Zukunft der Arbeit Heute hier, morgen dort

Die Arbeitswelt steht vor einem gewaltigen Wandel: Neue Management-Methoden und neue Technologien revolutionieren unseren Arbeitsalltag. Multitasking wird zum Normalfall, Anwesenheit im Büro die Ausnahme. Wer die Gewinner sein werden, wie Sie sich auf die Zukunft vorbereiten und wo die Gefahren lauern. Auftakt einer zweiteiligen Serie.

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Immer mehr Arbeitnehmer Quelle: dpa-tmn

Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt.

Für 200 Mitarbeiter des IT-Konzerns IBM begann die Zukunft schon 1991. Sie verloren von heute auf morgen ihren festen Arbeitsplatz. Freiwillig. Damals einigte sich IBM mit den Mitarbeitern auf außerbetriebliche Arbeitsplätze. Das Unternehmen wurde damit zum Pionier für Telearbeit. Heute können alle 20.000 IBM-Mitarbeiter in Deutschland jederzeit von zu Hause aus arbeiten – egal, ob sie Geschäftsführer oder Sachbearbeiter sind.

Und das ist erst der Anfang.

Arbeitsmarktforscher, Management-Experten, Organisationspsychologen – egal, wen man fragt: Alle sind sich einig dass die Arbeitswelt vor einem radikalen Wandel steht. Und ein Wort dominiert die Diskussionen: Flexibilität.

Das klingt abgedroschen, doch dahinter verbirgt sich weit mehr als Anpassungsfähigkeit im Denken und Handeln. Der Arbeitnehmer von morgen wird mehr als nur einen Arbeitgeber haben, er wird häufiger zwischen Selbstständigkeit und Festanstellung wechseln und mehr Teilzeit- und Zeitarbeit leisten.

Er wird in ständig wechselnden Projekten mit unterschiedlichen Teams aus unterschiedlichen Nationen zusammenarbeiten, viele seiner Kollegen nur auf dem Videobeamer oder per E-Mail, Chat oder Wiki kennenlernen. Und er wird darauf achten müssen, bei der damit verbundenen Informations- und Kommunikationsflut nicht den Verstand zu verlieren.

Anwesenheitspflicht und feste Arbeitszeiten sind überholte Modelle

„Wir sind die erste Generation, die sich vom Schreibtischzwang emanzipiert“, sagt der Politologe und Journalist Markus Albers, dessen Buch „Morgen komm ich später rein“ gerade im Campus-Verlag erschienen ist.

Darin skizziert Albers, warum Anwesenheitspflicht und feste Arbeitszeiten überholte Modelle sind: „Wir leben in der Informationsgesellschaft, aber arbeiten oft noch nach den Regeln der Industriegesellschaft. Das muss sich ändern.“

Albers selbst ist das beste Beispiel für seine These. Vor einem Jahr saß er noch jeden Tag im Schnitt elf Stunden am Schreibtisch: „Mein Büro war mein Zuhause“, sagt der ehemalige geschäftsführende Redakteur der deutschen Promi-Postille „Vanity Fair“. Als Festangestellter traf er sich nach Feierabend gelegentlich kurz mit Freunden oder ging direkt nach Hause, schaute fern und legte sich ins Bett, weil er am nächsten Tag wieder früh raus musste.

Unternehmen wie die Deutsche Bank, SAP, IBM oder BMW lassen einige ihrer Mitarbeiter bereits arbeiten, wann und wo diese wollen

Heute bleibt er auch mal länger liegen, nutzt so viel besser seine produktiven Hochphasen am Tag oder arbeitet von irgendeinem inspirierenden Ort der Welt aus: am Strand irgendwo in Thailand etwa, in einer Finca auf Ibiza oder einer Holzhütte in Norwegen.

Klar, als Journalist geht das. Aber Albers ist überzeugt: Die Vorteile der freien Arbeitseinteilung werden künftig genauso Fach- und Führungskräfte aus diversen Branchen nutzen können.

Manche tun das schon heute. Unternehmen wie die Deutsche Bank, SAP, IBM oder BMW lassen einige ihrer Mitarbeiter bereits arbeiten, wann und wo diese wollen. „Wir werden im Jahr 2030 mehr als die Hälfte unserer Arbeitszeit zu Hause verbringen“, sagt die Arbeitsexpertin Marie Puybaraud von der Beratungsfirma Johnson Controls.

