Banken Kartell der Derivate-Zocker

Die EU ermittelt gegen die Elite der Bankenwelt. Die Institute sollen ein Kartell im Billionengeschäft mit Kreditversicherungspapieren gebildet haben. Indizien dafür gibt es zuhauf.

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Ein Goldman-Sachs-Schild an Quelle: REUTERS

Üppige 110 Milliarden Dollar haben Banken weltweit an Griechenland und seine Unternehmen verliehen. Eine gewaltige Zahl, sicher – wenn Griechenland pleiteginge, wäre das für so manche Bankbilanz eine Katastrophe. Was in der Debatte über einen Schuldenschnitt für Griechenland untergeht, ist ein ungleich größeres Problem: Auf Kredite an Griechenland und viele andere Staaten haben Banken weltweit komplizierte Finanzprodukte aufgelegt. Allen voran Kreditausfallversicherungen, sogenannte Credit Default Swaps (CDS). CDS sind eigentlich recht simple Produkte: Wer einen CDS kauft, sichert sich gegen die Pleite des Schuldners ab und zahlt dafür eine Prämie. Tritt der Schadensfall ein, erhält er die vereinbarte Versicherungssumme.

Milliardeneinbußen

Laut US-Finanzministerium sind weltweit CDS im Wert von 28 Billionen (28.000 Milliarden) Dollar im Umlauf. Wie viel davon auf griechische Anleihen entfallen, ist unbekannt. Fest steht nur: Banken, die CDS auf Griechen-Papiere begeben haben, müssten ebenfalls Milliardeneinbußen verkraften. Bei einer Umschuldung der Griechenland-Kredite, das lassen Politiker immer wieder durchblicken, sollten auf keinen Fall CDS zur Auszahlung fällig werden. Ansonsten drohe eine Kettenreaktion – wie 2008, als nach der Lehman-Pleite der Versicherer AIG, damals weltgrößter Spieler bei CDS, vom Staat mit 180 Milliarden Dollar gerettet werden musste. Seither versuchen Aufsichtsbehörden weltweit, den CDS-Handel an die Kette zu legen. Bisher mit wenig Erfolg. Wie hebeln die Banken die Behörden aus? Und wie funktioniert das Billionengeschäft?

Schutz vor Pleiten

Im Prinzip sind CDS Versicherungen. Der CDS-Verkäufer garantiert dem Versicherten für den Fall, dass ein Schaden eintritt, die Zahlung einer bestimmten Summe. Eine Hausratversicherung etwa funktioniert genauso.

Aber: Eine Hausratversicherung wird nicht sekundenschnell gehandelt, man kann sie auch nicht unter der Hand verschachern oder mit anderen Versicherungen zu einer neuen Police bündeln. Man schließt sie auch nicht ab, wenn es nichts zu versichern gibt – und auf einen fallenden Wert seines Hausrats kann man damit schon gar nicht spekulieren.

Und: Hausratversicherungen haben noch nie einen Finanzcrash ausgelöst.

CDS schon. Sie hatten einen erheblichen Anteil an der Finanzkrise des Jahres 2008. Banken und Hedgefonds können sie jederzeit handeln, sie verkaufen, ohne dass jemand dies mitbekommt. Sie lassen sich mit anderen CDS zu Paketen schnüren und weiterverkaufen. Man kann sie erwerben, ohne dass man die Anleihe, die sie eigentlich versichern, besitzt. Wer sie massenhaft verkauft, kann ihre Kurse drücken. Weil viele Profis auf CDS schauen und sie häufiger gehandelt werden als viele Anleihen, können Kursbewegungen bei CDS sich sogar auf Anleihen übertragen. Der Schwanz wackelt mit dem Hund: Komplizierte Finanzprodukte, deren Preisbildung für Außenstehende völlig undurchschaubar ist, bestimmen mit über den Wert griechischer Staatsschulden. Spekulationen mit CDS sollen 2010 die Finanzkrise Griechenlands verschärft haben.

Kartellwächter alarmiert

Weltweit zu den größten Spielern gehört die Deutsche Bank, als Schaltstelle zwischen der Wall Street und deutschen Provinzbanken. In großem Stil kauft das Team von Holger Jackisch, Chefhändler der Bank in Frankfurt, CDS bei Investmentbanken wie JP Morgan oder Goldman Sachs und verkauft sie an hiesige Institute. „Unsere größten Kunden sind Landesbanken wie die BayernLB oder die HSH Nordbank“, sagt Jackisch. Oft reichen die Käufer die CDS an Sparkassen oder Firmenkunden weiter.

Erwerben können Käufer die CDS praktisch nur bei einem erlesenen Kreis internationaler Großbanken, zu dem auch die Deutsche Bank gehört. Die Geldhäuser verdienen prächtig an hohen Margen. Kartellbehörden in Brüssel und Washington argwöhnen, dass die Institute, um ihre Gewinne zu schützen, Konkurrenten systematisch fernhalten. Die EU-Kommission hat gleich zwei Kartellverfahren gegen Banken eingeleitet. Auch das US-Justizministerium prüft, ob im Geschäft mit CDS alles mit rechten Dingen zugeht. „Die Kartellabteilung untersucht die Möglichkeit von wettbewerbswidrigen Praktiken beim Clearing und Handel von Kreditderivaten sowie den begleitenden Informationsdienstleistungen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums der WirtschaftsWoche.

