Das Alter derer, die Kniggekurse fürs Private besuchen, reiche dabei vom Schüler bis zum Pensionär. Denn was nicht in der Erziehung beigebracht wurde, lassen sich die meisten am liebsten von einem entsprechenden Trainer vermitteln. Jedoch ist bei Benimmregeln im Alltag, wie auch im Beruf Vorsicht geboten: "Wer es mit den Regeln übertreibt, wirkt schnell unnahbar und nicht authentisch", sagt Freifrau von Korff. Dann würde das gute Benehmen nämlich schnell an seinem eigentlichen Ziel, einer angenehmen und einfachen Kommunikation mit den Mitmenschen, vorbeischießen.
So wirken zum Beispiel übertrieben viele Floskeln wie "Freut mich, Sie kennen zu lernen" schnell unehrlich. "Floskeln sind eigentlich tabu: Sie sollten das, was Sie sagen auch ehrlich meinen und ein bisschen kreativ sein", sagt Graf von Hoyos. So wird aus einer einfachen Begrüßungsfloskel mit ein wenig Variation ein Satz wie "Freut mich, Sie nun auch einmal persönlich kennen zu lernen". Das wirkt authentischer und außerdem nicht so phrasenhaft. Jedoch seien Verabschiedungen wie "Einen schönen Tag noch" vollkommen in Ordnung, sagt Graf von Hoyos. Denn im Ernstfall sollten Sie sich lieber ein wenig zu höflich verhalten als unfreundlich zu wirken, so sein Rat.
Grundsätzlich ist immer ein wenig Fingerspitzengefühl gefragt. So könnte die Nachfrage nach der passenden Kleidung für einen Krimiabend bei Freunden Irritationen auslösen, während die gleiche Frage bei einer Taufe oder Hochzeit vollkommen angebracht ist. "Im Freundeskreis haben die Menschen ihre eigenen Regeln und brauchen daher, ein natürlicher Anstand vorausgesetzt, keine Kurse oder ähnliches", erklärt Elisabeth Bonneau. Die ehemalige Lehrerin ist Kommunikationsberaterin und Herausgeberin mehrerer Bücher zum Thema Knigge. Sie glaubt, dass der Run auf Benimmkurse, sei es für den Beruf oder im privaten Bereich, unterschiedliche Gründe habe.
Zum Einen gehe es den Menschen um bessere Karrierechance. "Wenn ich mich besser als mein Konkurrent verhalte, ist es klar, dass meine Chancen, egal auf welchem Feld, besser stehen." Daneben wäre es der schwindende Einfluss von Instanzen, wie der Kirche oder der Familie, der Regeln für das Miteinander nötig machen. Früher waren es Eltern oder der Pfarrer, die einem die Verhaltensregeln diktiert hätten, heute schwinde der Einfluss dieser Institutionen und Menschen "suchen nach Regeln um diese als Art Reling zu haben." Als dritten Grund für die Renaissance von Kniggeschulen und Benimmcoaches vermutet Bonneau die zunehmende soziale Durchmischung. "Früher blieben Arzt und Apotheker unter sich, heute ist das System durchlässiger." Wer aus adligem Hause kommt beherrscht meist die Knigge-Grundregeln. Wer sich allerdings "hochgearbeitet" hat, dem kann die Kenntnis über das richtige Verhalten bei einem offiziellen Abendessen fehlen, weil er damit nie in Kontakt gekommen ist.