Wenn die Kassen leer, aber die Aufgaben groß sind, dann besinnt sich der Staat zumeist aufs Schuldenmachen. Doch weil Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eine Erhöhung der Staatsschulden ablehnt, soll es diesmal eine andere Spezies richten: die Privatanleger. Es gehe jetzt „vor allen Dingen“ darum, privates Kapital für die Energiewende und andere Herausforderungen zu mobilisieren, kündigte Lindner im März nach einer Kabinettsklausur an. Ihm schweben dabei etwa Investitionen in Solaranlagen, Wasserstoffprojekte und Tech-Start-ups vor. Mit dieser Idee steht er nicht alleine. Auch die EU-Kommission setzt auf private Investoren, etwa beim „Global Gateway“, einem Programm zum Infrastrukturaufbau in Entwicklungsländern. Hiesige Anleger sollen auch dort verstärkt Zukunftsprojekte finanzieren, zum Beispiel Bahntrassen oder Windparks.
Das weckt Erinnerungen an den Aufbau Ost in den 1990er-Jahren: Auch damals lockte der Staat Privatinvestoren, vor allem mit üppigen Sonderabschreibungen für Investitionen in Immobilien. Doch für viele endete das Abenteuer im Desaster: Die Steuervorteile verstellten den Blick auf den Wert von Gebäuden. Windige Dienstleister wie der Wohnungsvermittler Heinen und Biege, der später Insolvenz anmelden musste, hatten Kleinanlegern in Tausenden Fällen vorgetäuscht, Eigentumswohnungen könnten über Mieteinnahmen und Steuervorteile ohne Eigenkapital finanziert werden. Mit teilweise tragischen Folgen: Mehrere Käufer, die sich von den falschen Renditeberechnungen blenden ließen, standen wenig später vor dem finanziellen Ruin und begingen Selbstmord. Der sogenannte Schrottimmobilienskandal beschäftige Gerichte noch lange. Wie groß also sind die Risiken diesmal?
Wie Thilo Sarrazin Anleger düpierte
Zunächst: Die Politik setzt heute auf andere Instrumente. So lockt sie nicht mit hohen Steuervorteilen, sondern bieten Investmentpartnerschaften an. Staatliche Geldhäuser wie beispielsweise die KfW-Bank und die Europäische Investitionsbank (EIB) bringen spezielle Fonds auf den Weg, in die sie gemeinsam mit privaten Geldgebern investieren, etwa in Start-ups oder Projekte zur Eindämmung des Klimawandels. Der Clou: Die Förderbanken schultern dabei den größeren Teil der Risiken, etwa durch Garantien. Risikofrei sind die Modelle trotzdem nicht: „Die öffentliche Hand übernimmt in der Regel nur einen Teil der Risiken“, betont beispielsweise Katlen Blöcker, Partnerin der Kanzlei Hogan Lovells in Frankfurt und Expertin für Bank- und Finanzrecht.
Investoren müssen deshalb genau prüfen, wie weit die staatlichen Zusagen reichen – und wie wasserdicht Garantieklauseln sind. Dass in diesen Fragen auf die Politik nicht immer Verlass ist, hat der damalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin bereits vor 20 Jahren vorgeführt: Er strich einen Großteil der Zuschüsse für Anleger, die in Sozialwohnungen investiert hatten. Dabei hatten Politiker in der Hauptstadt zuvor mehrfach versprochen, die Förderung fortzusetzen. Rechtsverbindlich seien diese Zusagen aber nicht gewesen, urteilten später Gerichte.
Zur Methode
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte über 1700 Juristen aus 135 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen aus den Bereichen Bank- und Finanzrecht sowie Kapitalmarktrecht. Nach Bewertung durch eine Jury setzten sich von denen für den Bereich Bank- und Finanzrecht 21 Kanzleien mit 35 Anwälten, für das Kapitalmarktrecht 15 Kanzleien mit 26 Juristen durch.
Die Jury: Cordula Heldt (Deutsches Aktieninstitut), Robert Schmidt (Allianz Global Investors), Barbara Jürgens (Oldenburgische Landesbank) und Achim Schunder (C. H. Beck)
Ein Ziel verbindet die heutigen politischen Bemühungen zudem mit der Idee des Aufbaus Ost: Nicht nur Großinvestoren, sondern auch Kleinanleger sollen für Investitionen in öffentliche Infrastruktur mit an Bord geholt werden. Deshalb fallen Auflagen weg, etwa bei European Long Term Investment Funds (Eltifs), die vorzugsweise in Infrastrukturprojekte investieren. Für diese Eltifs, bereits vor acht Jahren eingeführt, ist Anfang April eine neue Verordnung in Kraft getreten, die juristische Hürden für die Investitionen senkt. So ist keine Mindestanlage von 10.000 Euro mehr vorgeschrieben. „Die Änderung zeigt, dass die Politik neben professionellen auch Kleinanleger mobilisieren will“, sagt Blöcker. Ob sich das aber auch lohnt, sei eine andere Frage. „Die Fonds sind nicht für jeden geeignet.“ Ein Risiko: Das Kapital ist meist über Jahre gebunden; Anleger kommen deshalb bei kurzfristigem Bedarf womöglich nicht an ihr Geld.
Neben Eltif-Infrastrukturinvestitionen sollen auch Crowdinvestments in Zukunft deutlich leichter werden: Das Bundesfinanzministerium will beispielsweise die Haftung für Geschäftsführer von Start- ups entschärfen, die über Onlineportale Geld unter Interessierten einsammeln. Zudem ebnet die Ampelregierung den Weg an die Börse: Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz will sie unter anderem Mindestkapitalvorgaben bei Börsengängen senken. Dies solle „Investitions- und Innovationsmöglichkeiten stärken“, gerade für „Digitalisierung und Klimaschutz“, heißt es im BMF.
Mittelständler zögern beim Börsengang
Reinhold Ernst, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller und Experte für Kapitalmarktrecht, sieht unabhängig von den Plänen der Ampel Potenzial für Börsengänge: Dieser Finanzierungsweg sei „gerade nach dem Ende der Niedrigzinsphase eine Option“, sagt er. Viele Entscheider in den Unternehmen ebenso wie in den beratenden Banken zögerten allerdings, weil sie wegen der unsicheren konjunkturellen und weltpolitischen Lage Kursabschläge fürchteten. Wenn sich die Situation beruhigt, könnten somit zahlreiche Unternehmen an die Börse gehen. „Vielerorts sind Planungen weit fortgeschritten“, berichtet Ernst. Gerade im Mittelstand sei allerdings oft „eine gewisse Ehrfurcht vor dem Kapitalmarkt“ zu beobachten. „Die Angst vor dem regulatorischen Aufwand ist aber in der Regel übertrieben.“
Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll nun eben diese Sorgen abmildern und die Mobilisierung von privatem Kapital erleichtern. Dabei setzt der Gesetzgeber neben vielen Anreizen durchaus auch auf ein wenig Druck: Wegen neuer EU-Vorgaben für Banken müssen Unternehmen immer öfter strenge Umweltkriterien erfüllen, um Kredite zu erhalten, sagt Blöcker von Hogan Lovells. „Die EU will über Vorgaben für die Finanzbranche die Transformation forcieren. Und mein Eindruck ist: Das funktioniert.“ Ob allerdings auch die Anreize in Form von Deregulierung und Staatsgarantien ebenfalls wirken, das muss sich dagegen erst noch zeigen.
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