Deutsche Börse Kleinaktionäre proben den Aufstand

Private Anleger stellen den Sinn der milliardenschweren Fusion mit der London Stock Exchange infrage. Die Manager der Deutschen Börse haben ihre liebe Mühe, dem geballten Gegenwind mit Argumenten entgegen zu wirken.

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Größe sei das „A und O“, lässt CEO Carsten Kengeter die Aktionäre wissen. Quelle: AP

Es ist Hauptversammlung, womöglich die letzte in Frankfurt. Denn „unser Unternehmen“, wie viele Redner ihre Deutsche Börse liebevoll am Mikrofon bezeichnen, strebt nach Großbritannien, macht sich auf zu einem milliardenschweren Zusammenschluss zur europäischen Superbörse, der Fusion mit der London Stock Exchange (LSE). Die Aktionäre, die an diesem Mittwoch in die Jahrhunderthalle in Frankfurt Höchst gekommen sind, werden bald ein Angebot zum Umtausch ihrer Aktien in jene der neuen Holding in London bekommen. Die Frankfurter sollen künftig gut 54 Prozent an dem fusionierten Unternehmen halten. Das fusionierte Unternehmen käme auf einen Börsenwert von mehr als 25 Milliarden Euro. Wer seine Aktien umtauscht, müsste also künftig zur Hauptversammlung nach London fahren. „Das werden viele hier nicht realisieren können“, sagt ein enttäuschter Rentner.

Überhaupt nutzen viele in Frankfurt den Tag der Hauptversammlung, um ihrem Ärger Luft zu machen. Auf dem in tiefes blau getauchten Podium sitzt die versammelte Führungsriege der Börse: Allen voran Chef Carsten Kengeter und Aufsichtsratschef Joachim Faber, der die Versammlung leitet. Zusammen haben sie die großen Pläne mit London geschmiedet, gemeinsam wollen sie die Fusion jetzt durchbringen. Größe sei das „A und O“, lässt Kengeter die Aktionäre wissen. Und: „Frankfurt bleibt die Stadt des DAX.“ Der Chef redet von einer Liquiditätsbrücke, die er schaffen will, von Synergieeffekten und davon, wie wichtig die Fusion für Deutschland, den Mittelstand und – überhaupt – für ganz Europa sei.

Doch dann haben die Aktionäre das Wort – und sie ergreifen es mit Macht. Für die Kleinaktionäre gibt es kaum ein anderes Thema als die Fusion, als die Fragen: Wieso soll der Hauptsitz nach London? Was wird aus Frankfurt? Sorgen macht den Anlegern auch die bevorstehende Entscheidung der Briten, ob sie in der Europäischen Union (EU) bleiben wollen oder nicht. Andreas Lang von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz etwa äußert Bedenken, ob der Zusammenschluss sich auch im Fall eines EU-Austritts der Briten noch lohne. „Dann wird der Wert der LSE deutlich sinken.“ Damit bestehe die Gefahr, dass die Deutsche Börse mit dem LSE-Deal viel Geld versenke.

Ein Kleinanleger nach dem anderen erklimmt das Rednerpult. Viele geben den versammelten Börsenmanagern ordentlich Kontra. „Sie haben sehr viele Nebelkerzen gezündet“, sagt ein älterer Herr in türkisem T-Shirt. Er zittert, so sehr echauffiert er sich. Schließlich sei die LSE nicht größer und ertragreicher als die Deutsche Börse. „Sie sind der Hans im Glück“, ruft er Kengeter zu, „der die Kuh gegen eine Gans eingetauscht hat und nun wundern sie sich, wieso niemand in Deutschland Beifall zollt.“ Seine Angst: „Letztlich bestimmt dann London. Und sobald der Bulle zum Abdecken in London angekommen ist, wird er filetiert.“ Applaus aus dem Aktionariat. Für sein Millionengehalt, meint der Mann, müsse sich Kengeter jedenfalls „mehr anstrengen“. So wie dem Mann geht es vielen am Rednerpult. „Viele, die hier sitzen, haben Angst und sind sehr unsicher, was hier passieren wird“, ruft ein anderer Redner ins Mikrofon.

