Ramona Pop bringt sich schon mal in Stellung. Die Exgrünenpolitikerin und Vorständin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen will sich Energieversorger, Finanzdienstleister und Telekommunikationsunternehmen vorknöpfen, sobald die neue Verbandsklage im Herbst juristisch in Kraft tritt. Sie wolle etwa gegen Finanzinstitute, die unzulässige Gebühren erheben, vorgehen, oder gegen Energieversorger, die überhöhte Preise fordern, sagte Pop kürzlich.
Anwalt Henner Schläfke von der Kanzlei Noerr sieht eine Menge Gruppen, die klagen könnten: Internetnutzer, deren Daten bei Cyberangriffen entwendet wurden; Verbraucher, die irreführender Werbung aufgesessen sind; oder Patienten, denen schädliche Medikamente verabreicht wurden. Sie alle könnten demnächst auf die neuen Verbandsklagen aufspringen, erwartet Schläfke.
Dieses Instrument werde die Stellung der Verbraucherschützer enorm stärken, sagt Jiri Jäger von Bird & Bird. Bislang konnten sie mit ihren Sammelklagen lediglich vom Gericht feststellen lassen, dass es einen Schaden und einen Verursacher gab. Den Schadensersatz einklagen musste jeder Geschädigte im Nachgang allein und auf eigene Rechnung. „Deshalb machten viele Verbraucher ihre Ansprüche nicht geltend, insbesondere, wenn sie nur im dreistelligen Bereich lagen“, sagt Maximilian Bülau von Hengeler Mueller. „Für diese Geschädigten wird es nun einfacher“, resümiert der Anwalt. Ohne eigenes Kostenrisiko können sie sich bald den neuen Verbandsklagen anschließen.
Künftig können Verbraucherschutzverbände – ebenso wie eine Liste gemeinnütziger Organisationen von ADAC über Mietervereine bis hin zur Deutschen Umwelthilfe – Gerichte anrufen und stellvertretend für eine große Zahl von Geschädigten per Sammelklage Schadensersatz von den Unternehmen fordern. „Hat die Verbandsklage Erfolg, oder es kommt zu einem Vergleich, verteilt ein vom Gericht bestellter Sachwalter das Geld weiter an die Verbraucher, die sich dieser Klage angeschlossen haben“, beschreibt Anwalt Schläfke das künftige Prozedere.
Zur Methode
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte mehr als 1800 Juristen aus 230 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen für Patent-, Urheber- und Produkthaftungsrecht. Im Anschluss bewerteten die Juroren die ausgewählten Kanzleien.
Juroren: Dennis Amschewitz (Bosch), Jochen Meyer (Vodafone), Claas Westermann (RWE), Stephan Wolke (Thyssenkrupp), Achim Schunder (C.H. Beck), Nicole Burkardt (Bosch), Jan Eckert (ZF-Friedrichshafen), Frederick Iwans (Foris)
Voraussetzung für eine Verbandsklage sei, dass zumindest theoretisch mindestens 50 Konsumenten betroffen sein könnten, sagt Schläfke. Die Größenordnung muss der Kläger schlüssig darlegen, etwa wenn 70 Menschen in einem verspäteten Flugzeug saßen. Welchen Klagen man sich anschließen kann, sollen Verbraucher im Verbandsklagenregister online nachlesen können.
Eine weitere Unsicherheit, vor der die Unternehmen durch die Neuerung stehen: Sie wissen bis drei Wochen nach der letzten mündlichen Verhandlung nicht, wie vielen Gegnern sie sich gegenübersehen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt können weitere Verbraucher auf die Klage aufspringen.
Bis dahin sei es den Beklagten nicht möglich, überhaupt abzuschätzen, mit wie vielen Verbrauchern sie sich im Rahmen eines Vergleichs einigen würden, so Noerr-Anwalt Schläfke. Wie hoch solche Summen sein können, zeigt ein Fall aus den USA, wo es dieses Prozedere schon länger gibt. Der Konzern 3M etwa muss sechs Milliarden Dollar an 260.000 Veteranen zahlen, die durch mangelhafte Ohrstöpsel Hörschäden davontrugen.
Auch die Zahl möglicher Kläger dürfte sich hierzulande erhöhen: Sowohl Kleinbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern als auch Kläger aus anderen EU-Ländern können Gebrauch von der neuen Verbandsklage machen. Kein Wunder, dass sich neben Ramona Pop auf der anderen Seite auch die Großkanzleien in Stellung bringen. Für die Abwehr der Massenklagen haben manche neue Teams mit Dutzenden von Anwälten installiert, die bald mehr zu tun haben dürften.
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