Aktien Börsenwetten auf die Boomregion Brasilien

Das Land bietet, was die Welt braucht: Rohstoffe und Energie. Der große Binnenmarkt verhindert zudem, dass die weltweite Finanzkrise großen Schaden anrichtet. Das macht Brasiliens Aktien interessant.

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Ende der Fahnenstange? Noch brummt Brasiliens Export, der Frachter fährt Soja nach China. Quelle: Laif

Früher hieß es, wenn die USA verschnupft sind, dann hat Brasilien eine schwere Grippe. Doch nun leiden die USA und Europa an einer Lungenentzündung – und Brasilien hat nicht einmal einen Schnupfen. Das Land wirkt derzeit wie eine Insel der Ruhe in einer kriselnden Weltwirtschaft. Wer dieser Tage in Brasilien essen gehen, einkaufen oder verreisen will, hat es nicht leicht: Kaum ein freier Tisch ist zu finden, keine Kasse ist ohne Schlange, und Flugtickets zu einem halbwegs vernünftigen Preis sind kaum zu ergattern.

Die Shoppingcenter sind im Weihnachtsgeschäft schon am frühen Nachmittag proppenvoll. Deswegen verlängern sie jetzt die Öffnungszeiten bis zwei Uhr morgens. Wer in Rio de Janeiro oder São Paulo ein Hotelzimmer buchen will, muss lange suchen oder tief in die Tasche greifen. Ausländische Showstars geben sich die Klinke in die Hand, um in Brasilien aufzutreten. Denn dort verdienen sie richtig Geld. Die Eintrittskarten kosten doppelt so viel wie in den USA, und die Shows sind trotzdem ausverkauft. 300.000 Zuschauer kamen zu drei Konzerten der irischen Superstars U2 in São Paulo. Die billigsten Schwarzmarkt-Karten gab es ab 220 Euro. Wer sein Auto parken wollte, musste selbst ernannten Parkwächtern umgerechnet 40 Euro in die Hand drücken.

Sicher, auch in Brasilien ist nicht alles Gold, gibt es Sorgen, dass die weltweite Krise ansteckend wirken könnte. Nilson Texeira, Chefökonom von Credit Suisse in São Paulo, erwartet, dass Brasiliens Bruttoinlandsprodukt nach knapp 3,0 Prozent in diesem Jahr 2012 nur noch um 2,5 Prozent wachsen wird. Vor allem in der Industrie rechnet der Ökonom mit einem Investitionsstopp und sinkenden Aufträgen. „Die Stimmung unter den Unternehmern verdüstert sich.“

Bergbau, Banken und Bier

Harter Real belastet Exporte

Es ist Klagen auf hohem Niveau. So warnt etwa der Großindustrielle Paulo Cunha von der Industrieholding Ultra, dass Brasilien mit seiner harten Währung Real seine Industrie aufs Spiel setze. „Importwaren überschwemmen den Markt, und Exporteure sind nicht mehr konkurrenzfähig“, klagt Cunha. Das trifft zwar durchaus zu für einzelne Branchen, wie den Maschinenbau. Doch vor der drohenden Deindustrialisierung warnt der Chef-Lobbyist der Industrie seit fast zwei Jahrzehnten.

Dessen Mischkonzern aus Tankstellennetzen, Chemieanlagen und Gasverteilern erwirtschaftet einen Umsatz von knapp 20 Milliarden Euro im Jahr – und nutzt den starken Real, um derzeit in Mexiko und den USA für eine Milliarde Dollar Chemiewerke aufzukaufen. Die Aktien von Ultrapar zählen zu den zehn Aktien Lateinamerikas, die dieses Jahr am besten abschneiden. Krise sieht anders aus.

Verbessertes Rating inmitten der Krise

Brasilien kann sich problemlos finanzieren - Nun hat sogar Standard & Poor's das Rating des Landes aufgewertet. Quelle: dapd

Auch Blairo Maggi, Brasiliens Sojakönig, einer der weltgrößten Farmer, beschwert sich – wie es sich für einen Bauer gehört: dass es inzwischen billiger sei, in Afrika zu pflanzen oder in Argentinien, wegen der hohen Preise für Arbeitskräfte, Düngemittel und Böden in Brasilien. Aber ein Börsengang, nein danke, sei derzeit nicht nötig. „Wir können uns problemlos finanzieren.“ Das sehen die Ratingagenturen auch so: Gerade hat Standard & Poor’s das Rating Brasiliens verbessert – inmitten der Krise, während die Agenturen nun sogar Deutschland mit einer Abstufung drohen.

