Alternative zu Dax & Co. Rendite-Baukasten für bastelfreudige Anleger

Geld verdienen an der Börse, auch wenn die Aktienmärkte schwächeln? Mit Zertifikaten ist das möglich. Auf einer Online-Plattform lassen sich Wunschzertifikate erstellen – kostenlos und inklusive eigener WKN.

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Die Anbieter suchen nach neuen Wegen, um ihr Geschäft anzukurbeln. Quelle: dpa

Frankfurt Es ist der Versuch sich mit technischer Innovation gegen die Branchenflaute am deutschen Derivatemarkt zu stemmen: Die Schweizer Bank Vontobel bietet Interessenten künftig die Möglichkeit, sich mit wenigen Mausklicks maßgeschneiderte Anlagezertifikate für das eigene Depot erstellen zu lassen.

Zwar herrscht schon jetzt alles andere als ein Mangel an Alternativen angesichts der knapp anderthalb Millionen unterschiedlichen Zertifikate und anderer Derivate, die an den Börsen in Deutschland gelistet sind.

Doch Vontobel sieht in dem für Ende dieses Monats geplanten Start der „mein-zertifikat.de“ genannten neuen Plattform die Chance für einen Paradigmenwechsel: weg von dem bisherigen „Anbietermarkt“, hin zu einem „Nachfragemarkt“ für individuelle Anlageprodukte. Davon versprechen sich die Eidgenossen zusätzlichen Umsatz und die Erschließung neuer Kundengruppen, denen die Suche nach dem passenden Produkt bisher schlicht zu umständlich erscheint.

Tatsächlich kritisieren Experten immer wieder die unüberschaubare Menge der angebotenen Zertifikate, aus denen Anleger eine für ihre Bedürfnisse geeignete Variante wählen müssen – und es werden täglich mehr. Ganz nach dem Motto: viel hilft viel.

Mit dem neuen Vertriebskanal wollen die Eidgenossen nun einen anderen, für den Kunden komfortableren Weg einschlagen: „Dadurch entfällt die bisherige, häufig umständliche und zeitintensive Suche im bestehenden Produktangebot“, sagt Roger Studer, Leiter Vontobel Investment Banking. Jedermann könne nun sein eigenes, individuell maßgeschneidertes Wunschzertifikat bestellen und anschließend an der Börse erwerben. In Echtzeit könnten dabei unterschiedliche Produktalternativen gerechnet werden.

Zertifikate sind spezielle Schuldverschreibungen von Banken. Anders als bei herkömmlichen Bankanleihen erhält der Investor hier meist keine Zinskupons für sein Engagement. Dafür aber die Chance auf eine Rückzahlung, die höher ausfällt als der Nennwert. Wie die Entwicklung des sogenannten "Basiswerts" eines Zertifikats - zum Beispiel des Dax oder eine bestimmte Einzelaktie - den Rückzahlungsbetrag während der Laufzeit beeinflusst, bestimmen für jede Zertifikateart vorab genau definierte Regeln.

Und anders als etwa bei den meisten Fonds können Investoren mit Zertifikaten auch auf fallende oder seitwärts laufende Basiswerte wetten - das sind Anlagemöglichkeiten, die sonst vor allem Profis an den Terminmärkten vorbethalten waren.

Doch trotz dieser Vorteile gegenüber anderen Anlageklassen stecken Investoren hierzulande immer weniger Geld in Zertifikate. Das ausstehende Volumen am deutschen Derivatemarkt hat sich seit seinem Rekordwert von 140 Milliarden Euro während der Boomphase vor fast zehn Jahren inzwischen mehr als halbiert. Gesunken ist der Betrag damit sogar unter das Niveau nach der Pleite des US-Emittenten Lehman Brothers, die damals viele Zertifikateanleger auf dem falschen Fuß erwischte und zeitweise die gesamte Branche in Verruf brachte.


In der Schweiz setzen Profis bereits auf maßgeschneiderte Wertpapiere

Als Hauptgrund für den Abwärtstrend führen die am Derivategeschäft aktiven Banken derzeit allerdings keine Zweifel an der Emittenten-Sicherheit an, sondern veränderte Anlegerpräferenzen – und vor allem die umtsrittene Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Das Niedrigzinsniveau erschwere die Konstruktion attraktiver Anlageprodukte.

Auch nach den aktuellsten Daten des Deutschen Derivateverbandes ist keine Besserung in Sicht: Auf nur noch 67,9 Milliarden Euro ist das investierte Geldvolumen bis Ende Juni geschrumpft - ein Minus von zwei Prozent im Vergleich zum Vormonat.

Die Zertifikateindustrie hierzulande sucht daher nach Wegen, um ihr schwächelndes Geschäft anzukurbeln. Dazu gehört nun auch der neue Ansatz, der auf einer Technologie basiert, die Vontobel auf dem Heimatmarkt bereits ab 2008 eingeführt und weiterentwickelt hat: Mit Hilfe der dort etablierten Plattform „Deritrade MIP“ können sich Finanzinstitute, Anlageberater und institutionelle Investoren in der Schweiz bereits seit Jahren mit wenigen Mausklicks maßgeschneiderte Zertifikate kreieren lassen – dort sind allerdings anders als bei der für Deutschland vorgesehenen Lösung „mein-zertifikat.de“ Privatanleger von dem Service ausgeschlossen.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied: Während Nutzer des Portals für die Schweiz auch Zertifikate von Drittbanken angeboten bekommen, werden sich Anleger hierzulande zunächst mit den Papieren aus der Angebotspalette von Vontobel begnügen müssen. Perspektivisch könnten jedoch weitere dazukommen: Vorgesehen sei das Portal auch hierzulande zu einer „Multi-Issuer-Plattform“ auszubauen, indem auch andere Emittenten ihre Produkte darüber anbieten, heißt es bei Vontobel.


