Aktienmärkte Hedgefonds kämpfen ums Überleben

Hedgefonds kämpfen um ihr Überleben, Schwellenländer ringen mit dem Bankrott, Unternehmen treten auf die Bremse, weil die Konjunktur einbricht. Trotz möglicher Zwischenerholungen ist der Crash an den Aktienmärkten noch lange nicht beendet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Crash an den Quelle: dpa

Bei Hedgefonds-Managern ist Porsche unten durch. Auf ihrem Edel-Flohmarkt, den Kleinanzeigenseiten des Finanzdatenanbieters Bloomberg, bietet am vergangenen Mittwoch ein Manager eines der größten Hedgefonds in London seinen dunkelblauen Porsche Boxster mit Stereoanlage von Bose für umgerechnet nur 18.750 Euro an. Dabei ist der Wagen erst 60.000 Kilometer gefahren und „hat keinen einzigen Kratzer“, versichert der Verkäufer am Telefon.

Am selben Tag steigt die Porsche-Aktie um 37 Prozent, nachdem Porsche bekannt gegeben hatte, jetzt drei Viertel der Volkswagen-Aktien zu kontrollieren. Hedgefonds, die wegen der absurd hohen Bewertung der VW-Aktie auf einen fallenden Kurs gesetzt hatten, mussten nun um jeden Preis einige der wenigen noch an der Börse verfügbaren Papiere ergattern. Ob der Notkäufe sprang der VW-Kurs binnen zwei Tagen um 372 Prozent in die Höhe. Mehreren Fonds droht wegen des Porsche-Coups das Aus. „Einige kleinere Hedgefonds werden schließen müssen aufgrund ihrer Verluste bei Volkswagen“, sagt James DeBono, der für die Investmentbank Duff & Phelps Hedgefonds berät. „Hedgefonds und Eigenhändler von Banken haben mit Leerverkäufen bei Volkswagen mehr als 30 Milliarden Euro verloren“, schätzt der Gründer eines europäischen Fonds.

Um 20 Prozent bergab an der Wall Street im Oktober

30 Milliarden Verlust – eine stolze Summe und dennoch nur eine Randnotiz im Schwarzen Oktober 2008. Rund 13.000 Milliarden Dollar Aktienwert ging an den Börsen verloren. An New Yorks Wall Street rasten die Kurse im Crash-Monat um fast 20 Prozent in den Keller, ebenso in Japan und Hongkong. Der russische Markt stürzte binnen 30 Tagen um 40 Prozent ebenso Argentiniens Börse. Auch der Dax notierte zwischenzeitlich nur noch bei der Hälfte seines Wertes zu Jahresbeginn von rund 8000 Zählern – ohne die absurden Kursaufschläge bei Volkswagen wäre er sogar weit unter der 4000-Punkte-Marke gelandet.

Nach den brutalen Verlusten setzten die Aktienmärkte dann Ende des Monats zu einer fast ebenso spektakulären Erholung an. Binnen drei Tagen legten die Börsen in den USA und Europa um mehr als zehn Prozent zu, der japanische Nikkei schaffte sogar 26 Prozent plus. „Um bis zu 30 Prozent“, könnten sich die Börsen weltweit jetzt erholen, sagt Investoren-Legende Marc Faber. Doch ist das schon die Wende, sind Aktien endlich so billig, dass sich auch für längerfristig orientierte Anleger ein Einstieg lohnt?

„Davon ist nicht auszugehen, der Abbau der immensen Schulden im Weltfinanzsystem wird weiter andauern und die Märkte ebenso belasten wie die sehr schlechten Konjunkturaussichten“, sagt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch in Frankfurt.

Allein die USA haben 51.000 Milliarden Dollar Schulden angehäuft, fast 600.000 Milliarden Dollar ist der – über Kredite aufgeblähte – Derivatemarkt groß. Virtuelles Kapital, das nun abgebaut werden muss – teils über echte Verkäufe, in erster Linie aber über die Wertvernichtung von Investments.

Die Bedeutung der Spekulanten, die über Derivate ein Vielfaches des ihnen zur Verfügung stehenden Kapitals einsetzten, ist enorm: Hedgefonds standen vor der Krise hinter fast jedem zweiten Geschäft, bei dem eine Aktie den Besitzer wechselte. Nun aber kämpft die vor Kurzem noch 2000 Milliarden Dollar schwere Branche um ihr Überleben. Vielen Fonds droht das Aus. „Die Branche wird um die Hälfte bis zwei Drittel schrumpfen“, sagt George Soros, der 1992 mit Wetten gegen das Pfund die Bank von England in die Knie zwang.

