Sie wissen es ja selbst: Wir leiden unter zunehmender Komplexität unserer Arbeit. Man hat uns angewöhnt, dieses bestimmte Wort dafür zu verwenden: „Komplexität“. Aber wir stöhnen eigentlich unter einer selbst verursachten Kompliziertheit. Wir ächzen unter höherer Arbeitsdichte und dem Dauerbefehl, ständig den Gewinn zu steigern. Wir fühlen uns vom Tagesgeschäft aufgefressen und haben weder Zeit noch die innere Kraft, nachhaltig eine gute Zukunft in die Wege zu leiten. Zwischendurch kommt es von außen oder anderen Unternehmensbereichen oft zu abrupten Veränderungen, an die wir uns gezwungen loyal mehr schlecht als recht anpassen. Die Arbeit macht immer weniger Freude, sie ist fremdbestimmter denn je.
Über den Autor
Gunter Dueck, 63, war Professor für Mathematik an der Universität Bielefeld und wechselte 1987 an das Wissenschaftliche Zentrum der IBM in Heidelberg, wo er bis 2011 als Cheftechnologe arbeitete. Seither ist er vor allem als Autor, Netzaktivist und Vortragsredner tätig. Jetzt erscheint bei Campus sein neues Buch „Schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam“.
Moment – stimmt es denn wirklich, dass die Arbeit keine Freude mehr macht? Hmmh. Sie macht keine Freude? – Doch! Sie macht noch Freude. Aber das Drumherum wird immer schlimmer. Wir dürfen jedes Jahr weniger selbst entscheiden, müssen in Meetings unsere Arbeitsleistungen rechtfertigen, fast wie vor einem Gericht, und auch zwischendurch immer wieder auf drängende Fragen der Art „Wie weit sind Sie?“ oder „Wo stehen wir?“ antworten. Jeder Arbeitsschritt soll dokumentiert werden, offenbar, damit man uns später noch juristisch belangen kann, wenn sich ein Fehler herausstellt. Alles wird notiert und abgezeichnet, was oft länger als die eigentliche Arbeit dauert. Wird uns damit nicht latent kriminelle Energie unterstellt? In den vielen Meetings, reden wir kaum mehr über unsere Arbeit, wir koordinieren nur noch genervt, wer bis wann was zu erledigen hat. Das ist so zeitintensiv, dass wir kaum noch zur Arbeit selbst kommen, die wir folglich unter Zwang zu den vorher bestimmten Deadlines abliefern.
Die Taktfrequenz steigern
Es fühlt sich so unsinnig an, in langatmigen Meetings herumzusitzen. Warum beredet der Manager seit einer Viertelstunde etwas mit meinem Kollegen, was mich selbst nicht betrifft? Könnte ich da nicht an meinen konkreten Aufgaben weiterarbeiten? Jetzt verlangt der Chef noch höhere Leistungen. Wir sollen die Taktfrequenz steigern, sagt er – und bezieht sich dabei auf die Metapher des Ruderns. Wir sollen schneller rudern, er ist unser Metronom, der kleine Steuermann, der nicht selbst rudert. Keine Zeit mehr. Unsere Zusammenarbeit ist in der letzten Zeit schlechter geworden, weil mehr und mehr Leute zu ihren Deadlines nicht mit ihren Teilaufgaben fertig werden. Dadurch verzögern sich die Arbeiten der Tüchtigen ebenfalls und wir müssen die Gesamtpläne revidieren.
Wir sollen ein zusammengeschweißtes Team bilden, fordert der Chef. Aber wir lösen im Team doch nur die Probleme, die durch Pannen und Verzögerungen entstehen, die wir in der Eile nicht einfach so beseitigen konnten. Das hat nichts mit wirklicher Zusammenarbeit zu tun! Das Ganze ist zu kompliziert geworden. Das ist es. Wir kommen uns manchmal schon dumm vor.
Früher war das Arbeiten einfacher. Heute gibt es oft Gezanke, die Nerven liegen blank. Wir wollen nicht für die Fehler anderer beschuldigt werden. Jeder Fehler, der uns zugerechnet wird, beeinflusst unser Gehalt, unseren Bonus und die nächste Beförderung. Alles hängt auf unselige Weise mit allem anderen zusammen.
