Bei zwei von vier Ländern lag ich richtig“, sagt Jim O’Neill, alias Mister BRIC. Der Exchefvolkswirt von Goldman Sachs hatte einst das Kürzel BRIC – gebildet aus den Anfangsbuchstaben der Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China – geprägt. Das Kürzel war über Jahre Synonym für scheinbar unendliches Wachstum. Doch Brasilien und Russland stecken in Rezessionen. Mit hohem Wachstum aufwarten kann immer noch China, wird aber zusehends von Indien übertrumpft. Für O’Neills ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs ist Indien „die größte globale Wachstumsgeschichte der kommenden drei Jahrzehnte“.
Angelockt von hohen Erwartungen – der IWF rechnet für 2016 und 2017 mit je 7,4 Prozent Wachstum – und der schwindenden Furcht vor einer Zinswende in den USA, tragen internationale Investoren derzeit wieder Milliarden auf den Subkontinent. Zwischen März und August legten sie allein rund neun Milliarden Dollar am indischen Aktienmarkt an. Der Länderindex MSCI India legte, gemessen am Jahrestief vom Februar, fast 30 Prozent zu, in Euro gerechnet.
Auf Sicht mehrerer Jahre bietet der indische Aktienmarkt Anlegern nach wie vor große Chancen. Indien locke mit einer Menge Positivfaktoren – so wie China vor einer Generation, sagt US-Starinvestor Jeff Gundlach. Zwar wisse er nicht, ob indische Aktien in diesem Jahr weiter steigen. Aber Indien sei ein Land, in das man Geld investiert für die Ausbildung seiner Enkel, so der Chef des Vermögensverwalters DoubleLine Capital.
Fakten und Hintergründe zu Indien
Mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von zehn Prozent im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre und mehr als sieben Prozent im laufenden wie voraussichtlich auch im kommenden Jahr gehört Indien zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften der Welt.
Quelle: DIHK
Infrastrukturausbau sowie Auf- und Ausbau von industriellen Strukturen sind zwei Bereiche von vielen, die für den gewaltigen Entwicklungsprozess in Indien stehen. Weitere Bereiche: Erneuerbare Energien, Automobil und Zulieferer, Dienstleistungen (Logistik, Finanzen)
Für Deutschland ist Indien das 25. wichtigste Handelspartnerland. Hinsichtlich der im Ausland getätigten deutschen Direktinvestitionen liegt Indien auf dem 10. Platz außerhalb der EU.
Der deutschen Ausfuhren nach Indien in Höhe von 8,92 Milliarden Euro (2014) zeugen von der hohen indischen Nachfrage insbesondere nach Investitionsgütern. In erster Linie nach Maschinen (vor allem nicht-elektronische), die etwa ein Drittel der Gesamtexporte nach Indien ausmachen (danach folgen chemische Erzeugnisse und Elektronik). Angesichts der Größe und Dynamik des indischen Marktes ist das Potenzial des deutsch-indischen Handels längst nicht ausgeschöpft.
Deutsche Hauptimportprodukte aus Indien (3,59 Milliarden Euro in 2014) sind chemische Erzeugnisse, Bekleidung und Maschinen.
Über 1.000 deutsche Firmen sind in Indien registriert, darunter über 40 Prozent in der industriestarken Region Mumbai/Pune. Etwa 20 Prozent der deutschen Unternehmen sind als Joint Ventures mit indischen Partnern organisiert. Zu den größten deutschen Investoren in Indien gehören Siemens, Bharat-Benz, Volkswagen und Allianz.
Der turbulente Jahresauftakt an den Weltbörsen hat aber gezeigt: Gegen eine Zinswende in den USA wäre der indische Aktienmarkt nicht immun. Insgesamt ist die Wirtschaft des Landes jedoch weniger anfällig als noch vor drei Jahren. Damals, nachdem die US-Notenbank ein Ende ihrer Anleihekäufe in Aussicht gestellt hatte, kamen die Währungen der sogenannten Fragile Five massiv unter Druck. Gemeint waren fünf Schwellenländer, die wegen hoher Leistungsbilanzdefizite besonders auf Kapital aus dem Ausland angewiesen sind. Dazu gehörte neben Brasilien, Indonesien, Südafrika und der Türkei auch Indien.
Die Wahl von Narendra Modi zum Premierminister im Mai 2014 hat jedoch einiges in Bewegung gesetzt – in die richtige Richtung: Indiens Leistungsbilanzdefizit schrumpfte von 5 Prozent auf 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Inflationsrate hat sich auf sechs Prozent nahezu halbiert. Das passierte, obwohl das Klimaphänomen El Niño in den vergangenen zwei Jahren für Dürren und knappere Ernte gesorgt hatte. Wegen der starken Abhängigkeit Indiens von fossilen Energieträgern brachte auch der fallende Ölpreis Entlastung.
Raghuram Rajan als Gouverneur der Reserve Bank of India (RBI) leistete mit seiner stabilitätsorientierten Geldpolitik ebenfalls einen wichtigen Beitrag. Der angesehene Ökonom, den es wieder zurück in die Forschung zieht, hat ein Inflationsziel eingeführt und widerstand politischem Druck, die Zinsen schneller wieder zu senken. Auf Rajans Drängen wurden die vom Staat kontrollierten Banken gezwungen, Bilanzprobleme anzugehen.
Rajans Nachfolger Urjit Patel muss nun sicherstellen, dass die Bankbilanzen von faulen Krediten bereinigt werden und die Unabhängigkeit der Zentralbank gewahrt bleibt, hofft Adrian Lim, Fondsmanager beim schottischen Vermögensverwalter Aberdeen. Rund acht Prozent aller ausstehenden Bankkredite sind laut RBI notleidend. 90 Prozent entfallen auf staatliche Banken. Die Bilanzen privater Institute sind weitgehend sauber. Sie werden weiter Marktanteile gewinnen. Jüngst hatte die WirtschaftsWoche die Aktie der HDFC Bank empfohlen.