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Anlageprodukte Emissionsflut mit staatlichem Segen

Investoren, die in Anlageprodukte investieren, stehen vor einer Flut von Angeboten. In Deutschland werden von den Großbanken im Minutentakt Produkte auf den Markt geschmissen – und der Staat fördert den Wahnsinn noch.

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Ein Leuchtturm in Porto wird von einer Welle überspült. An der Börse sorgen Zertifikate-Anbieter für eine heftige Emissionswelle. Quelle: dpa

Düsseldorf Das ist keine Flut, das ist ein Tsunami: Fast 840.000 künstliche Finanzprodukte sind mittlerweile an der Börse gelistet – und es werden täglich mehr. Befeuert wird dieser Trend, der die Privatanleger verzweifeln lässt, von höchster staatlicher Stelle: der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.

Es geht um Zertifikate und Optionsscheine, also derivativen Finanzprodukte, mit denen sich auf die Entwicklung realer Werte wie Aktien oder Rohstoffe spekulieren lässt. Zum Jahresbeginn hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin, die Gebühren kräftig gesenkt. Wer ein Zertifikat auf den Markt bringt, zahlt nur noch 1,55 Euro statt 25 Euro. So viel hatte es noch bis Ende vergangenen Jahres gekostet, die im Fachjargon „endgültigen Bedingungen“ genannten Details dieser Produkte bei der Anstalt zu hinterlegen.

Doch mit der Hochpreispolitik ist Schluss. Anstatt die Zertifikateflut durch höhere Gebühren einzudämmen, wird sie angefacht. Ob von der Bafin gewollt oder nicht: Die größten Zertifikatehäuser wie Deutsche Bank und Commerzbank  sparen so Millionen Euro. Josef Ackermanns Bank beispielsweise hat bis Ende Oktober gut 200.000 neue Papiere auf den Markt gebracht – macht eine Ersparnis durch den jüngsten Bafin-Discount von 4,7 Millionen Euro.

Kemal Bagci arbeitet als Spezialist für Zertifikate bei der Royal Bank of Scotland (RBS). Sein Arbeitgeber ist einer der größeren Zertifikate-Emittenten. Über Bagcis Schreibtisch sind Tausende dieser Zertifikat-Modelle gewandert, Tausende werden folgen. „Man kann sich das wie einen Supermarkt vorstellen“, sagt Bagci. „Wir füllen die Regale und bieten das passende Papier für jede Marktlage“, beschreibt er seine Aufgabe. „Natürlich ist das eine ziemliche Produktflut“, räumt er ein. Es habe Tage gegeben, an denen manche Anbieter 4000 Zertifikate auf einmal auf den Markt geschmissen haben. Die Flut sei angestiegen, seit die Bafin die Emissionskosten drastisch gesenkt habe.

Das Paradoxe: Von allen am Markt gelisteten Produkten werden gut 80 Prozent gar nicht aktiv gehandelt. Trotzdem emittieren die Zertifikate-Häuser munter weiter. „Die Produktschwemme macht die Auswahl für Privatanleger nicht leichter, auch wenn moderne Websites die Suche erleichtern“, gibt Heiko Weyand von HSBC Trinkaus, einem größeren Anbieter dieser Finanzprodukte, zu.

Ein Beispiel: Anleger, die sich etwa für ein Bonuszertifikat auf die Aktie des Autoherstellers Daimler interessieren, auf ein Produkt also, das dann Gewinne ausschüttet, wenn die Daimler-Aktie während der Laufzeit einen bestimmten Wert nicht unterschreitet und der Kurs am Ende unterhalb der sogenannten Bonusschwelle notiert, erhalten dafür auf eine einfache Anfrage bei einer entsprechenden Suchmaschine im Internet mehr als 2.000 Angebote. Das überfordert nicht nur die Laien.


