Anlegen 2017 – Teil 2 – Wohnimmobilien Wohnung verzweifelt gesucht

In Deutschland fehlen eine Million Wohnungen. Deshalb sind weiter kräftig steigende Mieten und Wohnungspreise kaum zu verhindern. Und noch aus einem weiteren Grund werden 2017 viele vom eigenen Haus nur träumen können.

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In manchen Stadtteilen der Hauptstadt konkurrieren mehr als 60 Interessenten um eine einzige Mietwohnung. Quelle: dpa - picture-alliance

Düsseldorf Schlangen durchs Treppenhaus bis auf den Gehsteig: Die wird es auch im nächsten Jahr in deutschen Großstädten geben – und zwar immer dann, wenn es eine Mietwohnung zu besichtigen gibt. Da mögen seriöse Makler noch so sehr beteuern, dass sie nur Einzeltermine für Besichtigungen vergeben. Und auch die diversen Start-ups, die Vermietern versprechen, aus den vielen Wohnungsbewerbern denjenigen herauszufiltern, der für ihre Wohnung der Richtige ist, verlagern das Auswahlproblem nur vom Ortstermin ins Internet.

Denn eines gilt im 2017 genauso wie im zu Ende gehenden Jahr 2016, weiß Reiner Braun, Vorstand der auf Immobilienmarktanalysen spezialisierten Gesellschaft Empirica: „Wir brauchen mehr Wohnungen.“

Aber die lassen sich nicht so schnell in ausreichender Zahl bauen. Denn obwohl 2016 so viele Wohnungen Baugenehmigungen erhalten werden wie zuletzt vor 17 Jahren, werden es weniger sein, als eigentlich pro Jahr gebaut werden müssten. Reiner Braun schätzt, dass es 350.000 sein müssten – und das zehn Jahre hintereinander.

Grund ist der Nachholbedarf, weiß Rolf Buch, Vorstandschef von Deutschlands größtem Wohnungsvermieter Vonovia: „Wir haben eine Million Wohnungen zu wenig.“ Gegenrechnungen, wonach doch in ländlichen Gebieten Tausende Wohnungen leer stehen, begegnet Buch mit Kopfschütteln: Wer ländliche Gebiete verlasse und dafür in Ballungszentren Wohnraum nachfrage, vergrößere den Bedarf dort und den Leerstand in der Gegend, die er verlässt.

Ablesbar ist dies am Leerstandsindex für Wohnraum, den Empirica und der Immobiliendienstleister CBRE errechnen. Demnach beträgt in Schrumpfungsregionen der sogenannte marktaktive Leerstand 6,9 Prozent, Tendenz steigend, und in Wachstumsregionen 2,1 Prozent, Tendenz fallend. Marktaktiv bedeutet, dass ohnehin unvermietbare Ruinen gar nicht mitgezählt wurden. Dass es die in vielen ostdeutschen Dörfern und Kleinstädten gibt, ist weithin bekannt. Doch wer aufmerksam durch kleine Ortschaften im Taunus nur 50 Kilometer von der prosperierenden Mainmetropole Frankfurt entfernt fährt, wird sie auch dort entdecken.

Die Situation wird sich nicht ändern, ist Harald Hermann, Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), überzeugt: „Regionen abseits der Ballungsräume werden auch in Zukunft weiter an Bevölkerung verlieren.“

Auf der anderen Seite wären Wohnungssuchende in Frankfurt froh, wenn dort wenigstens der Durchschnittsleerstand halbwegs erreicht würde. Das würde ihre Chance auf eine neue Bleibe deutlich erhöhen. Tatsächlich beträgt der Leerstand dort aber nur 0,5 Prozent. Genauso gering ist er in der mittelgroßen Universitätsstadt Münster, und nur in München ist er mit 0,2 Prozent noch niedriger. Doch die Stadt sprengt mit durchschnittlichen Neuvertragsmieten von 13 Euro pro Quadratmeter und Monat im dritten Quartal 2016 ohnehin jegliche Dimension in Deutschland.
Der Durchschnittsleerstand von 2,1 Prozent in prosperierenden Städten wäre auch in etwa das, was sich Wohnungsmarktexperten als Fluktuationsreserve für Wohnungswechsler wünschen. Von der ist Berlin inzwischen weit entfernt, auch wenn die Situation dort noch nicht so dramatisch ist wie in München und Frankfurt. Die Hauptstadtbevölkerung wächst jährlich um 40.000 Menschen, was dazu geführt hat, dass sich die Leerstandsquote binnen vier Jahren auf 1,2 Prozent halbiert hat.


60 Bewerber für eine Wohnung

Wie es sich auf die Wohnungssuchenden auswirkt, wenn in einer Metropole mit wenigen freien Wohnungen Tausende Menschen mehr zu- als wegziehen hat Immobilienscout24 am Beispiel Berlins ermittelt. Die Plattform hat die Zahl der Bewerber auf die über Immobilienscout angebotenen Berliner Wohnungen getrennt nach Stadtteilen erfasst. Herauskam, dass sich in Wedding im Durchschnitt 62 Bewerber um eine freie Wohnung bemühen, so viele wie in keinem anderen Stadtteil. Viel geringer ist die Konkurrenz auch in Neukölln nicht.

Und in keinem der zehn bei Wohnungssuchenden beliebtesten Stadtteile der Hauptstadt gibt es so wenige Bewerber, dass der Vermieter sie alle gleichzeitig in die Wohnung einlassen könnte: In Steglitz am Ende der Liste sind es immer noch 42.