Hohe Anleiherenditen

Es ist das erste Mal, dass sich Brasilien am eigenen Schopf aus einer weltweiten Krise zieht. Deswegen ist das Land für Investoren weltweit interessant geworden: Bei einem Leitzins von elf Prozent bietet Brasilien hohe Renditen für Anleihen – sowohl von den brasilianischen Multis wie Petrobras oder Vale wie auch vom Staat. Auch die brasilianische Börse ist – im Gegensatz zu vielen Märkten der entwickelten Länder – ein Dauerrenner. Zwar verlor der Aktienindex in São Paulo dieses Jahr 20 Prozent, nach einem bereits schwachen 2010. Doch die seit gut 15 Jahren dauernde Hausse ist intakt, einige brasilianische Aktien bieten jetzt einen guten Zeitpunkt für den Einstieg. Derzeit liegt die Bewertung der Börse mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von neun für 2012 deutlich unter dem historischen Durchschnitt von knapp zwölf.

Berbau und Öl

Langfristig vielversprechend sind die bekanntesten brasilianischen Papiere, die Aktien des Bergbauriesen Vale sowie des Ölkonzern Petrobras. Wegen der unsicheren Prognosen für die Weltwirtschaft und China haben sie zuletzt stark verloren.

Beide Konzerne aber sind innerhalb ihrer jeweiligen Branche kaum zu schlagen: Vale ist der größte Eisenerzkonzern und besitzt gleichzeitig die ergiebigsten Erzvorkommen der Welt. Von jedem Dollar, den Vale für sein Eisenerz erhält, landen 50 Cent in der Kasse als Gewinn. Die operative Marge des Konzerns ist die mit Abstand höchste unter den großen Bergbaukonzernen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von nur fünf für 2012 ist die Aktie im Branchenvergleich preiswert.

Brasiliens Börsengewinner

Kaum zu schlagen: Brasiliens Ölkonzern Petrobras gehört zu den Stärksten in seiner Branche - und gilt als Kraftmaschine der brasilianischen Wirtschaft. Quelle: REUTERS

Petrobras ist der börsennotierte Ölkonzern, dessen Reserven am schnellsten wachsen. Gleichzeitig ist der Konzern mit seinen Raffinerien, Verteilernetzen und der eigenen Offshore-Technologie die Kraftmaschine der brasilianischen Wirtschaft. Das schlechte Abschneiden des brasilianischen Index in diesem Jahr hat weniger mit den schrumpfenden Gewinnaussichten seiner Unternehmen zu tun als mit seiner Struktur: Der Bovespa-Index wird dominiert von Blue Chips aus den Branchen Erz, Stahl und Öl. Die aber litten besonders unter der Rezessionsangst der Investoren. Zusammen mit den Banken machen sie fast die Hälfte der Kapitalisierung der Börse aus. So fällt kaum auf, dass sich im Index eine ganze Reihe interessanter Börsengewinner versteckt.

Konsumaktien etwa, die regelmäßig besser abschneiden als der Gesamtindex: Der Internet-Provider UOL, die Modekette Hering aus Südbrasilien, die Kreditkartenfirma Redecard sowie der Hähnchenmäster Brasil Foods – alle haben in diesem Jahr im Kurs zwischen 25 und 35 Prozent zugelegt. Angesichts hoher Bewertungen sind sie kein Schnäppchen mehr. Anleger mit langem Atem dürfen dennoch an schwachen Tagen zugreifen.

Gigantischer Binnenmarkt

Auch die in Brasilien gelistete Brauerei Ambev, die zum belgisch-brasilianisch-amerikanischen Bierbrauer AB Inbev gehört, ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 22 teurer als Konkurrenten, zum Beispiel SAB Miller. Doch eine hohe operative Rendite von 40 Prozent führt dazu, dass die brasilianische Tochter mehr als die Hälfte des Gewinns des Weltkonzerns („Anheuser Busch“) beiträgt.

