Zurück im Büroalltag Kampf gegen den Urlaubs-Blues

Das Schlechteste am Urlaub? Der Tag danach im Büro. Die meisten fühlen sich dabei wie die Mitarbeiter der Werbeagentur Ogilvy in Düsseldorf: unmotiviert und weniger leistungsfähig. Wie Sie das Rückkehrer-Tief überwinden.

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Frank-Peter Westphale (links) und Jörn Lepper (Mitte) Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Es gibt Tage, die fangen schwach an und lassen dann stark nach. Arbeitstage nach einem verlängerten Wochenende oder zwischen den Jahren gehören dazu. Vor allem aber der erste Tag nach einem längeren Urlaub – dann, wenn der Wecker zur gefühlten Nachtzeit klingelt und man zurück in die karge Bürozelle und den längst überquellenden Schreibtisch muss.

Annabelle Ober lässt solche Tage gar nicht erst stattfinden. Montage nach dem Urlaub nimmt sich die 40-Jährige grundsätzlich frei. Erstens, um „das Feriengefühl über den Sonntag hinaus zu verlängern“; zweitens, weil dadurch die erste Woche danach kürzer ausfällt, und drittens „weil die Kollegen dienstags besser gelaunt sind“ – und sie selbst auch.

Annabelle Ober ist weder Arbeitsverweigerin noch frustriert. Im Gegenteil, die Düsseldorferin mag ihre Arbeit in der Werbeagentur Ogilvy. Als Financial Coordinator verwaltet sie die Kosten für den Werbeetat der Pflegelinie Dove, eine der größten Kampagnen ihres Arbeitgebers.

Doch nach einer Woche Ausspannen in Portugal geht es Annabelle Ober schlicht wie der Mehrzahl der Berufstätigen: Über die Hälfte kämpft Studien zufolge nach dem Urlaub mit Anlaufschwierigkeiten.

Ilana Hubermann Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse gab jeder Zweite an, dass seine Urlaubserholung deshalb binnen weniger Tage wieder verpufft. Elf Prozent der Urlauber kehren gar depressiv ins Büro zurück, so wiederum eine Studie der amerikanischen Sozialpsychologin Carin Rubinstein.

Eine Stichprobe der WirtschaftsWoche (siehe Porträts auf den folgenden Seiten) passt ins Bild: Unabhängig von Position oder Alter beschreiben die Mitarbeiter der Werbeagentur Ogilvy die ersten Arbeitstage nach der freien Zeit als widrig – obwohl sie sich, das betonen sie auch, auf Job und Kollegen freuen.

Von einer „Übergangswoche“ spricht zum Beispiel der Praktikant Jörn Lepper, von einem „blöden Bauchgefühl“ der Creative Director Peter Braunschweig.

Viele der Werber haben deshalb Rituale entwickelt, um Reiseeindrücke und Entspannungsgrad in den Arbeitsalltag zu retten. Dazu gehören auch Kniffe, um zurück in die Routine zu finden und der aufgelaufenen Arbeit wieder Herr zu werden: von Gesprächen mit Kollegen ist die Rede, „scheuklappenmäßigem Abarbeiten“ oder dem wiederholten Griff zum Kaffee.

Typisch: Statt Arbeitseifer folgen Anflüge von Abgeschlagenheit auf den Urlaub. Was die einen beobachten, untermauern Mediziner, Psychologen und Soziologen wissenschaftlich. Körper und Geist brauchen zwar regelmäßige Pausen.

Sven Köster Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

So ist beispielsweise das Immunsystem nach dem Urlaub nachweislich gestärkt; psychologische Studien belegen zudem, dass erholte Mitarbeiter motivierter und kreativer sind. Doch in den ersten Arbeitstagen sind diese positiven Effekte nur selten spürbar.

Rupert Gerzer hat dafür eine Erklärung: Die meisten Rückkehrer seien unabhängig vom Urlaubsland „schlicht müde“. Gerzer ist Vorsitzender des Deutschen Fachverbands Reisemedizin.

Gerade hat er seinen Urlaub im Bayerischen Wald beendet und diagnostiziert sich selbst „einen kleinen Jetlag“.

Zwei Wochen hat er bis 8.30 Uhr ausgeschlafen, nun muss er wieder um sechs Uhr raus. Zwei Tage, schätzt er, wird es dauern, bis er in seinen Alltagsrhythmus zurückgefunden hat.

Sandra Pflug Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Normalerweise erreicht die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol zum Aufwachen im Morgengrauen ihren Höhepunkt. Langes Ausschlafen oder die Zeitumstellung im Urlaub verschieben diesen Prozess aber um Stunden nach hinten oder vorne. Statt erholt geht man dann nach einer zu kurzen oder schlaflosen Nacht gerädert ins Büro.

Maximal drei Stunden pro Tag kann unsere innere Uhr verstellt werden. Wer mit dem Flugzeug nach Osten oder Westen in andere Zeitzonen reist, braucht also entsprechend einen oder mehrere Tage, um in den neuen Rhythmus zu finden – und umgekehrt.

Weil aber viele Urlauber die Ferienzeit vollends auskosten und erst am Wochenende zurückkommen, sitzen sie zwar Montag früh wieder bei der Arbeit, doch ihr Körper schläft buchstäblich noch.

