Die BGH-Richter nahmen die Entscheidung zum Anlass, ihre bisherige Rechtsprechung zu revidieren: Noch 2002 hatte der BGH im Fall Macrotron festgelegt, dass die Hauptversammlung dem Delisting zustimmen muss und Aktionäre ein Angebot auf Abfindung bekommen.
Nun haben die Richter die faktische Enteignung von Anlegern ermöglicht. Wie selbstverständlich heißt es im BGH-Beschluss gar, dass sich nicht feststellen lasse, dass „schon die Ankündigung des Börsenrückzugs regelmäßig zu einem Kursverlust“ führe. Kursverluste gab es früher in der Tat selten – Anleger konnten ja auf eine Entschädigung bauen. Seit dem BGH-Urteil können sie das nicht mehr. Und seither purzeln nach der Delisting-Ankündigung die Kurse.
Anleger bleiben nach dem Delisting zwar Anteilseigner. Viele aber dürfen die Aktien nicht mehr besitzen. „Jeder regulierte Investmentfonds muss beim Delisting aussteigen, weil er im Wesentlichen nur übertragbare Wertpapiere halten darf“, sagt Stefan Degen, Aktien-Chef bei Bayern Invest. So kam die Andritz-Gruppe, Großaktionär des Delisting-Falls Schuler, an weitere Aktien. Es seien einige kleinere Positionen erworben worden, die von Fonds angeboten worden seien, bestätigt Andritz.
Als der BGH das Delisting vereinfachte, dachten Investoren, dass kleine Unternehmen mit geringem Streubesitz und niedrigem Börsenumsatz von der Börse flüchten würden. Aufgerüttelt hat viele nun der Fall Magix: Der Multimedia-Softwarehersteller ist profitabel, 31 Prozent der Aktien sind breit gestreut. Doch Magix begründet den Rückzug nun ausgerechnet damit, dass die Finanzsituation mit 18 Millionen Euro netto in der Kasse so komfortabel sei, dass Eigenkapital vom Aktienmarkt nicht benötigt werde. „Uns geht es gut, wir brauchen euch nicht mehr“ – das scheint die unterschwellige Botschaft an Aktionäre. In der Spitze hatte die Aktie bis zu 30 Prozent verloren.
Kein Kapital für Kleine?
Investoren überlegen nun, ob sie noch in Aktien kleiner Unternehmen investieren können. Fondsmanager Graf sorgt sich, dass Nebenwerte mit einem dominierenden Großaktionär „einen Bewertungsabschlag bekommen, weil das Delisting-Schwert über ihnen schwebt“. Und Götz, der Mann mit den Marseille-Aktien, macht sich „Gedanken, ob einzelne Marktsegmente noch investitionsfähig sind“. Er will sich Manager anschauen: Haben Vorstände schon mal ein Delisting gemacht? „Das muss ich bei einem Investment nun in meine Überlegung einbeziehen“, sagt er.
Einige Aktionäre wollen vorsorgen und versuchen nun, die Börsennotiz in der Satzung des Unternehmens festschreiben zu lassen. Das Thema steht etwa auf der Tagesordnung der Hauptversammlung des Bauunternehmens Strabag. Die Beteiligungsgesellschaft Scherzer & Co. will Gleiches bei GK Software durchsetzen – weil Aktionären durch ein Delisting meist „erheblicher Schaden entstanden“ sei. Die Notiz solle nur dann beendet werden können, wenn ein Abfindungsangebot gemacht werde. Bringen dürften solche Initiativen wenig: Die Strabag AG gehört zu knapp 94 Prozent der österreichischen Strabag SE, GK Software liegt mehrheitlich in den Händen der Gründer.
Auf Hilfe der Börsen können Aktionäre nicht bauen. Die geben zwar Bedingungen vor, zu denen Unternehmen delisten dürfen. Doch die wichtigsten, Frankfurt und Stuttgart, verlangen nur, dass Anlegern noch sechs Monate Zeit bleibt, ehe Aktien aus einem öffentlich-rechtlich regulierten Segment verschwinden. „Die Börse kann und darf keine Einbahnstraße sein, wir können keine Emittenten aufnehmen und sie dann nicht wieder in einem planbaren und geordneten Verfahren entlassen“, sagt Cord Gebhardt, Geschäftsführer der Frankfurter Börse. Die Börse Stuttgart will nur sicherstellen, dass Anleger Papiere bis zum Delisting „zu einem marktgerechten Börsenpreis verkaufen“ können. Und marktgerecht ist dann halt ein niedrigerer Preis.