In Deutschlands übrigen Metropolen dürfte es nicht gravierend leichter sein, eine Mietwohnung zu finden. Erst recht nicht in beliebten Universitätsstädten wie Münster oder auch Freiburg, wo wohnen inzwischen teurer ist als in den meisten der sieben Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Hamburg, München und Stuttgart. In Freiburg und anderen bevorzugten Universitätsstädten wird in wenigen Wochen der Kampf um kleine Wohnung besonders hart, wenn dort wieder die Erstsemester auf Wohnungssuche gehen.

Zumindest die Bezieher mittlerer Einkommen grübeln angesichts solcher Verhältnisse darüber nach, ob sie nicht doch besser kaufen statt mieten. „Drei von vier Mietern wollen Eigentümer sein“, hat der Immobilienkreditvermittler Interhyp nach einer Umfrage herausgefunden. „Besonders stark ist dieser Wunsch bei jüngeren Menschen: Neun von zehn Mietern unter 40 Jahren möchten eines Tages Immobilienbesitzer sein“, schreibt das Unternehmen in seiner Wohntraumstudie 2016.

Wenn die Prognosen zur Entwicklung von Einkommen, Wohnungspreisen und Baugeldzinsen wahr werden, wird es für immer mehr der Möchtegern-Hausbesitzer beim Träumen bleiben. In den vergangenen Jahren konnten sich viele Menschen Wohnungen und Häuser nur deshalb kaufen, weil die Zinsen sanken und somit Wohneigentum erschwinglicher wurde. Doch schon seit etwa fünf Jahren steigen in den Ballungszentren, wo das Gros der Menschen lebt, die Preise für Wohnungen und Einfamilienhäuser schneller als die Einkommen. Daran wird sich angesichts der Wohnungsknappheit nichts ändern.

Empirica-Vorstand Braun erwartet, dass die Preise für Eigentumswohnungen in den prosperierenden Städten in Deutschland im Schnitt um drei Prozent zulegen. Doch das sind Durchschnittswerte, die in den sogenannten Hotspot-Städten wie Berlin locker übertroffen werden. Helen Lindner, die den Hauptstadtmarkt für Ziegert, einen der größten Makler Berlins, analysiert, erwartet, dass die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen im Jahr 2018 um 20 Prozent höher liegen werden als derzeit.


Baugeldzinsen steigen 2017 leicht

Solche Steigerungsraten sind möglich, weil Berlin gemessen an anderen Metropolen noch immer eine billige Stadt ist. In der vom Marktforschungsinstitut F+B Forschung und Beratung für Wohnen vierteljährlich erstellten Hitliste der teuersten Städte Deutschlands mit mehr als 25.000 Einwohnern liegt Berlin nach dem dritten Quartal 2016 mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 2.560 Euro nur auf Platz 74 und damit sogar deutlich hinter vielen kleinen Umlandgemeinden in den Speckgürteln von Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und erst recht München. In der bayerischen Hauptstadt ist der Quadratmeterpreis inzwischen bei mehr als 5.700 Euro angelangt.

Rasante Sprünge bei den Baugeldzinsen werden im nächsten Jahr nicht erwartet. Michael Neumann, Vorstand des Baugeldvermittlers Dr. Klein erinnert daran, dass auch leichte Zinsanstiege nichts daran ändern, „dass sich die Bauzinsen auf einem historisch niedrigen Niveau befinden“.

Dass sie weiter fallen werden, kann ernsthaft niemand erwarten, nachdem die zehnjährige Bundesanleihe die Zone der Negativrendite verlassen hat. Die Zehnjährige des Bundes ist eine Art Seismograph zur Vorhersage der Bauzinsen. Denn seit Jahren verlaufen die Zinsenkurven für Baugeld mit fünf, zehn und 15 Jahren mit etwas Abstand parallel zur Renditekurve dieser Bundesanleihe. Dies gilt, auch wenn die Renditeschritte nicht auf den Tag genau und in der Dimension eins zu eins auf die Baugeldkonditionen übertragen werden.

Für viele, die es dank der sinkenden Zinsen jüngst gerade noch geschafft haben, ihr Eigenheim zu finanzieren, läuten die steigenden Zinsen jetzt das Ende des Traums ein. Und die Käufer von Kapitalanlagewohnungen müssen sich im neuen Jahr auf noch geringere Renditen einstellen. Dies ergibt sich schon allein daraus, dass die Preise auch 2017 schneller steigen als die Mieten, wie die von anderen Marktforschern geteilt Prognose von Empirica-Vorstand Braun zeigt. Denn die – wenn auch nur leicht – steigenden Zinsen schmälern die Rendite zusätzlich.


Anlegen 2017 – Alle Teile der Serie

Zum Jahreswechsel gibt die Handelsblatt-Redaktion einen Ein- und Ausblick zu verschiedenen Anlageklassen und Geldanlagemöglichkeiten. Die Serie hat 14 Teile und läuft vom 22. Dezember bis 4. Januar 2017. Jeweils im Tagesverlauf geht eine weitere Folge online.

Teil 1 (22.12.): Aktien Deutschland

Teil 2 (23.12.): Wohnimmobilien

Teil 4 (25.12.): Gold

Teil 6 (27.12.): Aktien Europa

Teil 7 (28.12.): Aktien Schwellenländer

Teil 8 (29.12.): Aktien Nordeuropa

Teil 9 (30.12.): Devisen

Teil 10 (31.12.): Der beste Markt der Welt

Teil 11 (1.1.2016): Aus Fehlern lernen

Teil 12 (2.1.): Aktien USA

Teil 13 (3.1.): Kreditzinsen

Teil 14 (4.1.): Leser-Erwartungen 2017

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