WiWo Top-Kanzleien Ausschreibungen: Nachhaltig ist das neue billig

Ein abgefahrenes Paket: Für den RXX muss Siemens nicht nur Züge liefern, sondern auch 30 Jahre lang für den Betrieb garantieren Quelle: Mauritius images/alamy/Rupert Oberhäuser

Bei öffentlichen Ausschreibungen soll nicht mehr zwangsläufig das günstigste Angebot den Zuschlag bekommen, sondern auf Nachhaltigkeit geachtet werden. In der Praxis ist das vielerorts noch nicht angekommen. Ein Bahnprojekt aber zeigt, wie es gelingen könnte. Außerdem: Die besten Anwälte für Vergaberecht, Umwelt- und Bauplanungsrecht.

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Es war eine außerordentliche Fleißarbeit, die die fünf Verkehrverbünde Nordrhein-Westfalens samt technischen und juristischen Beratern vollbrachten. Neben den Anschaffungskosten für die Züge des Rhein-Ruhr-Express (RRX) mussten sie Wartung, Verschleißteile und zukünftigen Energieverbrauch abschätzen und daraus den gesamten Preis für das Milliardenprojekt ermitteln. Lebenszyklusberechnung heißt dieses Verfahren, das in diesem Fall zwei Jahre dauerte. „Zwei Drittel der öffentlichen Vergabestellen schrecken vor solchen Berechnungen zurück“, sagt Vergaberechtler Tobias Osseforth von der Großkanzlei Luther. Sie halten es lieber einfach, orientieren sich am niedrigsten Anschaffungspreis. Weniger Aufwand und keine Nachfragen vom Chef oder dem Stadtrat.

Mit dieser Haltung sind die Verwaltungen landauf, landab lange Zeit gut durchgekommen. Doch inzwischen gewinnen Fragen zur Nachhaltigkeit an Bedeutung. Damit der billigste Anbieter eine Gemeinde am Ende nicht doch teuer zu stehen kommt, machen vor allem Kommunalpolitiker mancherorts Vorgaben für einen umweltfreundlicheren Einkauf. Schließlich wirkt sich ein niedrigerer Spritverbrauch bei Bussen nicht nur auf die Ökobilanz, sondern auch auf die Kasse der Kommune aus.

Überall angekommen sei dieses Denken allerdings noch nicht, sagt Ute Jasper von Heuking Kühn, die als Vergaberechtlerin etwa Städten hilft, Ausschreibungen rechtssicher zu formulieren, oder Unternehmen vertritt, die bei einer solchen das Nachsehen hatten. So erlebte sie als Anwältin einer Stadt in Nordrhein-Westfalen etwa einen Behördenmitarbeiter, der beim Neubau einer Grundschule ein Solardach integrieren wollte.

Doch weil die Anschaffungskosten die geplante Bausumme überschritten und einen zusätzlichen Kredit erfordert hätten, bekam der Mitarbeiter von seinem Chef sofort eine Abfuhr, erzählt Jasper. Ein zusätzliches Darlehen aufzunehmen hätte Kritik aus dem Stadtrat nach sich gezogen, und dieser wollte sich der Behördenleiter nicht stellen. Ende der Diskussion, Solardach ade. Obwohl sich die Sache langfristig durchaus ausgezahlt hätte.

„So kommt das hehre Ziel Nachhaltigkeit, das auch die öffentliche Hand berücksichtigen soll, im Behördenalltag viel zu oft unter die Räder„, kritisiert der Anwalt Osseforth. Mal aus Bequemlichkeit, mal aus Unwissenheit. Er habe es durchaus erlebt, dass die zuständigen Behördenmitarbeiter überfordert sind. Weil der „Begriff Nachhaltigkeit so schwammig“ sei, würden sie sich mit ihren Entscheidungen schwertun. Denn es geht dabei nicht nur um ökologische Standards. Auch behindertengerechte Zugänge zu öffentlichen Einrichtungen oder der Einsatz wartungsarmer Technik vom Aufzug bis zur Lüftungsanlage könnten dazuzählen. Die Folge: Aus Angst, Fehler zu machen, bleiben die Beamten lieber beim alten Muster. Der billigste Anbieter bekommt den Zuschlag. Wer sich danach richtet, braucht kein Nachprüfungsverfahren unterlegener Bieter zu fürchten. Anders als beim Vergleich von Nachhaltigkeitskonzepten.

Umso erfreulicher findet es Vergaberechtlerin Jasper, wenn Großprojekte wie der RRX zeigen, dass es auch anders geht. Sie konzipierte als Anwältin der Verkehrsverbünde das Vergabeverfahren und die Verträge. 84 neue doppelstöckige Nahverkehrszüge, die im 15-Minuten-Takt zwischen Köln und Dortmund mit 53 Haltepunkten bis 2025 fahren sollen, umfasste die Ausschreibung. Das Auftragsvolumen: über vier Milliarden Euro. „Erstmals wurden in einem Vergabeverfahren eines Großprojekts nicht nur die Planung und der Bau der Züge, sondern auch deren Instandhaltung und Energieverbrauch für die nächsten 30 Jahre zusammengefasst“, betont Jasper. So mussten sich die Auftraggeber etwa mit dem Gewicht der Züge auseinandersetzen. Denn je leichter die Bahnen, desto niedriger der Energieverbrauch.

Methodik

In die Berechnungen musste ebenfalls einbezogen werden, wie viel Strom beim Bremsen des Zuges zurückgewonnen wird. Und schließlich nahmen die Verkehrsverbünde Siemens in die Pflicht, die Züge nicht nur zu bauen, sondern in den nächsten 30 Jahren in Schuss zu halten. Übliche Garantien, so Ute Jasper, seien nach spätestens fünf Jahren ausgelaufen. Reparatur oder gar Neubeschaffung müssten dann die Betreiber finanzieren. „Die Lösung ist deshalb, nicht Züge, sondern Verfügbarkeit für 30 Jahre Betriebsdauer zu kaufen“, sagt die Expertin. Dieses Rundum-sorglos-Paket war zwar auf den ersten Blick teurer als Angebote anderer Anbieter, aber auf lange Sicht, davon ist Jasper überzeugt, spart es Emissionen und Energie – und damit auch Geld.

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Auch Unternehmen, die sich auf öffentliche Ausschreibungen bewerben, denken immer öfter in diese Richtung, beobachtet Anwalt Osseforth. Manche achten bei der Bewerbung eher auf Kleinigkeiten – etwa darauf, „dass sie grünen Strom verwenden, kein unnötiges Papier ausdrucken oder den Individualverkehr senken, indem ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten“. Aber Osseforth weiß auch von dem Bauunternehmer in Süddeutschland, der den Zuschlag für eine neue Feuerwehrwache bekam – und die Baustoffe beim Abriss des alten Gebäudes einsammelte und wiederverwendete. Sein Angebot hatte sogar sieben Prozent über denen anderer Bieter gelegen.

Auf den folgenden Seiten finden Sie die WiWo-Top-Kanzleien für Vergaberecht, Umwelt- und Bauplanungsrecht.

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