Berufseinsteiger stellen neue Ansprüche an ihren Traumjob

Verantwortlich dafür sind vor allem zwei Entwicklungen: die Technik und der neuerliche Kampf um die besten Köpfe.

Seit es Handys mit E-Mail-Funktion und billige flächendeckende sowie breitbandige Internet-Verbindungen gibt, können alle miteinander arbeiten, ohne am selben Ort zu sein.

Junge Menschen wiederum erwarten von ihrem Traumjob heute nicht mehr den dicken Firmenwagen, sondern vor allem eine bessere Work-Life-Balance, also attraktive Arbeitsbedingungen, die sowohl einen Kompromiss aus Familie und Karriere ermöglichen als auch abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgaben.

Und die entstehen gerade im Dienstleistungsbereich. Von den 39,8 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland arbeiteten im ersten Quartal dieses Jahres nur noch etwa 20 Prozent im produzierenden Gewerbe – 1991 waren es noch mehr als 36 Prozent. Der Anteil der Dienstleister an den Beschäftigten hingegen stieg im selben Zeitraum von knapp 60 auf über 72 Prozent.

Mehr noch: Diese Jobs werden zeitlich befristet sein und – auch hier ist Technik ein wesentlicher Motor – größtenteils über das Internet vermittelt. Zu den bekannten Jobbörsen gesellen sich dann Vermittlungsportale, wie etwa die kürzlich gestartete Internet-Seite netjobbing.de.

Deren Gründer, Nils Dreyer, gleichzeitig Doktorand an der Uni Witten/Herdecke, will dort Auftraggeber und Experten für einzelne Projekte zusammenführen. Beispiele: Aktuell sucht ein Unternehmen jemanden, der 300 Beschreibungen von Instrumenten ins Englische übersetzt; ein Automobilkonzern benötigt für ein halbes Jahr einen Software-Ingenieur für seine Entwicklungsabteilung.

Spezialisten werden in Zukunft dringend gebraucht

Das Interessante an dieser Seite: Sie zeigt schon jetzt, wo die Reise hingeht. Angebote für einfache Tätigkeiten und für gering Qualifizierte werden immer seltener. Diese Jobs werden künftig in Deutschland von Maschinen oder Arbeitern im Ausland erledigt.

Nach Angaben des Verbands Deutscher Ingenieure verlagert derzeit jeder elfte Betrieb Teile seiner Produktion in andere Länder.

Was hier bleibt, sind dagegen die Jobs für Spezialisten. Derzeit haben 80 von 210 Millionen europäischen Arbeitnehmern einen Job, der ein hohes Maß an Qualifizierung erfordert. Diese Zahl werde bis 2015 um mehr als 20 Millionen kräftig steigen, gleichzeitig werden die Arbeitsplätze für gering Qualifizierte um 8,5 Millionen sinken, erwartet das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop).

Auf der sicheren Seite sind entsprechend Fach- und Führungskräfte aus dem Bereich der Hochtechnologien, wie Licht- und Lasertechnik, Bio- und Nanotechnologie oder auch der Werkzeugmaschinenbau sowie die Metallindustrie. Sie werden auch künftig gefragt sein, da „die Vorsprünge und vor allem der Spezialisierungsgrad“ in Deutschland so groß seien, sagt Ingo Rollwagen, Analyst beim Thinktank Deutsche Bank (DB) Research.

Vorteile besitzen aber auch all jene Berufe, in denen körperliche Präsenz erforderlich ist: Alten- und Krankenpfleger genauso wie Erzieher, Kindergärtner und Lehrer. Im Bereich der Kinderbetreuung werden bis 2013 zusätzlich etwa 50.000 Fachkräfte und mehr als 30.000 Tagespflegepersonen benötigt. An Schulen sind heute 60 Prozent der Lehrer 50 Jahre und älter.

Kreativbranchen sind auf dem ausfsteigenden Ast

Ein Sektor aber wird sich in den nächsten 20 Jahren zum größten Wachstumsmotor entwickeln: die „Creative Industries“.

Dazu gehören etwa Architektur und Design, Buch- und Verlagswesen sowie Software.

Nach Berechnungen der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung hat die Kreativwirtschaft ihren weltweiten Umsatz von 831 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 binnen fünf Jahren auf 1,3 Billiarden gesteigert. Die Europäische Kommission zählt sie zu den erfolgreichsten europäischen Wirtschaftsfeldern überhaupt. Und die Experten sind sich einig: Der jährliche Beitrag der Kreativbranchen zum Bruttoinlandsprodukt wird in den kommenden Jahren noch weiter von derzeit sieben auf zehn Prozent steigen.