Konzentrierter Markt

Tatsächlich ist der Markt für Kreditderivate in hohem Maße konzentriert. Laut US-Finanzministerium hielten Ende 2010 die fünf Großbanken JP Morgan, Bank of America, Citigroup, HSBC und Goldman Sachs CDS mit einem Nennwert von insgesamt 13,7 Billionen Dollar – annähernd die Hälfte des weltweiten Marktes.

Der CDS-Markt werde von einem „Club der Derivate-Dealer“ beherrscht, sagt der US-Bankenkritiker Robert Litan. „Alle Kunden, die Derivate und insbesondere CDS haben möchten, müssen mit den Dealer-Banken abschließen“, sagt Litan, einst Spitzenjurist im US-Justizministerium und heute Wissenschaftlicher Direktor der Kauffman Foundation in Kansas. Die Großbanken würden nicht nur den Handel mit Derivaten kontrollieren, sondern auch die Infrastruktur, sagt er.

Eine Schlüsselrolle in dem vermuteten Kartell spielt die Londoner Markit. Das Unternehmen beobachtet mit 2000 Mitarbeitern im Auftrag der Dealer-Banken den weltweiten Markt für CDS. Markit hat Büros in allen wichtigen Finanzzentren der Welt und liefert Preisdaten zu rund 3000 Kreditderivaten. Markit Group arbeitet dabei mit rund 25 bis 30 großen Banken aus Europa und den USA zusammen.

Die Preisdaten verkauft Markit weltweit an rund 300 Kunden. Die Wettbewerbshüter der EU gehen nun dem Verdacht nach, dass das Unternehmen seine Eigentümer ein klein wenig früher mit den Preisdaten beliefert als andere Geschäftspartner. Wer als Erster die aktuellen Preise kennt, hat bei Spekulationen die besten Chancen.

Gotha der Finanzwelt

Die Eigentümer von Markit sind exakt die 16 Banken, die die EU-Kommission unter Kartellverdacht stellt. Die Liste liest sich wie ein Gotha der Finanzwelt: Neben der Commerzbank und der Deutschen Bank sind aus der Schweiz Credit Suisse und UBS dabei. Die französischen Großbanken BNP Paribas, Crédit Agricole und Société Générale halten ebenso Anteile an Markit wie ihre britischen Konkurrenten Barclays, HSBC und Royal Bank of Scotland. Die Wall Street ist mit Citigroup, Goldman Sachs, JP Morgan, Morgan Stanley und der Bank of America mitsamt der Tochter Merrill Lynch vertreten. Deutsche Bank, Commerzbank und andere Finanzinstitute äußerten sich auf Anfrage nicht zu den Ermittlungen.

Zweiter Vorwurf der Kartellwächter: Die Eigentümerbanken sollen Markit bevorzugt mit Rohdaten versorgt haben, aus denen die Firma die veröffentlichten CDS-Preise errechnet. Damit würden Konkurrenten wie die Agenturen Bloomberg und Reuters benachteiligt. Eine Firmensprecherin dementiert: Markit habe „keine exklusiven Vereinbarungen mit bestimmten Datenlieferanten, und es stellt seine Daten und darauf beruhende Produkte den globalen Marktteilnehmern auf einer breiten Basis zur Verfügung“.

Was läuft bei der ICE?

 Im Zentrum eines zweiten Kartellverfahrens, das die EU-Kommission in Sachen CDS gestartet hat, stehen die Derivate-börse ICE in Atlanta und ihre Tochter ICE Trust. Ermittelt wird gegen die Deutsche Bank, die beiden Schweizer Großbanken, die britische Barclays und fünf führende Adressen der Wall Street. Diese Banken kassieren 50 Prozent der Gewinne, die ICE Trust bei der Verrechnung (Clearing) von CDS-Geschäft macht.

 Nach der Finanzkrise, in deren Verlauf der Derivatehandel dramatisch eingebrochen war, versprachen die Großbanken, eine Verrechnungsstelle (Clearing-Stelle) für CDS aufzubauen. Durchgesetzt hatte die Selbstverpflichtung Timothy Geithner, damals Präsident der Federal Reserve Bank von New York, heute US-Finanzminister. Theo Lubke, bei Geithner für die Reform des privaten Derivatemarkts verantwortlich, hatte mehrfach moniert, es dürfe nicht sein, dass eine „Handvoll großer Händler das Konzept und die Struktur des Derivatemarkts beherrschen kann“.

Über die Clearing-Stelle sollte der gesamte CDS-Handel abgewickelt werden. Ein von ihr betriebener Fonds sollte haften, sobald ein Handelspartner Verpflichtungen aus CDS-Geschäften nicht mehr nachkommen würde. So sollte das Risiko, dass CDS-Spieler wie AIG und Lehman Brothers die Finanzmärkte mit in den Abgrund reißen könnten, minimiert werden.