Es ist vor allem der brasilianische Binnenmarkt mit seinen 190 Millionen Konsumenten, der Brasilien für Unternehmen und damit Investoren interessant macht. Trotz Krise in Euro-Land, Schwäche in den USA und möglicherweise China ist weiteres Binnenwachstum wahrscheinlich. Brasilien unterscheidet sich gleich mehrfach von anderen wichtigen Märkten weltweit: wegen der hohen Kaufkraft der Konsumenten; wegen ihrer vergleichsweise geringen Verschuldung; wegen ihrer Konsumfreude. Und weil immer mehr Einwohner sozial aufsteigen und in der Lage sind, mitzumachen beim großen Konsumfest.

Wachsende Mittelschicht

Heiße Weihnachten - Bis 2 Uhr nachts öffnen die Shoppingmalls in Brasilien ihre Tore, da die Konsumnachfrage glänzend ist. Quelle: dapd

Trotz der im Vergleich mit Indien und China bescheidenen Wachstumsraten ist Brasiliens Markt für Konsumartikelkonzerne wichtiger, als es etwa Brasiliens Anteil am Welthandel erahnen lässt. Für Unilever, Nestlé, Procter & Gamble oder Beiersdorf ist Brasilien nach Umsatz und Rendite der Standort Nummer eins oder zwei weltweit. Das liegt am hohen Pro-Kopf-Einkommen der Brasilianer. Mit rund 13.000 Dollar ist die Kaufkraft der Brasilianer doppelt so hoch wie die der Chinesen und zehnmal so hoch wie die der Inder. Außerdem sind in den letzten vier Jahren 30 Millionen Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen – und haben mit ihren neuen Bedürfnissen ganz neue Märkte geschaffen: vor allem dort, wo der Staat versagt, etwa bei Bildung, Gesundheit, Sicherheit.

Aber auch Versicherungskonzerne, Wohnungsbaufirmen und Reisekonzerne boomen. So wollen die USA jetzt die Zahl der Diplomaten in Brasilien verdoppeln, damit die Visa-Anträge der Brasilianer schneller bearbeitet werden können: Denn den USA kommen die kaufkräftigen brasilianischen Touristen in der derzeitigen Stagnation gerade recht. In Miami dominieren schon brasilianische Käufer den Immobilienmarkt.

Konsumfreudiges Volk

Brasilianer sind außergewöhnlich konsumfreudig. Sie lieben Marken, wollen immer das neueste und beste Modell. Und sie neigen nicht zu Understatement. Der sofortige Konsum ist ihnen wichtiger, als zu warten, bis sie das Geld für das begehrte Luxusobjekt gespart haben oder es möglicherweise ein Sonderangebot gibt. Reiche Brasilianerinnen zahlen, ohne zu zögern, für eine Louis-Vuitton-Handtasche den doppelten Preis, die diese in Paris kosten würde – wenn sie das Accessoire in 20 Raten auf Kreditkarte (zu horrenden Zinsen) abstottern und dafür sofort mit nach Hause nehmen dürfen. Das Gleiche gilt für die Supermarktkassiererin, die ihr erstes iPhone kaufen will. Kaufen und mitnehmen – jetzt, nicht morgen!

An der Börse hat der gestiegene Lebensstandard der Brasilianer seine Spuren hinterlassen. Zunehmend mehr Konsumaktien sind dort gelistet. An der Bovespa gibt es neuerdings einen Index der Konsumaktien (Icon) und einen der Bau- und Immobilienunternehmen (Imob). Baukonzerne machen heute schon rund sechs Prozent im Bovespa-Index aus. Dabei fand der erste Börsengang eines brasilianischen Baukonzerns erst 2005 statt, als Cyrela an die Börse ging. Auch Shoppingcenter-Betreiber wie BR Malls, der größte in Lateinamerika, sind neu an der Börse – und bei ausländischen Investmentfonds als krisensichere Anlageobjekte begehrt.

