Wetell Warum sich diese Gründer selbst entmachtet haben

Die Gründer von WeTell Quelle: PR

Fair, nachhaltig und klimaneutral: Mit hehren moralischen Ansprüchen will das Start-up Wetell den Mobilfunkmarkt aufmischen. Eine ungewöhnliche Gesellschaftervereinbarung soll die Werteorientierung absichern.

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Am Tag, an dem sich die Wetell-Gründer selbst entmachtet haben, gab es eine große Party: Für 19.30 Uhr waren die Gäste geladen, die eigentlich dröge Unterzeichnung eines neuen Gesellschaftsvertrags inszenierte das Freiburger Start-up wie eine Hochzeit. Nach der Zeremonie wurde Essen serviert, dann lockte ein DJ auf die Tanzfläche. Fotos von dem Abend zeugen davon, dass es bunt und schrill zuging – man sieht Menschen in Pailletten-Tops und Netzoberteilen, viele Hüte, Federn und ausladenden Silberschmuck. „Fühl dich frei, wild und wunderschön“, lautete das Motto.

Inzwischen liegt diese Sause fünf Monate zurück – die Aufbruchstimmung von jenem Abend glaubt Mit-Geschäftsführer Andreas Schmucker noch immer zu spüren, wenn er morgens den Co-Working-Space betritt. „Das hat im Unternehmen noch einmal neue Energien freigesetzt“, sagt Schmucker, der Wetell 2019 zusammen mit Alma Spribille, Nico Tucher und Benjamin Thaidigsmann gegründet hat. Die Idee der ehemaligen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE: Sie wollen ein rundum nachhaltiges Mobilfunkunternehmen aufbauen – klimaneutral, transparent, fair und auf Datenschutz bedacht. Und sie wollen sicherstellen, dass die hehren Ansprüche keine Lippenbekenntnisse bleiben.

Gründer geben Eigentumsrechte ab

Ein erster Schritt dahin: Wetell hat sich der Gemeinwohlökonomie angeschlossen. In der Bewegung sind Unternehmen aktiv, die ihren Erfolg nicht nur an ökonomischen Kennzahlen messen, sondern auch an ihrem Beitrag zu Werten wie Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Verbunden ist das mit umfangreichen Berichtspflichten – 117 Seiten umfasst die „Gemeinwohlbilanz“ bei Wetell. „Für uns ist das ein super Transparenz-Tool“, sagt Schmucker. „Aber der Bericht schaut natürlich immer nur auf den Ist-Zustand.“ Was, so überlegten die Gründer, garantiert den Kunden eigentlich, dass das Start-up nicht eines Tages an einen größeren Konkurrenten verkauft wird, der es mit den Werten nicht mehr so genau nimmt? 

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Um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, haben sich die Enddreißiger zu einem radikalen Schritt entschlossen: Mit der Zeremonie am 24. Juni haben sie im Gesellschaftsvertrag festgelegt, dass sie ihre Unternehmensanteile niemals verkaufen können. Dass erwirtschaftete Gewinne nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert werden. Und dass Gesellschafter, die weniger als die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Unternehmen verbringen, ihre Stimmrechte verlieren. Formal gehört das Unternehmen zwar noch den Gründern. „De facto haben wir uns aber selbst enteignet“, sagt Schmucker. 

Neue Blüte einer alten Idee

Die Idee, Unternehmen vor kurzfristigen Profitinteressen der Eigner zu schützen, reicht weit zurück. Schon Ende des 19. Jahrhunderts ist etwa beim deutschen Technologieunternehmen Zeiss nach dem Tod des Firmengründers Carl Zeiss eine Stiftung gegründet worden, die Firmenanteile der Erben übernommen hat – und die seither sicherstellt, dass das Unternehmen nicht verkauft wird. Ein ähnliches Konstrukt ist später bei Bosch entstanden: Gründer Robert Bosch hatte in seinem Testament festgelegt, dass die Selbständigkeit des Unternehmens dauerhaft abgesichert und Dividenden für gemeinnützige Zwecke verwendet werden sollen. 

Unter dem Schlagwort „Verantwortungseigentum“ erlebt das Konzept nun eine neue Blüte. Für Aufsehen hat kürzlich etwa der Hersteller für Outdoorbekleidung Patagonia gesorgt: Mitte September kündigte Firmengründer Yvon Chouinard an, seine Anteile an dem milliardenschweren Unternehmen an zwei gemeinnützige Stiftungen zu übertragen. Die eine soll als Treuhandgesellschaft sicherstellen, dass das Unternehmen nicht verkauft wird. Die zweite soll alle Gewinne, die nicht direkt wieder in die Firma investiert werden, in den Umweltschutz stecken. „Die Erde ist jetzt unser einziger Aktionär“, schrieb der 83-Jährige in einem offenen Brief. 

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Vom wachsenden Interesse an der Idee zeugt auch die Arbeit des 2015 gegründeten Purpose Netzwerks, zu dem unter anderem eine Stiftung sowie zwei Beratungs- und Finanzierungsgesellschaften gehören. Eigenen Angaben zufolge hat die Purpose Stiftung weltweit bereits mehr als 100 Unternehmen bei der Wandlung zum Verantwortungseigentum geholfen. Oft klopfen Familienunternehmer bei Purpose an, aber auch Start-up-Gründer. Vor Wetell hat Purpose zum Beispiel auch den Kunststoffrecycler Wildplastic, den Kondomhersteller Einhorn und das Legaltech Vertragswerk beraten. 

„Einer wachsenden Zahl an Gründerinnen und Gründern geht es nicht mehr in erster Linie um das schnelle Geld“, heißt es bei Purpose. „Und viele wollen dem Dogma der kurzfristigen Profitmaximierung bewusst nicht folgen, sondern wählen einen Weg, der auf Langfristigkeit und Sinnorientierung ausgelegt ist.“ Zwar sage das Verantwortungseigentum per se nichts über die soziale oder ökologische Ausrichtung eines Unternehmens aus. Doch wenn Profite in erster Linie Mittel zum Zweck und die Selbstbestimmung sichergestellt sei, sei die Chance groß, dass andere Werte in den Vordergrund rückten.

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