Als Team spinnen wir
Lange schon hat uns das Management beschwichtigen wollen, dass nun mal die Komplexität der Arbeitswelt zunähme – es entstünden ja überall neue globale Beziehungen und Wechselwirkungen. In der letzten Zeit ist aber unsere immer lauter werdende Verzweiflung in der Hierarchie nach oben gestiegen. Unsere Chefs sind ebenfalls mutloser geworden. Da jedoch Chefs nicht mutlos sein dürfen, müssen sie ständig behaupten, gut aufgestellt zu sein. Sie haben weltweit einheitlich vereinbart, Probleme einfach zu verleugnen, indem sie von Herausforderungen sprechen. Wir dachten schon früher manchmal, unsere Chefs spinnen, wenn sie ihren seltsam unpassenden Optimismus versprühten. Aber sie müssen das tun! Sie können nicht wie wir am Kaffeeautomaten meckern. Unsere Chefs sind intelligente Menschen, aber auch sie versinken jetzt im Chaos. Und da sie das leugnen müssen, wirken sie, als würden sie spinnen.
Jeder Einzelne von uns ist für die eigene Arbeit intelligent genug. Aber die Arbeit der Einzelnen passt nicht mehr zusammen. Ich versuche es mal so auf den Punkt zu bringen: Als Einzelne sind wir klug und stark, aber als Team spinnen wir. Wir agieren als Unternehmen, als Team, als Gremium gemeinschaftlich so, wie wir es einzeln als Mensch ohne Fesseln und Zwänge nie täten. Wir sind aktiver Teil eines Ganzen, das gegen all das handelt, was unsere persönliche Intelligenz und unser eigenes Herz uns raten. Die Summe aller unserer Fähigkeiten ist größer als das, was wir zusammen leisten. Unsere Bosse klagen gebetsmühlenartig: „Ach, wenn wir es einmal schaffen würden, unsere volle Energie auf die Straße zu bringen, wären wir unbesiegbar.“ Das heißt, dass wir weit unter unseren gefühlten Möglichkeiten bleiben und darüber bei klarer Sicht (beim Bier am Abend) fast ins Verzweifeln kommen. Die Kompliziertheit stranguliert uns. Das Ganze ist dümmer als die Summe der Intelligenz der Einzelnen.
Daher mein Appell, auf die einfache Seite zu wechseln. Nicht auf die „simple“ Seite, sondern auf die „smarte“. Was ich damit meine, zeigt ein Blick auf die Web-Seite von Olivia Mitchell. Sie erläutert die große Kunst der Präsentation. Alles Wissen, das der Fachmann hat, ergibt ein hochkomplexes Geflecht von Wechselwirkungen, das man dem Zuhörer lieber nicht zumuten sollte. Es gibt zwei Möglichkeiten der Abhilfe: Zunächst kann man das Komplexe brutal simplifizieren (auf Englisch dumb down, wie „im Niveau herunterschrauben“ bzw. „verdummen“). Auf der anderen Seite kann man versuchen, das Komplexe durch paradigmatische Vorstellungsbilder so „genial einfach“ darzustellen, dass es für jedermann eingängig ist. In beiden Fällen ist das Komplexe für den Zuhörer vereinfacht worden. Der Redner hat die Wahl: Entweder er vereinfacht bis zur Niveaulosigkeit – das geht relativ leicht. Oder er denkt sehr lange über Metaphern, Visionen und sprechende Beispiele aus dem Erfahrungshorizont der Zuhörer nach, die das Wesentliche der komplexen Zusammenhänge auf den Punkt bringen.