Einige Länder haben das Wachstumspotenzial längst erkannt. Großbritannien etwa hat schon 1997 eine Creative Industries Task Force gebildet.

Seitdem fördert das Kulturministerium die Musikbranche, das Wirtschaftsministerium berät Unternehmen der Kreativwirtschaft und das Bildungsministerium verankert entsprechende Inhalte in den Lehrplänen. Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Kreativwirtschaft wächst in Großbritannien doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft.

Deutschland indes hinkt wieder einmal hinterher. Zwar erwirtschaften die rund 210.000 deutschen Kreativen jährlich rund 60 Milliarden Euro – damit liegt die Branche direkt hinter dem Kreditgewerbe und der Automobilindustrie.

Allerdings hat die Bundesregierung erst in diesem Jahr eine Initiative gestartet. Allzu kreativ geht die Regierung dabei noch nicht vor. Geplant sind vorerst lediglich Branchengespräche und Workshops.

Projektwirtschaft ist mehr und mehr gefragt

Dabei könnte davon die gesamte Volkswirtschaft profitieren. Der US-Ökonom Richard Florida hat in seinem Bestseller „The Rise of the Creative Class“ im Jahr 2004 den Begriff der „kreativen Ökonomie“ geprägt hat.

Er konnte zeigen, dass wirtschaftliche starke Regionen vor allem kreative Menschen anziehen – und umgekehrt: Wer Geistesarbeiter wie Architekten, Ingenieure Wissenschaftler und Künstler an sich bindet, ist auch ökonomisch erfolgreich. In Deutschland, so eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger, betrifft das vor allem die Ballungszentren München, Stuttgart und Hamburg.

Trend Projektwirtschaft.  Auch das wird kommen: Arbeitnehmer werden künftig öfter zeitlich begrenzt und in Teilprojekten zusammenarbeiten. Ist eine Aufgabe beendet, werden die Teams neu aufgestellt. Der Grund: Durch die globale Konkurrenz stehen die Konzerne zunehmend unter Zeitdruck. 

Die Lebenszyklen von Produkten verkürzen sich, die Neuentwicklung von Nachfolgeprodukten muss schneller gehen. Also werden alle Entwicklungsschritte rund um den Erdball verteilt. Bevor die Entwickler in London in den Feierabend gehen, schicken sie die Zwischenergebnisse nach New York – wo gerade ein neuer Arbeitstag anfängt. Von dort wandern sie virtuell nach Tokio und dann wieder zurück nach London.

Nach Prognosen von DB Research wird die Projektwirtschaft im Jahr 2020 15 Prozent der deutschen Wertschöpfung ausmachen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es gerade einmal zwei Prozent.

Die eigene Reputation wird wichtig für die Teamarbeit

Der kanadische Management-Autor Don Tapscott nennt die neue Arbeitsform Wikinomics, eine Wortschöpfung aus der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia und dem englischen Wort für Ökonomie. Da Unternehmen die besten Ideen nicht immer in den eigenen Reihen finden, binden sie externe Forscher und Entwickler ein, die in der virtuellen Welt kooperieren.

Manche stoßen bei dieser vernetzten Arbeitsweise nicht nur bildlich gesprochen auf Gold, sondern durchaus wörtlich: So veröffentlichte der Chef des kanadischen Bergbauriesen Goldcorp vor einigen Jahren im Internet geologische Daten eines 200 Quadratkilometer großen Schürfgebiets.

Wer die besten Fundorte für Gold fand, sollte über eine halbe Million Dollar Preisgeld bekommen. Jeder, der sich dazu berufen fühlte, konnte die Daten am Computer zu Hause auswerten. Weltweit machten sich Physiker, Mathematiker und Geologen auf virtuelle Goldsuche. Am Ende des Projekts hatte der Konzern über 50 neue Fundorte ausgemacht. Ausbeute: 227 Tonnen Gold.

In einer Welt, in der viele nur noch in ständig wechselnden Teams und dazu noch virtuell zusammenarbeiten, steigt allerdings auch die Bedeutung der eigenen Reputation. Frei nach dem Motto: Wer einen schlechten Ruf hat, geht beim nächsten Auftrag leer aus.

Neue Kommunikationskanäle bieten neue Möglichkeiten

Für den Arbeitnehmer der Zukunft ist es daher essenziell, in allen wichtigen sozialen Netzwerken im Internet vertreten zu sein und dort neue Kontakte zu knüpfen sowie alte zu pflegen.