Geballte Kaufkraft

Starke Devisen: Brasilien ist mit 350 Milliarden Dollar Reserven einer der größten Gläubiger der USA - und profitiert dadurch in der weltweiten Krise. Quelle: REUTERS

Dank der geballten Kaufkraft der Brasilianer investieren ausländische Konzerne in Brasilien wie schon lange nicht mehr. 75 Milliarden Dollar haben sie in den vergangenen zwölf Monaten nach Brasilien überwiesen, für Akquisitionen, Fusionen oder ganz neue Fabriken. Das ist der höchste Zufluss seit zehn Jahren. Der Zustrom ausländischen Kapitals stabilisiert die Leistungsbilanz. Gleichzeitig sind die Devisenreserven stark angestiegen. Mit 350 Milliarden Dollar Reserven ist Brasilien der viertgrößte Gläubiger der USA – das erhöht Brasiliens Sicherheit in der weltweiten Krise.

Geldpolitik hat noch Munition

Zudem hat Brasilien durch langjährige solide Geld- und Finanzpolitik einen großen Spielraum an Instrumenten zur Verfügung, mit denen es gegen einen möglichen Abschwung vorgehen kann: „Brasilien besitzt einen der größten Werkzeugkästen für die Krise weltweit“, sagt Alexander Gorra von BNY Mellon ARX in Rio de Janeiro. So hat die Zentralbank mit der überraschenden Zinssenkung Ende August klargemacht, dass sie diesmal nicht wie 2008 abwarten will, bis eine weltweite Rezession die Nachfrage auch in Brasilien kappen wird.

Schwächelnder Real belebt die Industrie

Der Vorteil: Der Zinssenkungszyklus beginnt in Brasilien erst. In den meisten anderen Ländern dagegen haben die Zentralbanken keinen Raum mehr für Zinssenkungen. Die Maßnahmen der Notenbank zeigen Wirkung: Der Real hat erstmals gegenüber dem Dollar deutlich an Wert verloren. Das wird die Industrie beleben. „Die Regierung wird alle geldpolitischen Instrumente nutzen, um eine Konjunkturabkühlung zu verhindern“, sagt José Carlos de Faria, Chefökonom der Deutschen Bank in São Paulo.

Stabile Banken

Durch den Kauf der Schweizer Privatbank Sarasin durch das brasilianische Institut Safra ist Brasilien jetzt der viertgrößte Vermögensverwalter der Schweiz. Quelle: REUTERS

Positiv schlägt auch zu Buche, dass das brasilianische Bankensystem grundsolide ist. Die Brasilianer haben die Lehren aus den Schuldenkrisen gezogen und den Finanzsektor strikt an die Leine gelegt. Die Basel-III-Kriterien zur Eigenkapitaldeckung erfüllen die führenden Großbanken problemlos. Die Rücklagenforderungen der Zentralbank sind hoch. Das Banksystem ist insgesamt transparenter als in Europa. Gleichzeitig subventioniert der brasilianische Staat die Banken indirekt mit hohen Zinsen: Die zahlt er als Großschuldner den Banken – und sorgt so auch in Krisenzeiten dafür, dass deren Gewinne stabil bleiben.

Die privaten Institute Itau Unibanco und Bradesco sind deswegen interessante Anlageobjekte: Zum einen, weil deren Aktien ungerechtfertigt in einer Art Sippenhaft für Geldinstitute weltweit von Investoren abgestraft werden. Zum anderen, weil sie eine sichere Wette auf Brasilien sind: Nimmt das Ausfallrisiko der Schuldner zu, verdienen sie an steigenden Zinsen. Erweist sich die Konjunktur als resistent, verdienen sie am zunehmenden Kreditvolumen.

Brasiliens Banken-Giganten

Die jahrelange Stabilität Brasiliens hat die Banken zu Giganten werden lassen: ItauUnibanco ist an der Börse heute doppelt so viel wert wie die Deutsche Bank. Die brasilianische Börse BVMF besitzt mit einer Kapitalisierung von 6,5 Milliarden Dollar etwa den Wert der New Yorker Börse.

Selbst kleinere Banken haben heute das Zeug, ihre Branche weltweit aufzumischen: Gerade kaufte der Banco Safra, das achtgrößte brasilianische Institut, die Schweizer Privatbank Sarasin. Dadurch sind die Brasilianer – nach UBS, Credit Suisse und Pictet – der viertgrößte Vermögensverwalter der Schweiz. Safra und Sarasin managen nun 200 Milliarden Franken.

Den Kaufpreis von einer Milliarde Franken aufzubringen war offenbar kein Problem – die Brasilianer zahlten cash.

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