Aufstiege und Untergänge Deutsche Unternehmen: Hit oder Niete?

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"Wir sind ein Stahlunternehmen"

In staubigen Büchern der Wirtschaftsgeschichte steht, dass Berthold Beitz, der heute noch quicklebendig ist, Ende der 50er das Volkswagenwerk schlucken wollte. Alfried Krupp war dagegen („Herr Beitz, wir sind ein Stahlunternehmen“). Nach den Maßstäben der Fusionitis jüngster Geschichte, als Vodafone Mannesmann übernahm und vom Börsenzettel tilgte (damals Platz 4), wäre es locker möglich gewesen, dass Großunternehmen Nummer eins (Krupp) Großunternehmen Nummer 4 (VW) übernimmt. Feindlich wäre das nicht gegangen, denn VW gehörte damals noch der Bundesrepublik zu hundert Prozent. Krupp montierte noch Krupp-Laster und stellte auch gleichzeitig so ziemlich alles in den Schatten, was sonst noch Brummis baute. Die Firma Henschel zum Beispiel - der Name ist ausgestorben, mit Sitz in Kassel - fand sich 1958 auf Platz 94 wieder. Das wäre nicht weiter interessant gewesen, wenn dieser Platz nicht noch eine Stelle vor BMW rangiert hätte.

BMW also auf Platz 95 der Liste. Herbert Quandt fing erst richtig an. Sein Unternehmen, das damals 195 Millionen Mark Umsatz machte und 1958 unwesentlich größer war als die Deutschen Linoleum-Werke AG (193 Millionen Mark Umsatz), hätte eigentlich ein Schnäppchen sein können. Wäre man damals ein deutscher Goldman-Sachs-Abgesandter gewesen mit heutigem Wissen – soweit voraus zu denken darf man von einem Investmentbanker wohl noch verlangen – würde man BMW und Borgward kaufen und zu einem Unternehmen zusammenführen – vielleicht unter das Dach von Krupp und Henschel bringen - Chance von damals also verpasst.

Kratzige Kunststoffhemden

Borgward? Ach so, das war mal eine Aufsteiger-Automarke aus Bremen, 1958 mit 622 Millionen Mark Umsatz vier mal größer als BMW und auf Platz 45. Borgward ist untergegangen, die Isabella kurvt nicht mehr über Ludwig Erhards frisch asphaltierte Straßen. Etwas größer als Borgward war übrigens eine Firma namens Bochumer Verein, heute als Teil der Georgsmarienhütte ein Unternehmen von Jürgen Großmann, der damals sechs Jahre alt war und gerade eingeschult wurde.  

Noch etwas größer als Borgward und Bochumer Verein, fast so groß wie Klöckner Humboldt Deutz, waren die Vereinigten Glanzstoff Werke. Das Textilunternehmen ist nicht ganz verschwunden (der Name schon). Es findet sich in kaum rekonstruierbaren Resten beim niederländischen Chemiekonzern Akzo Nobel wieder – das Geschäft mit Chemiefasern ist hier aufgegangen. 1958 waren die Vereinigten Glanzstoff Werke aber riesig. Das Unternehmen stellte die schimmernden Festtagsanzüge der Deutschen her, mit denen Mitte der 80er Jahre noch Erich Honecker gesehen wurde.

Treibsatz für Umsatz und Gewinn der Deutschen Glanzstoff Werke aber waren die Nyltest-Hemden, bügelfrei und billig (5,50 Mark), zu erwerben in der Kaufhalle (damals mit 332 Millionen Mark Umsatz größer als Hochtief). Heute gibt es diese Kaufhalle nicht mehr. Klingt ja auch nicht nach Lifestyle. Der Bedarf für hartfaserige, kratzige Kunststoffhemden war enorm. Sie sind vom Körper der aufstiegswilligen deutschen Männer auch verschwunden.

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