Hauptproblem der Spekulanten: Die Banken drehen den Geldhahn zu. Hedgefonds stehen bei ihnen mit 4000 Milliarden Dollar in der Kreide. In ihrer Not verkaufen die Manager alles, was noch Wert hat, vor allem Aktien. „Gerade als der Kapitalbedarf der Hedgefonds stieg, wurden die Mittel knapp“, sagt Mary Ann Bartels, Analystin bei Merrill Lynch. Die Kreditknappheit sei „eine dauerhafte Veränderung, die viel schwerer wiegt als der vorübergehende Abfluss von Kundengeldern“, sagt ein europäischer Hedgefonds-Gründer. Fatal: „Banken verfolgen an den Börsen oft ähnliche Handelsstrategien wie wir, sie beschleunigen und verstärken den Kursrutsch zusätzlich.“

hedgefonds

Bliebe die Hoffnung, dass sich wenigsten die Konjunktur im Verlauf des kommenden Jahres erholt, die Unternehmensgewinne nicht zu stark einbrechen und sich die Börsenkurse deshalb stabilisieren. Wahrscheinlich trügt diese Hoffnung. Denn die Krise hat die Industrie erreicht. Bei Daimler, BMW und Opel stehen die Bänder still. SAP-Chef Henning Kagermann beklagt den schärfsten Nachfrage-Einbruch beim weltgrößten Firmensoftwarehersteller binnen 26 Jahren. Lufthansa kürzt die Gewinnprognose, bei konjunktursensiblen Unternehmen wie Cemex, dem drittgrößten Zementhersteller der Welt, brechen die Erträge um 75 Prozent ein. Bei Volvo bestellten Kunden im dritten Quartal noch ganze 115 Lkw – im Vorjahreszeitraum waren es noch 41.970 Stück – 360 mal mehr. In Großbritannien schrumpft die Wirtschaft bereits, in den USA ebenso, das Verbrauchervertrauen sinkt auf ein 40-Jahres-Tief, die US-Häuserpreise sacken weiter.

Ratinganalysten, die Staaten und Unternehmen auf ihre Zahlungsfähigkeit hin überprüfen, kommen mit den Abstufungen kaum noch hinterher. Im dritten Quartal standen einer Heraufstufung bei Bank-, Unternehmens- und Staatsanleihen drei Abwertungen durch die Ratingagentur Moody’s gegenüber.

US-Anleihegläubiger bangen schon jetzt um 188 Milliarden Dollar an Unternehmensschulden, die kurz davorstehen, nicht mehr bedient zu werden. Jeder vierter US-Unternehmensschuldner mit schwacher Bonität steht vor dem Aus – ein historischer Rekord. Viele Papiere notieren nur noch bei zehn Prozent ihres Nennwerts. Auch in Europa bieten Anleihen seit Jahrzehnten nicht mehr bekannte Renditeaufschläge zu Staatsanleihen. Rentenpapiere von BMW oder Thyssen etwa bringen 4,5 Prozent mehr Rendite als Bundesanleihen.

Finanzmonopoly gefährdet sogar den Euro

Das Finanzmonopoly gefährdet inzwischen gar den Euro, ganz zu schweigen von den Währungen osteuropäischer Länder und anderer Schwellenländer, denen der Bankrott droht. Ungarn erhält vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Europäischen Union einen 20-Milliarden-Euro-Kredit, nachdem der Budapester Markt für Staatsanleihen kollabiert ist und sogar eine Pleite des Landes nicht mehr ausgeschlossen wird. Die Ukraine wird vom IWF mit 16,5 Milliarden Dollar bedacht, um das heimische Bankensystem stützen zu können.

Gingen tatsächlich ganze Länder bankrott, dürften sich wiederum die Banken die Finger verbrennen. Denn drei Viertel der 4700 Milliarden Dollar an Auslandsschulden Osteuropas, Lateinamerikas und der Schwellenländer Asiens liegen in den Bilanzen westeuropäischer Banken.

Der Überlebenskampf der Spekulanten erfasst auch den im Vergleich zum Aktienmarkt weit größeren Devisenhandel. Die japanische Währung sprang zum US-Dollar innerhalb von sechs Wochen um 15 Prozent in die Höhe, weil Hedgefonds und andere Investoren in Japan Kredite zurück- zahlten, die sie zuvor zu niedrigen Zinsen aufgenommen und in Europa und den Schwellenländern angelegt hatten.