Auch andere Banken experimentieren mit kundenindividuellen Zertifikaten

Völliges Neuland betritt Vontobel mit seinem Service in Deutschland nicht: Auch bei dem Mitbewerber Hypo-Vereinsbank können sich Investoren auf der vor rund vier Jahren gestarten Plattform my.onemarkets Derivate nach Wunsch konstruieren lassen. Doch das Institut zielt damit ausschließlich auf gut betuchte eigene Kunden mit einem freien Vermögen ab hunderttausend Euro. Zudem liegt die Mindestabnahmesumme für die in Auftrag gegebenen Zertifikate bei zehntausend Euro.

"Privatanleger in Deutschland haben die Möglichkeit, sich zusammen mit ihrem Berater der HypoVereinsbank individuell auf ihre Rendite-/Risikoneigung zugeschnittene Zertifikate entwickeln zu lassen", sagt Juliane Bürger, Leiterin Team Wertpapier-Anlagelösungen der HypoVereinsbank onemarkets. Das Angebot gebe es sowohl im Privatkunden- als auch im Unternehmenskundengeschäft der HypoVereinsbank.

Mit mehr als 30.000 bisher emittierten Produkten sei bereits ein großer Teil der von der HypoVereinsbank vertriebenen Zertifikate über my.onemarkets generiert. "Im beratungsintensiven Private-Banking-Geschäft zum Beispiel werden mehr als die Hälfte des Zertifikatevolumens über my.onemarkets abgeschlossen", ergänzt Bürger.

Mit kundenindividuell zugeschnittenen Wertpapieren in Deutschland experimentiert auch die Commerzbank: Der gemessen am Börsenumsatz zweitgrößte Emittent auf dem hiesigen Markt nach dem Branchenprimus Deutschen Bank hat bereits im vergangenen Jahr seinen elektronischen Marktplatz „Primegate“ lanciert. Doch auch hier sind Kleinanleger von der Teilnahme bis auf weiteres ausgeschlossen. Aus Branchenkreisen ist allerdings zu hören, dass die Commerzbank ihre Zielgruppe im Bereich der kundenindividuell erstellten Wertpapiere perspektivisch deutlich ausweiten dürfte - und dabei auch Kleinanleger im Visier hat. Bei Vontobel dagegen gibt es von vornherein keine Untergrenzen, um Zertifikate nach Maß zu erwerben.

Wenn der neue Service am 30. August online geht, wird er zunächst nur Zertifikate aus drei Gruppen umfassen, die zu den eher defensiven Standardtypen gehören: Aktienanleihen, Bonus-Cap-Zertifikate und Discountzertifikate. Die Funktionsweise etwa der Discounter: Der Anleger kauft mit solch einem Papier vereinfacht gesagt den Basiswert mit einem Rabatt („Discount“) auf den aktuellen Kurs.

Der verbilligte Einstiegskurs der Discountzertifikate bietet dem Käufer einerseits einen gewissen Schutz gegen Kursverluste in Dax & Co. Zum anderen kann der Anleger auch dann eine interessante Rendite erzielen, wenn der zugrunde liegenden Börsenindex oder die Aktie bis zum Laufzeitende unter dem Strich nur auf der Stelle tritt. Denn die Rückzahlung zum Laufzeitende des Zertifikats entspricht dem dann aktuellen Aktienkurs. Allerdings nur bis zu einem bestimmten Maximalwert, die Gewinnchancen sind begrenzt anders als bei einer Direktinvestition in die Aktie. Das ist der Preis für den niedrigen Einstiegskurs.

Konkretes Beispiel: Ein „Mein-Zertifikat“-Nutzer bestellt bei Vontobel ein Discountzertifikat mit Fälligkeit im kommenden Frühsommer, das sich auf die Daimler-Aktie bezieht und 55 Euro kosten soll, während die Aktie derzeit bei 62,50 Euro deutlich höher notiert. Rund 30 Minuten nach einer Bestätigung zur Emission kann der Anleger „sein“ Zertifikat an den Börsen in Frankfurt und Stuttgart mit Hilfe der mitgeteilten Wertpapierkennnummer erwerben. Hält er die Neuemission bis zum Laufzeitende im Depot kann er damit bis rund 13,5 Prozent Ertrag erzielen, selbst wenn die Aktien nicht weiter zulegt.


Sinkende Kosten ermöglichen maßgeschneiderte Papiere auch für Kleinanleger

Dass sich kundenindividuell kreierte Derivate für die Anbieterbanken inzwischen sogar im Geschäft mit Kleinanlegern rechnen, liegt an den immer tiefer gesunkenen Entwicklungs- und Emissionskosten der Branche. Vor etwa anderthalb Jahrzehnten begannen die Anbieter damit, Konstruktion und Vertrieb ihrer Wertpapiere zu automatisieren. Pionier war Anfang der 2000er Jahre die Schweizer UBS, rasch folgten weitere Banken.

Die Einsparungen waren enorm – auch wenn die Emittenten exakte Zahlen nur ungern preisgeben. Schätzungen zufolge rutschten die Kosten von im Schnitt rund dreieinhalbtausend Euro je aufgelegtem Wertpapier auf zuletzt unter zehn Euro. Die Folge: „In etwa 80 Prozent der insgesamt angebotenen Papiere, befindet sich kein Anlegergeld“, sagt Vontobel-Mann Studer. Trotzdem rentiere sich das Geschäft unter dem Strich. Entsprechend hoch sei auch der Spielraum bei den Kalkulationen für den neuen Vertriebskanal.

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