Alzheimer-Medikament Durchbruch bei Demenz? Die Börse glaubt daran

Das Alzheimermedikament von Biogen und Eisai hat in den USA die Zulassung erhalten. Die Börse jubelt, doch bleiben große Zweifel an dem Medikament. Quelle: imago images

Die Börse feiert die Unternehmen Biogen und Eisai, deren Alzheimer-Medikament überraschend zugelassen wurde. Doch das Enttäuschungspotenzial ist groß, denn es gibt weiter große Zweifel.

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Für die rund sechs Millionen Alzheimerpatienten in den USA ist die Nachricht ein Hoffnungsschimmer: Das Medikament Aduhelm vom US-Biotechkonzern Biogen und dem japanischen Biotechriesen Eisai wurde Anfang der Woche in den USA von der Arzneimittelbehörde FDA als Alzheimer-Medikament zugelassen.

Es ist der erste Durchbruch in der Alzheimerforschung seit langem, viele andere Therapien sind gescheitert. So ist die Zulassung von Aduhelm auch Ansporn für die Medikamentenentwickler, bei der Forschung nicht nachzulassen. Bis 2050 könnten schon 13 Millionen Amerikaner Alzheimer haben, so die Patientenorganisation Alzheimer’s Association. 2021 lägen die Kosten für Demenz in den USA bei 355 Milliarden Dollar, bis 2050 würden daraus 1,1 Billionen Dollar. 

40 Prozent Aktien-Kursplus

Die Aktien von Biogen und Eisai stiegen Anfang der Woche um rund 40 Prozent. Börsianer erwarten damit ein Marktpotenzial von Aduhelm in Höhe von rund 4,5 Milliarden Dollar. Analysten waren schon mal viel optimistischer und hatten bis zu zehn Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. 

Aber die Skepsis ist weit verbreitet. „Ich war überrascht über die Nachricht“, sagt Kai Brüning, Fondsmanager bei apoAsset, der Investmenttochter der Düsseldorfer Apobank. Brüning lenkt milliardenschwere Aktienfonds für Gesundheitsaktien.

Fördern Proteinablagerungen Demenz?

Ein Expertengremium aus Statistikern und Neurologen hatte das Medikament Aduhelm kürzlich noch einstimmig abgelehnt. Die FDA aber erteilte die Zulassung sogar für alle Stadien von Alzheimer, also früher, mittlerer und schwerer Demenz. Die beschleunigte Zulassung wurde auf der Grundlage von Daten aus klinischen Studien erteilt, die die Wirkung von Aduhelm beim Abbau von Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn belegen. „Allerdings wurde nicht entsprechend überzeugend bewiesen, ob dadurch auch wirklich der kognitive Verfall bei den Alzheimer-Patienten zurückgehen wird oder aufgehalten werden kann“, sagt Alexander Jenke, Healthcare-Analyst beim Investmenthaus Medical Strategy aus München. Die Korrelation zwischen den Protein-Ablagerungen im Gehirn und Alzheimer ist noch immer grundsätzlich umstritten. Und so gab es bislang für Patienten wenig Chancen, der Demenz zu entkommen. 

„Es gab bisher immer Rückschläge in der Alzheimer-Forschung, dadurch haben sich manche Unternehmen zurückgezogen. Mit der alternden Bevölkerung aber wird das Problem immer drängender. Die FDA will hier vermutlich auch einen Anreiz für weitere Forschung setzen, um Fortschritte zu sehen“, glaubt Brüning. 

Der gestrige Tag könnte also dann doch noch ein Wendepunkt in der Alzheimer-Forschung gewesen sein - auch wenn Biogen mit ihrem Mittel nicht das verdienen sollten, was sie sich erhoffen. 

Jährliche Kosten von 56.000 Euro 

Biogen geht mit hohen Preisvorstellungen in die Verhandlungen mit den Versicherern in den USA. Eine jährliche Dosis soll 56.000 Dollar pro Patient kosten. Analysten waren zuvor von 50.000 Dollar ausgegangen. Eine Gruppe von US-Experten (ICER Institut for clinical and economic review) hatte allerdings einen Preis von nur 2500 bis 8300 Dollar pro Jahr für gerechtfertigt gehalten. ICER ist der Ansicht, dass die FDA mit der Zulassung von Aduhelm ihrer Verantwortung zum Schutz von Patienten nicht gerecht wird.

Biogen wird jetzt mit Versicherern verhandeln. Analysten waren zuvor von bis zu 30.000 Dollar pro Patient und Jahr ausgegangen, eine Gruppe von US-Experten (ICER) hatte allerdings einen Preis von nur 2500 bis 8300 Dollar pro Jahr für gerechtfertigt gehalten. Fondsmanager Brüning rechnet damit, dass es auf eine Art Erfolgsprämie hinauslaufen könnte. Biogen bekäme dann nur Geld für tatsächlich erzielte Fortschritte. Da aber die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Therapie wenig verbessert, ist das Geld-Zurück-Modell für Versicherte eine Chance. „Aus Sicht der Krankenversicherungen sollten man diese Preise nur akzeptieren, wenn es Erfolge gibt. Patienten sollten hier noch keine Wunder erwarten“, sagt Brüning.

„Biogen und der FDA werden gute Beziehungen nachgesagt, zudem hat es schon häufiger umstrittene Zulassungen gegeben, wenn der Druck von Patientengruppen auf die FDA groß war“, sagt Alexander Jenke von Medical Strategy. 

Neun Jahre Zeit für weitere Prüfungen

Hätte Biogen die Zulassung nicht bekommen, rechnete mancher mit einer Zerschlagung des Konzerns. Jetzt hat Biogen neun Jahre Zeit, um weitere Studien zu machen. „Sind sie am Ende nicht erfolgreich, stünde die FDA ziemlich blamiert da“, meint Jenke. Anfang 2023 rechnen die Experten mit einem weiteren Alzheimer-Produkt vom US-Pharmakonzern Lilly, das in der zweiten klinischen Phase allerdings nicht so gut aussah. „Doch wenn beide damit Erfolg haben sollten, würden sich schon zwei Anbieter den Markt teilen“, sagt Brüning. 

Jenke sieht die jetzige Zulassung kritisch. Unter Umständen „werden jetzt Investorengelder in die falsche Richtung gelenkt, denn der Therapieansatz von Biogen ist nur einer unter mehreren, die gerade geprüft werden. Die anderen bekommen vielleicht weniger Geld, obwohl sie möglicherweise erfolgversprechender sind.“ 

Vielversprechend: Therapie mit Nervenstimulation

Vor einem Börsengang steht etwa Cognito Therapeutics, deren Alzheimer-Therapie durch eine audiovisuelle Nervenstimulation bestimmte Frequenzen im Gehirn anregen soll. Die Therapie ist in der Phase 2 der klinischen Studien und hat dort zumindest bislang bessere Ergebnisse erzielen können als Biogens Aduhelm in dieser Stufe.

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Als nächstes könnte Biogen eine Zulassung in Europa anstreben. Angesichts der umstrittenen Aussichten könnten die europäischen Arzneimittelbehörden aber womöglich zu einer anderen Einschätzung kommen als die US-Behörden.

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