Eine Studie der Online-Marktforschung Ciao Surveys kam im Mai 2008 zu dem Ergebnis: Schon heute sind 63 Prozent der Deutschen in mindestens einer Online-Community aktiv, jeder zehnte Deutsche in mehr als fünf. Von den 18- bis 22-Jährigen sind es sogar fast 80 Prozent.

Bisher dienen die virtuellen Welten jedoch meist dem Privatvergnügen: Nur 13 Prozent der 35- bis 44-Jährigen nutzen die Online-Netzwerke auch für berufliche Zwecke.

Ein Fehler: Denn wen man kennt, aber auch wen man nicht kennt, wie man mit anderen kommuniziert, wie groß das eigene Netzwerk und wie breit die Interessen sind – all dies wird auf diesen Plattformen nicht nur transparent, es prägt zunehmend auch das eigene Image.

Die Online-Beziehungen werden zu sozialen Gradmessern. Wer etwa im deutschen Business-Club Xing kaum wichtige Menschen in seinem Netzwerk hat, ist offenbar selbst nicht wichtig.

Soziale Netzwerke, Wikis, E-Mails, Chatrooms, Handys – all diese Kommunikationskanäle ermöglichen es den Mitarbeitern nicht nur produktiver als je zuvor zu kommunizieren und zu kooperieren. Sie verringern im Arbeitsalltag gleichzeitig aber auch die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Umweltschutz durch virtuelle Konferenzen

Für die Umwelt und die Unternehmen ist das gut: Nach einer Studie der Global e-Sustainability Initiative, einem Zusammenschluss zahlreicher Technologiefirmen wie Intel, Motorola und Deutsche Telekom, könnte ein Fünftel der weltweiten Geschäftsreisen durch Web-basierte Technologien und Videokonferenzen wegfallen.

Allein die IT-Beratung Accenture verzichtete durch virtuelle Besprechungen im vergangenen Mai auf 240 internationale Geschäftsreisen und 120 Inlandsflüge. Ersparnis pro Monat: eine Million US-Dollar. Der IT-Konzern Cisco wiederum spart durch Video-Konferenzen 100 Millionen US-Dollar Reisekosten – pro Jahr.

Zudem können die Unternehmen Kosten für Büros und feste Belegschaften sparen. In den Konzernzentralen von morgen wird nur noch ein fester Kern von Angestellten benötigt, der den virtuellen Bienenschwarm aus Freiberuflern, Subunternehmern und Telearbeitern koordiniert. Zwar werden Büros und Zentralen nie ganz verschwinden, aber, so Tapscott, „es wird weniger zwingende Gründe geben, monolithische Arbeitsplätze zu organisieren, auf denen sich der Inhaber täglich einfinden muss“.

Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt

Vielen deutschen Arbeitnehmern kommt das entgegen: 50 Prozent von ihnen würden am liebsten an mehreren Tagen in der Woche von zu Hause aus arbeiten, 17 Prozent ziehen das Home-Office grundsätzlich der Arbeit im Büro vor, so das Ergebnis einer Forsa-Umfrage.

Beim Software-Konzern Sun arbeiten gar schon 16.000 der 35.000 Mitarbeiter von zu Hause aus. Ergebnis: Die Produktivität der Mitarbeiter stieg um 34 Prozent, die Immobilienkosten sanken um 63 Millionen US-Dollar.

Die Sache hat allerdings einen Haken: Mit der modernen Technik verschwimmt weitgehend die Grenze zwischen Beruf und Privatleben. Das Handy ist immer an, berufliche E-Mails werden auch abends und am Wochenende bearbeitet.

Und selbst im Urlaub droht ständige Erreichbarkeit. So können sich bereits 14 Prozent der Finanzmanager keinen Urlaub mehr ohne Laptop oder PDA vorstellen, so das „Workplace Survey“ der Personalberatung Robert Half. Die Ferien der Zukunft – sie werden womöglich nicht mehr nach dem schönsten Strand, sondern dem stabilsten WLAN-Netz ausgewählt.

E-Mails schreiben, chatten, telefonieren, konferieren, Kaffee trinken – am besten alles gleichzeitig? Psychologen warnen davor, es zu übertreiben. Multitasking macht nicht produktiver – es bewirkt das glatte Gegenteil. Die US-Beratungsfirma Basex hat ausgerechnet, dass amerikanische Manager im Jahr 28 Milliarden Arbeitsstunden mit Unterbrechungen verdaddeln, die durch ständiges Wechseln der Tätigkeit verursacht werden. Kosten für die US-Wirtschaft pro Jahr: 588 Milliarden Dollar.