Die Bafin hat alle Dämme eingerissen

Der Zertifikate-Tsunami produziert zudem eine gigantische Datenwelle, die diejenigen vor ein Problem stellt, die sie verarbeiten müssen. Einer, der sich darum kümmert, ist Ralph Danielski. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Börse Stuttgart, jenem Handelsplatz, wo zum Stichtag 11. November genau 837012 Derivate gelistet waren. Das sind gut 300.000 Produkte mehr als Ende 2010. In den zwölf Monaten davor stieg die Zahl der Derivate nur um vergleichsweise überschaubare 180.000 Produkte. „Die steigende Anzahl an verbrieften Derivaten stellt uns als Handelsplatz vor erhebliche technische Herausforderungen“, sagt er.

Deutlicher werden andere: „Die Börsen sind am Limit“, berichtet ein Bankinsider. Das Wachstum komme schon aus technischen Gründen an seine Grenzen. Das Preismodell der Bafin kommentiert er mit einem Kopfschütteln: „Sie hat alle Dämme eingerissen.“

Davon will man bei der Bafin allerdings nichts wissen. „Die Zahl der Emissionen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, sagt Dominika Kula, Sprecherin der Bafin, und es klingt, als habe man alles im Griff. „Konkrete Daten für das Jahr 2011 liegen uns noch nicht vor“, fügt sie hinzu. Die Zahlen aus Stuttgart sind offenbar noch nicht bis zum Sitz der Bafin in Bonn gedrungen.

Warum das neue Preismodell eingeführt wurde, hat einen ehrenwerten Grund: „Die Bafin hatte ihren tatsächlichen Verwaltungsaufwand turnusmäßig überprüft“, sagt Kula. „Entsprechend des festgestellten Verwaltungsaufwands hat die Bafin anschließend die Gebührensätze für die einzelnen gebührenpflichtigen Amtshandlungen angepasst.“ Das Dumme ist jetzt nur: Offenbar ist es nicht sonderlich kompliziert, ein kompliziertes Finanzprodukt auf den Markt zu schmeißen.


Anbieter bereiten sich auf den Angriff der Politik vor

Die Politiker halten sich zurück – auch wenn sie in Talkshows und Interviews gegen den Wildwuchs an den Finanzmärkten wettern. Der mögliche Kanzlerkandidat der SPD beispielsweise, Peer Steinbrück, betonte zwar jüngst im Interview mit dem „Tagesspiegel“ wieder einmal, dass er im Jahr 2008, nach der Lehman-Pleite, gemeinsam mit der Kanzlerin eine Garantieerklärung für Spareinlagen abgegeben habe. Allerdings sagte er auch: „Wir haben 2008 keine Patronatserklärung für Derivate, Investmentzertifikate oder verbriefte Produkte abgegeben.“

Ein anderer wird deutlicher: Matthias Schrade ist Analyst und Finanzexperte bei der Piratenpartei, die der politische Aufwind derzeit in die Landesparlamente treibt. „Derivate“, sagt er im Gespräch mit Handelsblatt Online, „waren gut für Landwirte, die darüber ihre Risiken absichern konnten. Als Instrument machen sie also grundsätzlich Sinn. Was keinen Sinn macht: Wenn plötzlich mit diesen Derivaten ein lebhafter Handel beginnt.“

Die großen Anbieter der künstlichen Finanzprodukte begründen ihre Emissionspolitik mit den Erfordernissen der Märkte: „Die Volatilität an den Märkten ist extrem hoch, da müssen wir immer öfter und schneller nachemittieren, um unseren Kunden noch die passenden Produkte anbieten zu können“, sagt Nicolai Tietze, Zertifikate-Experte der Deutschen Bank. Die Commerzbank, auf das Thema angesprochen, wollte sich nicht äußern.

Es gibt aber auch Häuser, die eine ganz andere Strategie fahren: „Wir bringen so viele neue Zertifikate und Optionsscheine auf den Markt wie nötig und so wenige wie möglich“, sagt Christian Glaser, Zertifikate-Experte bei BNP Paribas. In der Regel biete BNP um die 70.000 Papiere an.  „Wir schmeißen Produkte raus, in die niemand investiert und die in der jeweils aktuellen Marktlage uninteressant geworden sind, um so der Produktflut entgegen zu wirken“, sagt Glaser. Das machen zwar auch andere, die Zahl der Produkte steigt trotzdem weiter. Übersichtlichkeit auf den Finanzmärkten ist für die meisten Anbieter nur ein Lippenbekenntnis.

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