Anlegen 2017 – Leser-Erwartungen „Wir werden viele Überraschungen erleben“

Anleger erwarten ein schnelles Ende der Trump-Rally an den Börsen und glauben, dass es bereits ab Februar mit dem Dax abwärts geht. Doch das Risiko ist größer, steigenden Kursen hinterherlaufen zu müssen.

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Für 2017 rechnet Börsenexperte Stephan Heibel mit Unerwartetem. Quelle: dpa

Düsseldorf Die Alternativlosigkeit der Aktie bleibt auch im Jahr 2017 bestehen – doch gleichzeitig wird den Märkten kein allzu großes Kurspotenzial zugeschrieben. Das ergibt sich aus der jährlichen Handelsblatt-Umfrage unter mehr als 2300 Anlegern.

Für den Börsenexperten Stephan Heibel, der die Erhebung auswertet, sind die eher verhaltenen Erwartungen aus Sicht der Sentiment-Theorie gute Voraussetzungen für steigende Aktienkurse in diesem Börsenjahr. Denn aus Sicht der Börsenstimmung gilt: Je stärker die Skepsis an der Börse, desto größer das Lager der Kaufwilligen und umgekehrt. Hingegen rechnen bei einer euphorischen Stimmung fast alle Anleger mit weiter steigenden Kursen. Sind aber fast alle schon investiert und bereit zum Absprung, dann ist es höchste Zeit zu verkaufen. Umgekehrt ist jemand, der skeptisch ist und fallende Kurse erwartet, wohl noch nicht investiert – sonst hätte er ja bereits gekauft

Das durchschnittliche Kursziel der Leser zum Jahresende liegt bei 12.241Punkten für den deutschen Leitindex. Das entspricht einem Kursplus von sieben Prozent und spiegelt zumindest Zuversicht der Anleger wider. Welche Bedeutung dieses durchschnittliche Kursziel hat, zeigt der Vergleich Prognose mit Dax-Jahresendstand aus den Jahren 2015 und 2016, als diese Umfrage erstmals erhoben wurde. 2015 betrug die Differenz weniger als ein Prozent, 2016 lag sie unter zwei Prozent.

Anfang 2016 prophezeite Stephan Heibel, Inhaber des Analysehauses Animusx, auch einen deutlichen Kurseinbruch. Der fand im Februar statt, als der Dax auf 8700 Punkte rutschte.

Die diesjährige Umfrage zeigt auch: Sollte der Dax im Verlauf des Jahres die Marke von 12.400 Punkten überspringen, so wird jeder zweite Anleger auf dem falschen Fuß erwischt. Um noch von den Kursanstiegen zu profitieren, werden sie Aktien nachkaufen müssen. Und heizen dann die Rally weiter an.

So gehen sogar 82 Prozent der Anleger davon aus, dass der Dax im laufenden Jahr nicht über 13.000 Punkte steigen kann. Das wäre ein Plus von 13 Prozent gegenüber dem Jahresschlusstand. Und 81 Prozent der befragten Anleger schließen einen Kursrutsch unter 9.000 Punkte aus, was ein Minus von 22 Prozent bedeuten würde.


Viele Anleger trauen dem Dax keine neuen Höchststände zu

Am häufigsten wird beim deutschen Börsenbarometer ein Tief knapp unter 10.000 Punkten und ein Hoch knapp über 12.000 Punkten erwartet. Während also dem Dax nach oben nicht mehr viel zugetraut wird, scheint man sich nach unten auf schlechte Börsenzeiten vorzubereiten. „Die Trump-Rally ist also nach Ansicht unserer Umfrageteilnehmer nicht nachhaltig“, schlussfolgert Heibel.

Das lässt sich auch aus den Antworten zum Jahresverlauf für den Dax herauslesen. Auf den ersten Blick richten sich diese weitgehend nach dem historisch bekannten Muster: Höchstkurse werden entweder im Frühjahr oder im Dezember erwartet, für die Sommermonate fürchtet man die bekannte Schwäche mit einem Tief im September.

Der zweite Blick zeigt: Erstaunlich viele erwarten bereits für den laufenden Monat Januar Jahreshöchstkurse im Dax. Sollte die Trump-Rally wirklich bald auslaufen?

Ein Kuriosum zeigt der Vergleich der Umfrageergebnisse aus den vergangenen Jahren. Für 2015 glaubten die Umfrageteilnehmer an das Jahreshoch im Dezember, es wurde dann jedoch bereits im Mai erzielt. Sodann wurde das Jahreshoch 2016 im Mai erwartet, es wurde jedoch im Dezember erzielt. Dieses Jahr wird nunmehr das Jahreshoch für 2017 wieder im Dezember erwartet. „Wir dürfen gespannt sein, ob diesem Muster folgend das Jahreshoch wieder im Mai geschrieben wird“, scherzt Heibel. Für den Mai spricht, dass dann Trump-Rally enden könnte – so zumindest die Erwartungen den Anleger.

