Analysten sterben aus Harte Auslese bei den Kurspropheten

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Lokale Stärken

Danach besannen sich die deutschen Banken auf lokale Stärken. Weniger marktschreierisch, dafür oft bienenfleißig arbeiten sich bankeigene Analysten seither an ihren Excel-Tabellen ab, prognostizieren künftige Erträge der Unternehmen, garnieren ihre Studien mit beeindruckenden Grafiken und fällen ein Urteil – meistens „Kaufen“, selten „Verkaufen“. Aktienanalyse ist stets eine Gratwanderung: Der Analyst muss Fondsmanager zufriedenstellen, mit denen die Bank schließlich auch Geschäfte machen will. Aktienanalysten mit guten Kontakten zu Fondsmanagern spielten stets den Türöffner für Investmentbanker, die bei Konzernen Aufträge für Kapitalerhöhungen, Börsengänge oder Aktienplatzierungen akquirieren. Wer mächtige Fondsmanager an der Hand hat, kann einem Vorstand garantieren, dass er Aktien loswird.

Noch feuern die Banken raus, was nur geht. Dax-Aktien wie Daimler werden von 50 Analysten beackert – Verschwendung, meint selbst Ralf Frank, Geschäftsführer des Analystenverbands DVFA: Alle würden mit überwiegend gleichen Methoden ähnliche Ergebnisse produzieren. Beim Fondshaus FPM, das auf deutsche Aktien spezialisiert ist, kommen täglich per Post und E-Mail um die 130 Studien von 50 Brokern und Banken an. Das Team hat schon gesiebt: Nur elf Lieferanten werden 2018 bezahlt. Vorstand Seppi hat lieber einen eigenen Analysten eingestellt. Der soll Fondsmanager wie Raik Hoffmann künftig unterstützen. Hoffmann managt bei FPM den aktuell erfolgreichsten Fonds mit deutschen Aktien.

Das tägliche Research spiele nur eine Nebenrolle, sagt er: „Unsere direkten Gespräche mit dem Unternehmensmanagement sind durch nichts zu ersetzen, aber manchmal bekomme ich durch das Research gute Impulse.“

Um die zu liefern, ist Marc-René Tonn dauernd unterwegs. Der 40-Jährige analysiert beim Hamburger Bankhaus M.M. Warburg & Co drei deutsche Autohersteller und börsennotierte Autozulieferer. Auf der IAA war er zum siebten Mal. Der Kölner Star-Fondsmanager Bert Flossbach war auch am ersten Messetag dort, aber nur zwei Stunden, um Autos anzuschauen. Geldverwalter wie Flossbach sind Generalisten für viele Branchen. Sie bekommen spezielle Informationen von Analysten. Und Tonn hat dafür in Frankfurt ein Mammutprogramm absolviert: vorab Investorenkonferenz in Stuttgart mit Daimler-Chef Dieter Zetsche, am nächsten Morgen IAA-Rundgang, dann Treffen mit dem Lippstädter Scheinwerferspezialisten Hella.

Auch mit nicht börsennotierten Zulieferern redete er, wie unter anderem mit dem Spezialisten für Hitzeschilder, Röchling, „als Stimmungsbild“ – was haben die so gehört über neue Automodelle? Am nächsten Morgen dann Frühstück mit Zulieferer Leoni, für Tonns Investoren, für die er danach noch eine Führung durch die BMW-Halle organisiert hat.

Tonn weiß, was von ihm verlangt wird: „Ich muss über die Zahlen hinausschauen, ein zukunftsgerichtetes Bild der Branche transportieren.“ Analysten, die nur Geschäftszahlen abfragen und aufbereiten, dürften ab 2018 kaum bezahlt werden. „Ich suche in dem Research-Material nach Themen, die bei einem Unternehmen auftauchen könnten und die ich bei meiner Einschätzung berücksichtigen könnte“, sagt Fondsmanager Hoffmann. „Gerade wenn jemand eine Außenseitermeinung hat, werden sich Investoren auch mit ihm unterhalten, denn sie wollen ihre eigenen Sichtweisen testen“, sagt Christian Bacherl, Vorstand der Baader-Bank.

Regionale Häuser wie Baader müssen Schwerpunkte setzen: Autoaktien werden nicht beobachtet, dafür wurden die Teams für die Branchen Chemie, Immobilien und Maschinenbau gestärkt.

Die Kursraketen seit der Finanzkrise

Weil Häuser wie FPM statt von 50 künftig noch von 10 Banken Research beziehen, werden einige auf der Strecke bleiben. „Wenn von 150 Analysehäusern nur noch die Hälfte übrig bliebe, muss dem Markt nicht wirklich etwas fehlen“, sagt Pierre Drach, Chef des Analysehauses Independent Research. Der Ausleseprozess dürfte die Qualität verbessern und neue Methoden fördern. „Evolution lab proved“ etwa steht auf einigen Analysen der UBS, die schon stärker soziale Medien auswertet oder etwa durch Buchungsanfragen bei Airlines deren Auslastung testet. Roland Rapelius, Head of Equities & Research bei Tonns Arbeitgeber Warburg, veröffentlicht die Performance der Topideen seiner Analysten: „Auch die Kunden messen, wie gut die Ideen sind“, sagt er.

Mancher Analyst wird besonders kreativ. Macquarie Research betitelt eine Studie zur BNP Paribas keck mit „Commerzbank – Nein danke“, die Studie zur Deutschen Bank von Autonomous Research ist mit „Nicht mehr zu reparieren“ überschrieben. Furore machte Anfang September UBS-Analyst Julian Radlinger. Bei seiner ersten Analyse des Autozulieferers Leoni riet er gleich mutig zum Verkauf. Der Kabelbauer werde im Elektroautogeschäft viel weniger verdienen, als der Markt erwarte, schrieb er. Die Aktie verlor auf einen Schlag acht Prozent – das schaffen nicht viele Analysten.

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