Daher rät zum Beispiel Mediziner Gerzer den Betroffenen, spätestens zwei bis drei Tage vor Urlaubsende zum alten Büroturnus zurückzukehren, inklusive der sonst üblichen Schlafenszeit.

Ähnliches gilt für die Ernährung: Um den Jetlag zu minimieren, sollten die Heimkehrer in der ersten Woche möglichst proteinreich essen statt fett- oder kohlenhydrathaltig. Je mehr Glukose nach dem Essen ins Blut gelangt, desto höher ist die Insulinausschüttung. Und die macht gerade am Schreibtisch zusätzlich träge.

Sowohl der Jetlag als auch die Umstellung bei Kost und Klima zählen zu einer Reihe von Stressoren, die die Rückkehr mit sich bringt: Aufregung am Vorabend, Chaos am Flughafen, Flugangst, Stau. „Stress macht später müde, wenn er wieder abfällt“, sagt Gerzer. Diesen Tribut zahle so mancher, der bereits wieder im Dienst ist.

Clemens Wadepohl Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Nach der Anspannung die Entspannung – selbst diesen biologisch durchaus gesunden Prozess erlebt mancher in den ersten Urlaubstagen in Form von Müdigkeit, Gereiztheit oder gar depressiver Verstimmung.

„Holiday-Blues“ heißt das Phänomen im Englischen, hierzulande „Entlastungsdepression“ genannt: Erst wenn der Stresspegel sinkt, treten die Folgen von emotionaler, intellektueller oder körperlicher Belastung zutage.

Hinzu kommt, dass langer Urlaub latent „dumm“ macht. Das fand der Erlanger Gedächtnisforscher Siegfried Lehrl heraus. Er wies nach, dass nach drei Wochen Nichtstun der Intelligenzquotient um 20 Punkte sinkt – ein größerer Verlust als der Abstand zwischen dem durchschnittlichen Studenten-IQ und dem Durchschnitts-IQ der Bevölkerung.

Es gibt aber auch eine beruhigende Nachricht: Nach zwei, drei Tagen gewohnter geistiger Beschäftigung wird das alte Level wieder erreicht.

Trotzdem bedeutet das: Wer nach zwei Wochen Faulenzen am Strand in das Großraumbüro zurückkehrt, muss sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig akklimatisieren.

Als Faustregel gilt laut Wissenschaftlern: So lange es gedauert hat, die Hektik des Alltags abzustreifen, so lange dauert es auch, um intellektuell wieder auf Touren zu kommen.

Annabelle Ober Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Je intensiver die Entspannung war, desto langsamer „fährt man wieder hoch“, weiß auch die Psychotherapeutin Monika Ridinger, Chefärztin der Oberbergklinik Berlin/Brandenburg. Oft hilft es schon, diese Allmählichkeit in den ersten Arbeitstagen zuzulassen.

Falls das möglich ist. Denn „Übergangsphasen stehen in unserer Gesellschaft nicht gut da“, sagt der Zeitforscher Karlheinz Geißler, „sie gelten als etwas, das wegzurationalisieren ist“.

Wehe, der Computer rödelt zu lange, um betriebsfähig zu werden. Nur lasse sich das eben nicht auf den Menschen übertragen. Der sei nunmal ein analoges Wesen, das für Anfänge und Schlüsse Zeit brauche.

Ein Umstand, den auch die Statistik belegt: An keinem anderen Tag als an Montagen passieren so viele Werks- und Verkehrsunfälle.

Entsprechend empfiehlt Geißler einen sanften Wiedereinstieg: einen Tag vorher in die E-Mails schauen; die Gleitzeit nutzen, um eine Stunde später als sonst zur Arbeit zu erscheinen; die erste Woche durch ein, zwei Urlaubstage verkürzen.

Markus Jaeger Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Gute Planung nach dem Urlaub dient nicht nur der Effizienz. Aus psychologischer Sicht geht es ebenfalls darum, durch das frühe Gespräch mit Kollegen wieder sozialen Anschluss zu finden – und von der „Routine des Urlaubs zurück in die berufliche“, sagt der Gießener Arbeitspsychologe Michael Frese.

Dauern Unlust und schlechte Laune jedoch über die erste Arbeitswoche hinweg an, kann das ein Warnzeichen dafür sein, dass die „Balance von An- und Entspannung nicht stimmt“, sagt Psychotherapeutin Ridinger.

Dann sollten die Betroffenen ihre Arbeitsumgebung kritisch analysieren und nach Ursachen der Belastung suchen.

Wer sich das ganze Jahr über aufreibt oder den Spaß an seinem Beruf verloren hat, kann das auch mit drei Wochen Urlaub nicht richten. In solchen Fällen hilft meist nur ein radikaler Job- oder Arbeitsorganisationswechsel. Besser für die Gesundheit als ein dreiwöchiger Trip in den Süden, das zeigen etwa Studien der Konstanzer Arbeitspsychologin Sabine Sonnentag, sind ohnehin Kurzurlaube und regelmäßige Pausen im Büro.

So wie es auch Ogilvy-Mitarbeiterin Annabelle Ober macht: Die nächste Woche Portugal hat sie schon gebucht – und den Montag danach freigenommen.

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