Das vergangene Börsenjahr wurde durch überraschende Wahlergebnisse wie das Brexit-Votum und die Trump-Nominierung geprägt. In Europa stehen in diesem Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland an – mit ungewissen Ausgängen. In den Niederlanden erzielt Geert Wilders beste Umfrageergebnisse, nur in Deutschland soll alles beim alten bleiben. „Wir werden bei den anstehenden Wahlen viele Überraschungen erleben“, erwartet auch Heibel. „Doch ob diese Überraschungen bei den Wahlen im Jahr 2017 erneut zu Börsenturbulenzen führen, das bezweifle ich“.

Die Sentimentanalyse legt stets ein besonderes Augenmerk auf das, was die Mehrzahl erwartet. Im Vergleich zu den Umfragen der Vorjahre haben sich Anleger dieses Jahr auf eine größere Schwankungsbreite im Dax eingestellt. Zudem fürchten viele, dass die Trump-Rally nicht nachhaltig ist und bereiten sich auf deutlich tiefere Kurse im weiteren Jahresverlauf vor.

„Wenn das die Erwartung der meisten Anleger ist, dann sollte es gemäß der Sentiment-Theorie gerade genau anders kommen“, meint der Börsenexperte. Seiner Meinung nach werden den Finanzmärkten klare Fronten bevorzugt. Ein schwelender Konflikt sei das Schlimmste für die Märkte was es geben könne. „Anlegern könne von Donald Trump halten was Sie wollen, aber er ist ein Mann klarer Worte. Für die Finanzmärkte ist das positiv“, meint der Animusx-Inhaber.


Schwappt das Trump-Wachstum auf Europa über?

Und er fragt sich: Wie wäre es, wenn die durch den neuen US-Präsidenten Donald Trump angestoßenen Investitionsprogramme und Steuererleichterungen die US-Wirtschaft ankurbeln und das Wachstum nach Europa überschwappt? Der günstige Euro bietet europäischen Unternehmen beste Voraussetzungen, in den USA zu punkten.

„Die Angst, dass unser westliches Wirtschaftssystem unter der erdrückenden Schuldenlast zusammenbrechen wird, diese Angst kenne ich schon seit Jahrzehnten“, meint der Sentimentexperte. Passiert sei das bis heute noch nicht. „Da ist es schon ziemlich gewagt, gerade für das Jahr 2017 ein Kollabieren des Systems zu erwarten“. Zudem könnte ein Großteil negativer Überraschungen, mit denen uns Donald Trump nach seinem Amtsantritt am 20. Januar sicherlich konfrontieren wird, schon im Aktienmarkt berücksichtigt sein.

Neben der wichtigen Marke von 12.400 Punkte, die der Startpunkt für einer mögliche Rally sein könnte, müssen natürlich auch die Risiken auf der Unterseite in Betracht gezogen werden. Denn mehr als 50 Prozent der Anleger rechnen mit einem Bruch der 10.000 Punkte Marke.

„Während also die Hälfte der Anleger nicht mit einem Kursanstieg um mehr als acht Prozent rechnet, fürchtet die Hälfte der Anleger ein Abrutschen um mehr als 13 Prozent“, rechnet Heibel vor. „ Das Risiko für Anleger sehe ich entsprechend im Jahr 2017 auf der Oberseite, dass sie den steigenden Kursen hinterherlaufen müssen.“

Die Umfrage zeigt auch: 2016 hat Anlegern viele Nerven abverlangt, der Dax-Jahresverlauf war überaus turbulent. Nach einem schwachen Jahresauftakt konnten weder Brexit, noch der Wahlsieg Trumps die Kurse unter Druck setzen. Im Gegenteil: Beide vermeintlich tragischen Ereignisse lösten ein Kursfeuerwerk an den Aktienbörsen aus, das den Dax zum Jahresende quasi auf den letzten Metern deutlich ins Plus hievte. So legte der deutsche Leitindex unter heftigen Schwankungen um sieben Prozent auf 11.481 Punkte zu.

Entsprechend erschöpft bereiten sich die Anleger nun auf eine Fortsetzung dieses Chaos im Jahr 2017 vor. Doch wenn Anleger sich gut auf dieses Chaos vorbereitet haben, dann wird kein negatives Ereignis Turbulenzen erzeugen.

