Altersvorsorge Die Riester-Bombe

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Der ehemalige Arbeitsminister Quelle: REUTERS

„Reicht das?“, fragt der Textron-Manager und schaut auf seine Uhr.

Johnson-Thomas nickt. Er bedankt sich und geht.

Später wird er erzählen, die meisten Waffen, die er in Kriegen gesehen habe, seien von verantwortungsvollen Partnerstaaten erworben worden. Aber irgendwann waren diese Staaten nicht mehr verantwortungsvoll. Oder keine Partner mehr.

Johnson-Thomas war oft in Afrika, im Sudan, im Kongo, in Ruanda. Mitten in der Savanne, am Rande eines Dorfes, fand er eine Napalmbombe. Noch eine Waffe, die verboten ist. Sie stammte aus Osteuropa.

Von Johnson-Thomas erfahre ich, dass die Amerikaner die CBU-105 im Jahr 2003 im Irakkrieg einsetzten. Auch dort blieben zahlreiche Blindgänger liegen, die Fotos stehen im Internet. Offenbar funktionierte die CBU-105 nicht so wie von Textron behauptet. Ein Schlachtfeld ist kein Testgelände.

Brian Johnson-Thomas war kein Pazifist, als er als junger Mann die Marine verließ. Er ist es in all den schmutzigen Kriegen nicht geworden, die er erlebte. Aber es sollten Soldaten sein, die in Kriegen sterben, nicht Kinder, nicht Zivilisten. Das ist seine Sicht der Dinge.

Johnson-Thomas sagt: „Jeder, der den Bau von Streubomben unterstützt, macht sich zum Verbündeten der Kriegsverbrecher.“

So wie ich.

Vielleicht war es ein Versehen. Ein dummer Zufall, dass ich ausgerechnet an den Deutschen Ring geriet und dass diese Versicherung ausgerechnet den Pioneer U.S. Mid Cap Value auf seiner Fondsliste hat. Es gibt in Deutschland 14 Millionen Riester-Verträge. Pro Jahr steckt der deutsche Staat rund vier Milliarden Euro in diese Form der Altersvorsorge. Vielleicht bin ich eine Ausnahme, einer von ganz wenigen, bei denen das Geld in die Produktion von Streubomben fließt.

In Berlin treffe ich Thomas Küchenmeister, einen ruhigen, 53-jährigen Mann, der sich seit Jahrzehnten mit Sprengkörpern beschäftigt. Küchenmeister hat lange die deutsche Sektion der Internationalen Kampagne zur Ächtung von Landminen geleitet, die 1997 den Friedensnobelpreis bekam. Er weiß, welche Unternehmen Streubomben bauen oder bis vor Kurzem gebaut haben. Manche befinden sich in Staatsbesitz, wie die Pakistan Ordnance Factories oder die chinesische Firma Norinco. Andere sind an der Börse notiert. Wer Geld hat, kann sich an diesen Unternehmen beteiligen.

Gadhafi ließ Streubomben auf Wohnviertel in Misrata werfen.

Es ist ein Riesengeschäft

 Es sind vor allem amerikanische Konzerne. Textron ist dabei, außerdem die Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, General Dynamics, Raytheon und Alliant Techsystems.

Alle paar Monate, an bestimmten Stichtagen, muss jeder Manager eines Investmentfonds offenlegen, an welchen Unternehmen er beteiligt ist. Internationale Informationsdienste wie Bloomberg und Thomson Reuters sammeln diese Berichte. Aus ihren Datenbanken lässt sich nicht nur herauslesen, dass Textron zuletzt einen Jahresumsatz von 10,5 Milliarden Dollar verbuchte. Sondern auch, welche von deutschen Versicherungsunternehmen angebotenen Investmentfonds einen Teil ihres Geldes in die Hersteller von Streubomben gesteckt haben.

Das Ergebnis: Egal, ob Allianz, Condor, WWK, Generali, Volkswohlbund, Stuttgarter, Basler, Neue Leben oder Volksfürsorge – bei mehr als einem Dutzend Versicherungen flossen die Rentenbeiträge in Bombenaktien. Und die Zuschüsse des deutschen Staates gleich mit. Es ist ein Riesengeschäft.

Es gibt jemanden, den dies mehr berühren muss als andere, weil er die Riester-Rente schätzt wie sonst niemand. Es ist der Mann, der sie erfunden hat: Walter Riester, 67 Jahre alt, gelernter Fliesenleger, ehemaliger Bundesarbeitsminister, seit 45 Jahren Mitglied der SPD, seit zwei Jahren Privatier.

Riester ist gerade in Österreich, als wir telefonieren. Er hat sich dort ein Haus gebaut, in Kärnten, in schöner Lage, ist aber oft in Deutschland unterwegs. Riester hält Vorträge, er gibt Seminare, fast immer geht es um die Rente, die seinen Namen trägt. Er ist seiner Erfindung treu geblieben.

Ich erzähle ihm, dass mir dank der Riester-Rente jetzt eine völkerrechtswidrige Waffe gehört. Dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Riester schweigt einen Moment. Ich erwarte, dass er gleich von unglücklichen Verstrickungen spricht, das Thema klein macht. Dass er versucht, seinen Namen zu schützen. Riester-Bombe, das hört sich nicht gut an.

Walter Riester macht das Thema noch größer. Er war in seinen letzten Jahren als Bundestagsabgeordneter oft in Entwicklungsländern unterwegs, in Afrika, in Asien. Er sagt, er wisse um die Wirkung von Streubomben. Ihn störe nur eines: dass ich das Problem allein mit seiner Rente in Verbindung bringe. Er sagt, es gebe in Deutschland viel mehr private Lebensversicherungen als Riester-Verträge, sechsmal so viele. Wer wisse schon, wohin dieses Geld fließt, vielleicht auch in Streubomben. Und dann seien da noch die deutschen Banken. „Wem geben die ihr Geld?“, fragt Riester.

Ja, wem?

Thomas Küchenmeister, der ehemalige Leiter der Anti-Landminen-Kampagne, hat vor Kurzem eine neue Organisation gegründet. Sie heißt „Facing Finance – Finanzmärkte im Visier« und soll herausfinden, welche Geldinstitute gegen internationale Normen und Verträge verstoßen.

Gemeinsam mit der umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Urgewald und dem holländischen Analyseinstitut Profundo hat Küchenmeister einen Report über die Investitionen deutscher Finanzhäuser erstellt. Darin steht: Die Deutsche Bank und ihre Tochterunternehmen besitzen Aktien und Anleihen von Streubombenherstellern im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro. Die Bank hat außerdem im Auftrag von Streubombenherstellern mehrmals Aktien und Anleihen an die Börse gebracht und sich an einem Kredit für einen Hersteller in Höhe von einer Milliarde Dollar beteiligt.

Darin steht außerdem: Auch die Bayerische Landesbank, die Landesbank Baden-Württemberg, die Norddeutsche Landesbank und andere öffentlich-rechtliche Geldhäuser haben noch nach Unterzeichnung der Streubomben-Konvention in die Bombenhersteller investiert.

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