Die Banken wollten für das CDS-Clearing die Firma The Clearing Corporation (TCC) aus Chicago nutzen; sie gehörte den neun Großbanken, die die EU-Kommission jetzt aufs Korn nimmt. Doch das kleine Clearing-Haus hatte kein funktionierendes Modell für Kreditderivate. ICE-Chef Jeffrey Sprecher, half den Banken aus der Patsche: Er übernahm das Clearing-Haus TCC und gliederte es als ICE Trust in seine eigene Derivateplattform ein. Im Gegenzug beteiligte er die neun Alteigentümer zu 50 Prozent an den Gewinnen des neuen Clearing-Hauses.

Das Modell, das Sprecher für die Banken konstruierte, war offenbar ganz nach deren Geschmack. Die neun Banken, so der Verdacht der EU-Kommission, müssen seither geringere Gebühren zahlen als andere Clearing-Teilnehmer von ICE Trust. „Ich habe die anderen Anbieter ausmanövriert“, sagte Sprecher einmal. Seine Konkurrenten, unter ihnen die Chicago Mercantile Exchange (CME), eine der größten Derivatebörsen der Welt, und die Deutsche-Börse-Tochter Eurex, werden vom globalen CDS-Kartell ignoriert.

Die Umsatzzahlen sprechen eine klare Sprache: Die ICE Trust, die im März 2009 an den Start ging, verrechnete bis Januar 2011 ein Clearing-Volumen von 15 000 Milliarden Dollar. Hingegen erzielte Eurex Clearing 2010 nur 100 Millionen Euro CDS-Umsatz, die CME wickelte bis Mitte 2010 gerade mal 200 Millionen Dollar ab.

Geheime Verabredungen

Weder die Deutsche Bank noch andere Institute äußern sich dazu, warum sie für CDS-Clearing fast ausschließlich einen Anbieter nutzen.

Wettbewerbshüter hegen den Verdacht, die marktbeherrschenden Banken hätten sich insgeheim dazu verabredet, das Clearing auf ICE Trust zu konzentrieren, um so Konkurrenz fernzuhalten.

Hierfür gibt es ein klares Indiz: Mitglieder von ICE Trust müssen nachweisen, dass sie über fünf Milliarden Dollar liquides Kapital verfügen. Kleinere Banken schaffen dies kaum. Eurex (eine Milliarde Euro) und die CME (500 Millionen Dollar) verlangen deutlich weniger Kapital als ICE Trust.

Und sie kontrollieren bei ICE Trust den Risiko-Ausschuss, der einem Clearing-Haus empfiehlt, welche Produkte zugelassen werden, wie hoch die Gebühren sein sollen und wie der Garantiefonds ausgestattet wird, der bei Ausfall eines Clearing-Mitglieds einspringen muss.

Gewiss hat ein Clearing-Haus ein berechtigtes Interesse, nur liquide Marktteilnehmer zuzulassen. „Die Mitglieder müssen den Garantiefonds finanzieren und wieder auffüllen, wenn ein Zahlungsausfall eingetreten ist“, sagt Derivateexperte Neill Pattinson von der Großbank HSBC. Es ist jedoch fraglich, ob wirklich fünf Milliarden Dollar Sicherheiten nötig sind.

„Anscheinend sind die Kriterien für eine Mitgliedschaft bei ICE Trust so festgelegt worden, dass eine bestimmte Gruppe von Marktteilnehmern sie erfüllen kann und alle anderen durch den Rost fallen“, sagt Marcus Katz, Chefstratege für das Derivategeschäft bei Newedge, einer Tochter von Crédit Agricole und Société Générale.

Das Ziel, den CDS-Handel sicherer zu machen, lasse sich aber kaum mit einer Beschränkung auf einige wenige große Banken erreichen. „Die zentralen Clearing-Stellen müssen möglichst vielen Teilnehmern offenstehen, damit sie sicher und effizient sind“, sagt Katz. Je mehr Clearing-Mitglieder und damit Handelsteilnehmer es gebe, desto besser könnten Risiken verteilt werden.

Aufsicht greift ein

Die US-Terminbörsenaufsicht CFTC hat jetzt eine Verordnung vorgeschlagen, wonach die Kapitalanforderungen dynamisch an die Umsätze der Clearing-Mitglieder angepasst werden. Die Untergrenze für das Mindestkapital soll künftig nur noch bei 50 Millionen Dollar liegen – gerade einmal ein Prozent dessen, was ICE Trust verlangt. Experten wie André Güttler, Finanzprofessor an der European Business School, begrüßen eine solche Regelung: „Die Höhe des Kapitals, das gegenüber der Clearing-Stelle als Sicherheit nachgewiesen werden muss, sollte sich nach den Risiken richten, die Marktteilnehmer eingehen wollen“, sagt er.

Die Großbanken dagegen laufen Sturm gegen die geplante Regelung. Lobbyisten bombardieren die CFTC mit Stellungnahmen. Einen ihrer schärfsten Kritiker haben die Banken schon elegant aus dem Verkehr gezogen: Theo Lubke, der im Auftrag der New Yorker Fed den CDS-Markt reformieren sollte, wurde abgeworben – von Goldman Sachs.

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