Die Schattenseiten des neuen Arbeitstrends

Der US-Soziologe Jeremy Rifkin prägte vor einigen Jahren den Begriff „Proteische Persönlichkeit“.

Diese Wortschöpfung geht zurück auf den griechischen Gott Proteus, der sich zwar in jede beliebige Gestalt verwandeln konnte, dafür aber einen existenziellen Preis bezahlte: Er konnte sich nie selbst finden. Rifkin versteht darunter heutzutage Menschen, die so sehr durch moderne Kommunikationsmittel vernetzt sind, dass sie ihre eigene Identität aus den Augen verlieren.

Die Folgen sind bereits heute zu beobachten. Seit einigen Jahren nehmen die psychischen Erkrankungen von Angestellten dramatisch zu. Im vergangenen Jahr behandelten deutsche Kliniken zum ersten Mal häufiger Verhaltensstörungen und Depressionen als Krebs- und Kreislauferkrankungen.

Führungskräfte sind gut beraten, darauf rechtzeitig zu reagieren. Nicht nur, um den eigenen Stress zu minimieren, sondern weil die neue Arbeitswelt auch die Management-Anforderungen umkrempelt.

Der Chef als Einpeitscher und Komandant hat dann ebenso ausgedient wie der Typ Vaterfigur, der alles weiß, sieht und kontrolliert. Gefragt sind vielmehr Manager, die mit den neuen Kommunikationsformen perfekt umgehen können sowie über „Kollegialität führen und nicht über strikte Hierarchien“, sagt Kienbaum-Geschäftsführer Tiemo Kracht. Der Manager von morgen ist eher Moderator und Motivator in einem.

Die Anforderungen an die Arbeitsumgebung steigen

Zum einen, weil Kreative einen Großteil ihrer Motivation aus Freiräumen, aus Verantwortung und spannenden Projekten schöpfen. Diese Freiräume müssen ihnen die Manager einräumen, genauso wie sie ihre Belegschaften aus unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Standorten auf gemeinsame Ziele einschwören können müssen – und zwar immer seltener durch persönliche Ansprache, dafür umso häufiger über eine Klaviatur aus diversen digitalen Kanälen.

Zum anderen, weil derlei Kreative und hoch qualifizierte Top-Talente eine zunehmend knappe Ressource sind, um die alle Unternehmen global werben. Für die Führungskräfte heißt das: Sie müssen nicht nur regelmäßig die besten Teams zusammenstellen und rekrutieren, sondern die Talente auch halten. Und das gelingt bei diesen Leuten eben kaum par ordre du mufti.

Projektarbeit, Flexibilität, Kreativität – mit den neuen Anforderungen an die Arbeitswelt steigen auch diejenigen an die Arbeitsumgebung. „Kreative Menschen brauchen ein kreatives Umfeld“, sagt der Innenarchitekt Rudolf Schricker. Die grauen, eintönigen Bauten von heute sind damit sicher nicht gemeint.

Entsprechend widmet sich auch die Fachmesse Orgatec im Oktober in den Kölner Messehallen dem Erfolgsfaktor Büro. Und dabei wird es nicht nur um Tische und Stühle gehen. Sondern um geräuschabsorbierende Türfüllungen, um energiesparende Lampen und angenehme Düfte. Grund: Mitarbeiter in solchen modernen Büros sind „bis zu 36 Prozent produktiver“, sagt Jörg Kelter, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart, der ebenfalls am Büro von morgen forscht. Ein Unternehmen ist schon heute Vorreiter in Sachen angenehme Arbeitsatmosphäre: Google.

Der Internet-Konzern hat in der Zürcher Entwicklungszentrale Aufenthaltsräume mit Flipperautomaten, Billardtischen und Kaffeebars eingerichtet. Für Entspannung sorgt ein von Bachrauschen beschallter Raum, Massagen inklusive.

Natürlich macht der Konzern das alles aus Kalkül: Wer sich wohlfühlt, arbeitet freiwillig länger und umso lieber. Das zieht sogar Top-Talente an: Der Suchmaschinendienst landete beim jüngsten WirtschaftsWoche-Ranking der beliebtesten Arbeitgeber allein bei den Informatikern mit weitem Abstand auf Platz eins.

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