn jetzt?“
Option 2: Er schickt ihr ein Video von einem Koala, die vor einer Schuhbürste erschrickt, und ergänzt: „Oh, sorry, sollte an meine Schwester gehen“ und bringt sich so in Erinnerung.
Option 3: Er schreibt „?“

Über dieser Frage brüten mittlerweile sogar schon Comedy-Serien wie „Master of None“. Es gibt meiner Erfahrung nach viele Leute, die empfinden dieses „?“ als vorsichtigen Wink mit einem wirklich kleinen Zaunpfahl, ohne zu aufdringlich zu sein. Dann wiederum gibt es Leute, die finden dieses hingemuckte „?“ als pampig. So wie ein „Hä?“ oder „Bissu blöd?“.

Das „?“ hat noch keinen einheitlichen Sprachcode zugeteilt bekommen. So wie „obsolete“ auf Englisch „veraltet“ heißt, auf Deutsch aber auch „überflüssig“ bedeutet kann, was zur Zukunft der NATO vor einem Jahr für transatlantische Irritationen gesorgt hat, weil der Sprachcode zwischen Original und Übersetzung fälschlicherweise nicht übereinstimmte, so ist der Pampigkeitsgrad des „?“ noch nicht gesellschaftlich geklärt.

Und bis dahin ist das „?“ zu gefährlich. Es ist ein Irrweg. Flapsig ist ja ok, aber bitte nicht missverständlich. Da kommt man in Teufels Küche. Ja, ich gebe zu: Ich habe schon mal jemanden geblockt, der mir dumm kam mit seinen „?“ und sogar der Gipfel der Aufmüpfigkeit: den gefürchteten drei „???“. Rechnen Sie damit, dass ich nicht der einzige bin, der auf das „?“ nicht kann. Oder wie sehen Sie das??????

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