Alternative Indikatoren Was Börsenprognosen mit Baukränen, Chinafotos oder Bewegungsdaten taugen

Investoren nutzen immer neue Quellen, um Wirtschaftstrends vorherzusagen, wie etwa Baustellendaten, Chinafotos, Stimmungen im Netz. Was diese Indizes besser können als klassische Indikatoren, was Anleger davon haben.

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Baukräne als Börsenindikatoren Quelle: Getty Images

Wo Shaun Dawson und sein Team Daten sammeln, ist es laut und dreckig – auf Londons Baustellen. Betonmischer und Presslufthämmer ignorieren sie, was sie interessiert: Baukräne. Für den Job reichen Notizblock und Stift. Viel zu zählen haben sie etwa auf dem Gelände 22 Bishopsgate, im Herzen des Finanzviertels – Londons größte Bürobaustelle. Der Versicherungskonzern Axa zieht hier für andere Firmen einen 278 Meter hohen Turm hoch. 12.000 Angestellte sollen ab 2019 einziehen, wenn alles gut geht.

Dawson macht beim Unternehmensberater Deloitte Immobilienrecherche. Zweimal im Jahr laufen er und sein Team von acht Mitarbeitern durch Londons Straßen, notieren jeden Kran, jede Baugrube und jedes Gerüst. Die Daten fließen in den London Office Crane Survey. Der Report skizziert seit 21 Jahren die Lage auf Londons Immobilienmarkt, von dem sich auf das Wohlergehen der gesamten britischen Wirtschaft schließen lässt. Selbst die ehrwürdige Bank of England schaut deshalb auf Dawsons Daten.

Baukran-Statistiken und Satellitenbilder, Wetterbewegungen und Frachtpreise, Twitter-Meldungen und Bewegungsprofile von Smartphonenutzern – Ökonomen und große Spieler an den Finanzmärkten nutzen für Prognosen nicht mehr nur klassische Indikatoren, etwa den aus Umfragen gewonnenen ifo-Index oder die Geldmengengrößen der Notenbankstatistiken, sondern immer mehr alternative Indikatoren. Die stammen aus zum Teil sehr originellen Datenquellen. Mit deren Hilfe wollen die Prognostiker Trends, die in den einschlägigen Wirtschaftskennzahlen noch nicht angekommen sind, frühzeitig erkennen – und damit Geld verdienen.

Was Satellitenbilder und Wolkenkratzer über die Börse verraten
Satellitenbild von China Quelle: Spaceknow China Satellite Manufacturing
Burj Khalifa Quelle: AP
Arbeitslosen-Beratung in den USA Quelle: dpa
Containerschiff Quelle: dpa
Erntefest in Weißrussland Quelle: dpa
Dax-Tafel Quelle: dpa
Leute mit Einkaufstaschen Quelle: dpa

Laut Investmentbank JP Morgan investiert allein die Finanzindustrie pro Jahr rund drei Milliarden Dollar in das Sammeln und Auswerten riesiger Datenpakete. Und sie pumpen Geld in Unternehmen, die dieses Geschäft beherrschen. So beteiligten sich Hedgefondsmilliardär Paul Tudor Jones und der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt unlängst am Unternehmen Cargometrics, das Satellitendaten über weltweite Schiffsbewegungen sammelt. Mit im Boot ist die weltgrößte Reederei Møller-Maersk, die so ihre Tankerflotte effizienter managen kann. Schmidt und Jones bekommen die Daten exklusiv, was ihnen einen Informationsvorsprung für Investitionen, beispielsweise im Ölgeschäft, verschafft.

Wenn offizielle Statistiken unzuverlässig sind, suchen sich Investoren ihre eigenen Daten, möglichst unabhängig von dem, was staatliche Stellen zeigen wollen. Beispiel China: Wer wissen will, wie es um dessen Wirtschaft steht, muss alternative Indikatoren nutzen – etwa den China Satellite Manufacturing Index (SMI). Das Start-up SpaceKnow beobachtet für ihn per Satellit zwei Mal pro Woche 6000 Industrieregionen in China. Fotos von Gebäuden, Industrieanlagen und Straßen werden im Zeitablauf verglichen, Veränderungen ausgewertet.

Begehrt sind Fotos von Chinas Rohstofflagern. Experten argwöhnen, dass China mehr Öl bunkert, als es meldet. Mit exakten Zahlen ließen sich Preise besser vorhersagen. Um den Ölbestand schätzen zu können, misst SpaceKnow mit Fotos die Schatten an den Innenwänden von Chinas Großtanks. Je kürzer die Schatten, desto höher sind die Decken der Tanks gefahren und desto mehr Öl schwimmt in ihnen.

Visionäre Wolkenkratzer-Projekte kündigen oft scharfe Finanzkrisen an Bild vergrößern
Visionäre Wolkenkratzer-Projekte kündigen oft scharfe Finanzkrisen an. (Für eine detaillierte Ansicht bitte auf die Grafik klicken)

Algorithmen werten für SpaceKnow Bilder von insgesamt rund 2,2 Milliarden Beobachtungspunkten in Chinas Industriearealen aus. Der daraus berechnete Index lässt Rückschlüsse darauf zu, mit welchem Tempo Chinas Wirtschaftsmotor läuft. Das klappte beispielsweise in den Krisenjahren 2008 und 2009 sehr gut. Bereits im August 2008, also noch vor der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, begann der Sinkflug des Index. Ende Januar 2009 erreichte er mit 42,5 Punkten seinen Tiefpunkt. Der anschließende rasante Anstieg nahm die wirtschaftliche Erholung vorweg. Frühzeitig bergab ging es mit dem Index auch im Herbst 2015. Anfang 2016 drückten dann Crash-Ängste in China die Weltbörsen. Aktuell steht der SMI wieder auf 51,1 Punkten.

Die chinesische Wirtschaft läge demnach auf Expansionskurs.

Hauptabnehmer für SpaceKnows Daten sind Hedgefonds. Vorstandschef Pavel Machalek war selbst nie in China. Er vertraut lieber der emotionslosen Satellitentechnik.

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