Ein solides Stück Patchwork
Wenn Sie eine Einzelperson sind, können Sie sich entscheiden – so oder so. Wenn Sie aber als Team oder neudeutsch „Schwarm“ die Aufgabe haben, in einer Stunde eine Präsentation für den Chef zusammenzubasteln? (Ich kann Ihnen versichern: Manager sagen wirklich „basteln“!) Sie wissen, worauf es hinausläuft, wenn man „basteln“ sagt. Die Manager hetzen im Tagesgeschäft hin und her, keiner will sich da wertvolle Zeit freischaufeln, um in aller Ruhe die Präsentation alleine fertigzustellen. Aber getan werden muss es. Die Runde schaut sich an. Wer soll jetzt arbeiten? Da fällt der Zaubersatz: „Wir sollten das in einem Meeting machen.“ Sie atmen auf. Keiner muss allein arbeiten, sie basteln gemeinsam. Als das Meeting beginnt, erscheint nur etwas mehr als die Hälfte der Manager. Die anderen haben leider ein „wichtiges Verkaufsgespräch“ oder einen „entscheidenden Kundenbesuch“. Die tatsächlich im Meeting Anwesenden aber sind wegen des Stresses allesamt unvorbereitet gekommen (sie kommen immer unvorbereitet in die Meetings) und stellen nun per Copy and Paste etwas aus älteren Präsentationen zusammen.
Neue Managementmethoden mit flachen Hierarchien
Motivierender als klassische Seminare sind Veranstaltungen, die flache Hierarchien, Selbstorganisation und Ideenaustausch fördern.
Zu Beginn befragen sich jeweils zwei Teilnehmer gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen die Erkenntnisse auf einer Pinnwand. Anschließend bilden die Teilnehmer einen großen Kreis mit Pinnwänden, auf denen jeder Teilnehmer ein Thema vorschlagen kann. Dann verteilen sich die Anwesenden gemäß ihren Interessen. So entstehen Arbeitsgruppen, die anschließend die Themen vertiefen. Es gilt das „Gesetz der zwei Füße“: Wer sich langweilt, der schließt sich einer anderen Diskussion an. Am Ende stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor, die Zuhörer geben Feedback. Das Ziel: Aus der Diskussion soll ein konkretes Projekt entstehen.
Bei diesem Format werden nur Ort und Teilnehmer vorgegeben – Themen und Referenten ergeben sich spontan aus dem Teilnehmerkreis. Wer mag, kann einen Beitrag vorbereiten, andere referieren frei über ihr Fachgebiet, wobei sie aber nur eine Einführung geben und die anschließende Diskussion strukturieren. Da sich die vor Ort entstehende Agenda konsequent an den Interessen der Teilnehmer orientiert, wird keine Zeit verschwendet und nicht am Thema vorbei diskutiert. Es entsteht ein kritischer Dialog auf Augenhöhe, ohne starre Hierarchien.
In diesem Format, dessen Name sich vom gleichnamigen US-Paketdienst ableitet, beschäftigen sich Fachleute aus verschiedenen Bereichen einen Tag lang mit einem Thema, das außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegt. Die Idee: mit frischer Perspektive unbelastet von Fachexpertise über Problemstellungen nachdenken. Die Ergebnisse müssen am Ende des Tages präsentiert werden, so entstehen schnell neue Konzepte bis hin zu Prototypen.
Was kommt heraus? Das Ergebnis wirkt nicht wie aus einem Guss, weil noch alle ihre eigene Meinung einbauen wollen. Es ist ein solides Stück Patchwork, wie es der Chef als Grundlage nehmen kann. Er kann noch einen Grafiker über die Folien jagen, dann hebt das Design den dürftigen Inhalt auf akzeptables Niveau. Der Assistent vom Chef soll auch noch mal drüberschauen! Puh – geschafft! Schnell zum nächsten Meeting!