Heibel erwartet, dass Donald Trump mit Wladimir Putin den Syrien-Krieg schnell beenden wird – oder hat Russland bereits gewonnen und wir haben das nur noch nicht gemerkt? Mit diesem Erfolg im Rücken wird Putin auch bezüglich der Ukraine entspannter verhandeln, vielleicht wird auch dieser Krisenherd im kommenden Jahr gelöscht.

Chinas Wachstum hat seiner Meinung in den vergangenen Jahren für viele Wirtschaftslenker den „lieben Gott“ ersetzt. Nun, da die Wachstumsraten rückläufig sind, sei es vielleicht an der Zeit, die Beziehung zu China neu zu verhandeln. Trump hat dies zumindest vollmundig angekündigt. „Es steht noch längst nicht fest, dass die USA unter neu ausgehandelten Handelsbedingungen leiden werden“, meint er. Vielleicht ändere sich ja sogar etwas zum Vorteil der USA.


Anleger behalten die EZB im Blick

Ob Wahlen in Frankreich oder Deutschland, die US-Beziehungen zu China, die Unberechenbarkeit Trumps, die EU-Beziehungen zu Russland oder die Ölpreisentwicklung, diese Themen werden als wichtig angesehen. Stets gibt es aber auch Umfrageteilnehmer, die diesen Themen wenig Bedeutung für die Börse zusprechen.

Einig sind sich alle Umfrageteilnehmer hingegen bei der Bedeutung der EZB-Politik: 47 Prozent halten die Entscheidungen Mario Draghis für sehr wichtig und weitere 44 Prozent für wichtig. „Es gibt kaum jemanden, der die Bedeutung der EZB verniedlicht“, meint der Animusx-Inhaber.

Kein Wunder, hängt die europäische Wirtschaft doch schon seit vielen Jahren am Tropf der Liquiditätsspritzen durch die EZB. Der Glaube, auch ohne diese exzessive Geldausweitung wirtschaften zu können, ist verloren gegangen.

Doch Heibel skizziert ein anderes Szenario: Wie überraschend wäre es, wenn das US-Wachstum nach Europa überschwappt und die EZB unter Zugzwang kommt, die Geldflutung schneller zurückzuführen, als sie dies derzeit beabsichtigt. Es wäre einmal mehr genau das Gegenteil dessen, was die meisten Marktteilnehmer sich derzeit wünschen. Doch einmal mehr würde die Aussicht auf ein Ende der Geldflutung das Vertrauen zurückbringen, das viele Unternehmen benötigen, um langfristige Investitionen einzugehen.

Die Umfrage offenbar auch Widersprüche: Obwohl viele ein schnelles Ende der Trump-Rally erwarten, sehen die Meisten dennoch die besten Anlagechancen nach wie vor bei Aktien. Auch Immobilien und Energierohstoffe werden gutes Kurspotential zugeschrieben.

Von Staatsanleihen wollen Anleger hingegen die Finger lassen. Diese Papiere werden im Wert fallen, erwarten 45 Prozent der Umfrageteilnehmer. Auch Unternehmensanleihen traut man nicht viel zu, wenngleich bei dieser Anlageklasse eher stagnierende Kurse erwartet werden. Edelmetalle, Industriemetalle und Nahrungsmittel werden im Jahr 2017 nach Meinung der Umfrageteilnehmer im Preis stagnieren oder leicht ansteigen.

Für das Börsenjahr 2016 wünscht Heibel den Anlegern ein gutes Händchen und und rät: „Setzen Sie ab und zu auf das Unerwartete“.


Anlegen 2017 – Alle Teile der Serie

Zum Jahreswechsel gibt die Handelsblatt-Redaktion einen Ein- und Ausblick zu verschiedenen Anlageklassen und Geldanlagemöglichkeiten. Die Serie hat 14 Teile und läuft vom 22. Dezember bis 4. Januar 2017. Jeweils im Tagesverlauf geht eine weitere Folge online.

Teil 1 (22.12.): Aktien Deutschland

Teil 2 (23.12.): Wohnimmobilien

Teil 4 (25.12.): Gold

Teil 6 (27.12.): Aktien Europa

Teil 7 (28.12.): Aktien Schwellenländer

Teil 8 (29.12.): Aktien Nordeuropa

Teil 9 (30.12.): Devisen

Teil 10 (31.12.): Der beste Markt der Welt

Teil 11 (1.1.2016): Aus Fehlern lernen

Teil 12 (2.1.): Aktien USA

Teil 13 (3.1.): Kreditzinsen

Teil 14 (4.1.): Leser-Erwartungen 2017

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