„Die Deutsche Börse verliert ihren Namen“

Kengeter versucht, diesen Ängsten entgegen zu treten – doch es gelingt ihm nur schwer, durchzudringen. Immer wieder wiederholt er, was er längst gesagt hat. Seine Entscheidungen, verteidigt der Investmentbanker, müsse er aufgrund von betriebswirtschaftlichen Fakten und Erwägungen treffen. Und da stehen nun mal ganz oben Kosteneinsparungen von 450 Millionen Euro pro Jahr an, ab dem dritten Jahr nach der Fusion. Und die Rechnung sei, versichert er, extern überprüft und bestätigt worden. Nicht jeder Aktionär will dem Manager das bedingungslos abkaufen: Schließlich seien viele Fusionen schon gescheitert, sagt einer, oder die errechneten Kostensynergien kämen am Ende so nicht aus. Zunächst einmal stehen außerdem Kosten für den Zusammenschluss in einem niedrigen dreistelligen Bereich zu Buche.

Mehr als das aber stößt vielen der Plan auf, dass die neue Holding ihren Sitz in London haben soll. Die gebetsmühlenartig vorgetragene Anmerkung, dass mit Deutscher Börse und LSE beide heutigen Unternehmen so bestehen bleiben sollen und die Holding nur als neues Dach aufgestülpt wird, verhallt bei vielen Aktionären fruchtlos. „Die Deutsche Börse verliert ihren Namen“, schimpft einer ins Mikrofon, „aber das britische Element wird betont“, sagt der Mann. Und ein anderer, der 20 Jahre lang mit Briten zusammengearbeitet hat, gibt ganz subjektiv zu bedenken, dass die Briten zunächst einmal an sich selber denken würden. Danach würden sie an die „englischen Leute“ denken und erst danach an die anderen. Dass die größere und stärkere Deutsche Börse es zugelassen hat, den Hauptsitz London zu akzeptieren, findet kaum einer hier in Ordnung. Kengeter entgegnet dem, dass jeder Partner etwas gebe und jeder auch etwas bekomme. Stimmt: Kengeter soll Chef der neuen Holding werden. „Verantwortlich für das operative Geschäft wäre meine Wenigkeit“, sagt er ganz bescheiden. Er rechnet jetzt damit – wenn alles bei Aktionären und den verschiedenen Aufsichtsbehörden durchgeht -, dass die Fusion Ende 2016 oder im ersten Quartal 2017 abgeschlossen ist.

An Fragen wie diesen können die Emotionen schnell überkochen. Einmal grätscht Aufsichtsratschef Faber gar dazwischen: Ein Mann ist ans Mikro getreten. „Von Herrn Kengeter haben wir heute viel blabla gehört“, sagt er. Bisher habe man doch eine sehr sachliche Diskussion gehabt, mahnt Faber. „Ich bitte auch sie sich auf Sachfragen zu konzentrieren.“

Grob die Hälfte der Aktionäre interessiert sich da schon nicht mal mehr für diese Sachfragen: Sie stehen längst unten am Buffet. Der Duft von Lasagne vermischt sich mit dem von Streuselkuchen. Doch auch das stimmt nicht alle versöhnlich. Das Essen sei „keine ordentliche Naturaldividende“, schimpft ein Frankfurter, der zum ersten Mal bei der Deutschen Börse auf der Hauptversammlung ist. Er hat Aktien vieler Unternehmen im Depot. Zum Glück sei morgen die Hauptversammlung von Audi, sagt er erleichtert. Da bekomme man wenigstens ein Modellauto – und gutes Essen.

Ein paar andere Kleinaktionäre debattieren unterdessen munter weiter. Doch trotz all dem Gegenwind – die privaten Anleger werden die Fusion kaum verhindern können. Sie haben bei der Deutschen Börse gerade mal einen Anteil von fünf Prozent. Das Gros der Aktien liegt in den Händen institutioneller Anleger-, und 28 Prozent davon kommen aus … Großbritannien.

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