Als Einzelner können Sie autonom zwischen der Dumb-down-Richtung oder dem Versuch zum genial Einfachen wählen. Im Meeting aber bekommt das genial Einfache fast nie eine Chance. Diesen Effekt, dass im Meeting das Simple gegen das Exzellente gewinnt, thematisiere ich unter dem Begriff der Schwarmdummheit. Aber können Teams nicht auch klüger sein als Einzelne? Derzeit kursieren Hymnen über die neue Schwarmintelligenz! Man bejubelt die Höchstleistungen von Internet-Communitys und die Fruchtbarkeit des Team-Design-Thinking-Ansatzes. Die Loblieder klingen so: „Ein Team verfügt in den Mitgliedern über verschiedenste Talente, die kein Einzelner allein vorweisen kann. Teams können über sich hinauswachsen, das Team ist mehr wert als die Summe der Einzelnen. Ein Team bildet Schwarmintelligenz aus!“
Eher Kreis- als Weltklasse
Der Begriff der Schwarmintelligenz stammt aus dem Umfeld des Internets. Dort ist es unter weltweiter Vernetzung von untereinander unbekannten Personen zu erstaunlichen Problemlösungen gekommen. Im Internet trafen sich Menschen und arbeiteten an Erfindungen, schufen gemeinsam Open-Source-Software oder stürzten Diktatoren. Viele Pioniere schwärmen von kollektiver Intelligenz, wie man die Schwarmintelligenz auch nennt. Diese Intelligenz kann natürlich über das Medium des Internets viel einfacher aktiviert werden. In der Wikipedia heißt es dazu: „Das Internet vereinfacht wie nie zuvor, dezentrales Wissen der Menschen zu koordinieren und deren kollektive Intelligenz auszunutzen.“ Aus den Einzelintelligenzen erwächst, so kann man erwarten, die „Weisheit der Masse“.
An diesen Ideen ist aber ein großer Haken! Wenn ich ein Problem mit Schwarmintelligenz lösen möchte, suche ich mir in Foren des Internets Leute zusammen, die begeistert zur Lösung meines Problems beitragen wollen. Ein wechselnder (!) Schwarm von Enthusiasten geht zur Sache. Dabei entsteht aber niemals die Weisheit einer großen Masse, sondern die Weisheit dieses einen speziellen Teams, das sich genau für diesen einen bestimmten Zweck zusammengefunden hat. Niemand hat hier Nebeninteressen – es geht ausschließlich darum, gemeinsam das Problem zu knacken. Und wenn das Problem gelöst ist – das ist ein wichtiger Punkt –, gehen alle wieder ihre Wege. Neues Problem – neuer Schwarm. Dann hat jeweils dieser Schwarm oder dieses spezielle Team Schwarmintelligenz. Solch ein Ad-hoc-Team kann gemeinsam aufbrechen, etwas genial Einfaches zu kreieren. Das kann gelingen, weil in einem solchen Team alle Mitglieder diesen Sinn für das Ganze, Klare und Vollendete mitbringen, weil sie alle den gleichen Traum träumen.
Keine Spur von Schwarmintelligenz
Im realen Leben aber funktioniert das nicht. Denn in der Unternehmenswirklichkeit treffen nicht für jedes spezielle Problem die jeweils besten Experten in immer neuen Teams zusammen, sondern wir haben sehr gemischte Abteilungsmeetings mit immer denselben Zusammensetzungen und eher Kreisklasse- als Weltklasseexperten. Im Internet schwärmen vielleicht die intelligenten Weltmeister, aber auf dem Flur stoppeln wir uns wieder einmal eine nicht ganz ausgereifte Lösung zusammen.
Ich will sagen: Im wirklichen Leben löst man die verschiedensten Probleme in immer gleicher Umgebung, in Unternehmen, in der Familie, in der Partei oder in Abteilungsmeetings. Neues Problem – alte Abteilung. Da erlebt man nicht so oft die Weisheit der Masse, wenn überhaupt je! Gemeinschaften und Teams sehen sich unter vielen verschiedenen Interessenlagen gelähmt und änderungsunwillig. Meetings oder Streitigkeiten, die um die immer gleichen Streitpunkte kreisen, lassen uns verzweifeln. Keine Spur von Schwarmintelligenz – hier herrscht die Schwarmdummheit.
Ich habe die Mehrzahl von Meetings wie gestohlene Lebenszeit empfunden. Denn im Meeting treffen sich eben nicht nur Leute, die voller Freude ein Problem lösen wollen und sich extra deshalb zusammengefunden haben. Nein, es kommen fast niemals Sieben Samurai zusammen. Nein, es treffen sich immer dieselben Streithähne, die ein (meist durch eigene Schuld) entstandenes Problem lösen müssen – und dafür sind sie nicht Experten, sonst wäre das Problem nicht da.
Der Text ist ein Auszug aus Gunter Duecks neuem Buch „Schwarmdumm“ (Campus)