Dieses Geld fließt jetzt zurück. 30 Milliarden Dollar an ausländischen Anlagen haben US-Investoren dieses Jahr schon heim- geholt, ein Trend der sich beschleunigt: Allein in der ersten Oktoberwoche zogen sie 4,2 Milliarden ab. Doch der Großteil ihres im Ausland angelegten Kapitals liegt noch in Übersee. Allein 2007 investierten Amerikaner 130 Milliarden in deutsche Aktien, ungarische Anleihen oder chinesische Immobilienfonds. Sollte sich der Trend, Geld heim aufs US-Sparbuch zu holen, nicht umkehren, drohen in Europa und an den anderen Börsen weitere Abschläge.

Hätten sich Banken, Fonds und Spekulanten nicht so heillos mit Krediten übernommen und drohte deswegen nicht eine tiefgreifende Rezession, wäre für Anleger eigentlich der Zeitpunkt gekommen, sich Aktien zuzulegen. Unternehmen wie Lufthansa, Thyssen, RWE oder BASF gehen mit starken Bilanzen in die Krise – selbst ein paar Jahre mit roten Zahlen wären für sie leicht zu überstehen. Gemessen an wichtigen Aktienkennzahlen, die über die Gewinnbewertung hinausgehen, notieren viele Papiere auf historischen Tiefs. Eine BASF kostet kaum mehr als das den Aktionären zustehende anteilige Vermögen von 20 Euro je Aktie. Trotz reduzierter Gewinnprognose dürfte die Lufthansa kommendes Jahr zehn Prozent Dividendenrendite bieten. Für einen Umsatz-Euro, den ThyssenKrupp 2008 erwirtschaften wird, zahlen Anleger nur 13 Cent. Da ist schon ein massiver Geschäftseinbruch im niedrigen Kurs drin.

derivate

Doch solange vor allem die Hedgefonds unter Druck stehen, ist ein Ende des Kursdesasters nicht in Sicht. Nicht nur die Banken drängen die Hedgefonds-Manager in die Ecke, sondern auch ihre Kunden. Allein im September zogen Hedgefonds-Investoren 43 Milliarden Dollar ab, schätzt der Datenlieferant Trim Tabs –, ein Monatsrekord. Die Analysten der Investmentbank Morgan Stanley, einer der größten Dienstleister für die Branche, erwarten für das laufende Halbjahr einen Einbruch des verwalteten Kapitals um ein Drittel auf weniger als 1400 Milliarden Dollar.

Kein Wunder, dass die Hedgefonds-Manager auf die Verkaufstaste drücken, um Geld für Kundenforderungen flüssig zu machen. Die Verluste der Branche – minus 20 Prozent seit Jahresbeginn laut Berater Hedge Fund Research – dürften erst der Anfang sein. Sie treffen auch die Hedgefonds-Kunden. Das sind nicht nur reiche Privatleuten sondern auch Pensionskassen und Versicherer.

Hedgefonds-Krise belastet auch Durchschnittsverdiener

Die Hedgefonds-Krise wird so auch Durchschnittsverdiener belasten, deren Altersvorsorge – „zur Risikostreuung“, wie Portfoliomanager behaupten – auch in Hedgefonds wanderte. „Die Frage zu stellen, wie tief die Kurse noch fallen werden, ist daher müßig, weil niemand weiß, wie viel Positionen noch zwangsliquidiert werden müssen. Sicher ist nur, dass die extremen Verschuldungen zwangsweise abgebaut werden“, sagt Unger.

Besonders über den Dax möglicherweise. Denn ausländische Hedgefonds-Manager schimpfen angesichts ihrer Verluste während der Turbulenzen um VW auf die „deutsche Micky-Maus-Börse“. Es sei „unglaublich“, dass es Porsche in einem entwickelten Finanzmarkt erlaubt sei, durch ein Schlupfloch im Gesetz 74 Prozent der Aktien von Volkswagen anzuhäufen, ohne dies bekannt zu geben, flucht der Chief Operating Officer eines großen US-Hedgefonds. „Das wird dem deutschen Markt dauerhaft schaden“, sagt er.

Der Londoner Hedgie beteuert allerdings, seinen Boxster nicht aus Zorn über Porsche oder die Deutschen abzustoßen. „Ich will einfach meine Kosten senken und erst einmal ohne Auto leben. Eventuell kaufe ich mir nächstes Jahr einen Smart.“ Sie sind bescheiden geworden, die einstigen „Masters of the Universe“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%