Anlegeralphabet Der Jahresabschluss - (k)ein Buch mit sieben Siegeln

Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte sehen nach schwerer Kost für Anleger aus. Folge J wie Jahresabschluss unseres Anlegeralphabets zeigt, wie selbst Laien schnell die interessanten Informationen finden.

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Geschäftsberichte lesen. Quelle: Getty Images

Große börsennotierte Unternehmen präsentieren ihre Jahresabschlüsse meist in Form von dicken Geschäfts- und Finanzberichten, oft im Umfang von 200 bis 300 Seiten. Wenn die Schwarten erscheinen, meist im März oder April, sind die nackten Zahlen selbst natürlich schon längst bekannt, weil durch die Bilanzpressekonferenz und entsprechende Mitteilungen des Unternehmens bereits veröffentlicht.

Anleger nehmen den Geschäftsbericht daher nicht hauptsächlich wegen der von einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen geprüften Geschäftszahlen aus dem Jahresabschluss in die Hand. Langfristig interessanter sind stattdessen vor allem die darin enthaltenen verbalen Informationen über das Unternehmen. Wo findet man diese?

Der Jahresabschluss einer Aktiengesellschaft enthält neben der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung auch einen Anhang und Lagebericht. Anleger suchen im Geschäftsbericht insbesondere den für Kapitalgesellschaften vorgeschriebenen Lagebericht. Dort muss das Unternehmen schildern, wie es aufgebaut und organisiert ist, wie das Geschäftsmodell funktioniert oder funktionieren sollte und welchen Risiken es ausgesetzt ist. Zudem muss das Management dort eine Prognose für die künftige Entwicklung wichtiger Kennzahlen wie Umsatz und Gewinn liefern.

Prozessrisiken, Pensionsrückstellungen, Abschreibungen

Informativ ist neben dem Lagebericht auch der Anhang, der die Zahlen aus Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung erläutert. Relevant sind hier zum Beispiel die Abschnitte über die Rückstellungen, die ein Unternehmen für künftige Belastungen bilden muss. Hier kann man etwa sehen, ob dem Unternehmen hohe Strafen von Behörden oder Kosten für Gerichtsprozesse drohen oder welche künftigen Pensionsansprüche die Mitarbeiter gegen ihren Arbeitgeber haben. Der Lagebericht und der Anhang mit den detaillierten Erläuterungen der Bilanzposten müssen ebenfalls vom Wirtschaftsprüfer durchleuchtet werden.

Der Jahresabschluss soll die Hintergründe für die Geschäftszahlen eines Unternehmens liefern. Diese Zahlen stammen aus dessen internem Rechnungswesen. Für die laufende Buchführung genau wie für die abschließende Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung eines Jahres gelten Regeln. Das sind entweder die Vorschriften des deutschen Handelsrechts oder – wie bei größeren börsennotierten Unternehmen üblich – internationale Rechnungslegungsstandards.

Trotz verbindlicher Regeln besteht für das Management Spielraum für Bilanzpolitik. Anleger sollten sich darüber im Klaren sein, dass im Zweifelsfall das Management sich eher für eine aus seiner Sicht günstige Darstellung entscheidet. So besteht im deutschen Bilanzrecht zum Beispiel die Wahl zwischen schnellen und langsamen Abschreibungen von Vermögensposten.

Verbale Informationen veralten langsamer als die nackten Zahlen

Die Bilanz stellt dem Vermögen des Unternehmens dessen Schulden und Eigenkapital gegenüber. Das ist eine eingefrorene Momentaufnahme zu einem Stichtag, dem letzten Tag des Geschäftsjahres. Daher liefern die Unternehmen auch immer einen Vergleich mit den Vorjahren, den man sich natürlich anschauen sollte.

Die Gewinn- und Verlustzahlen dagegen beziehen sich auf das gesamte abgelaufene Geschäftsjahr und zeigen, was nach Abzug aller Kosten etwa für Personal und Material oder der Steuern von den Umsätzen übrig geblieben ist.

Die Jahresabschlüsse von großen Aktiengesellschaften sind fast immer Konzernabschlüsse, in denen auch die Zahlen der von dem Unternehmen kontrollierten Töchter berücksichtigt werden. Umsätze zwischen den zum Konzern gehörenden Unternehmen werden dabei miteinander verrechnet. Das gilt auch für die in den Einzelbilanzen angesetzten Beteiligungen und das Eigenkapital der Töchter, ebenso für Schulden und Forderungen eines Konzernmitglieds bei einem anderen.

Unterschiedliche Standards bei der Rechnungslegung

Die Welt der Geschäftszahlen ist nicht so eindeutig und objektiv wie man vermuten könnte. Das zeigt schon die Tatsache, dass es unterschiedliche Rechnungslegungsnormen gibt, etwa die des deutschen Handelsgesetzbuchs und Aktienrechts oder die angelsächsisch geprägten Standards der internationalen Rechnungslegung.

Beiden Regelwerken liegen unterschiedliche Philosophien zugrunde. Das deutsche Handelsrecht ist traditionell geprägt vom Gläubigerschutz, will also sicherstellen, dass Kreditgeber das dem Unternehmen geliehene Geld zurückbekommen. Vermögen wird nach dieser Philosophie vorsichtig bewertet, also im Zweifel niedriger in der Bilanz angesetzt. Schulden dagegen werden eher mit dem maximal drohenden Betrag ausgewiesen. Gewinne dürfen also erst geschrieben werden, wenn sie wirklich sicher erzielt wurden.

Ganz anders sieht das Prinzip der vom Kapitalmarkt geprägten internationalen Rechnungslegung aus. Sie dient in erster Linie der Information von Investoren und will den Anspruch der Eigentümer auf angemessene Dividenden sicherstellen. An vielen Stellen fällt die Bewertung von Bilanzpositionen offensiver aus und werden Gewinne früher ausgewiesen.

Der kurze Ausflug in die Rechnungslegung soll zeigen, dass der gleiche Geschäftsvorfall je nach geltender Regelung anders dargestellt werden kann. Manche Unternehmen stellen deshalb eine Überleitungsrechnung von deutschen zu internationalen Normen zur Verfügung.

Ein Geschäftsbericht ist kein Roman, den man sich von vorne bis hinten durchliest. Er dient vielmehr als Nachschlagewerk für ausgewählte Bilanzpositionen, Projekte oder Probleme eines Unternehmens. Die verbalen Informationen zu diesen Punkten veralten wesentlich langsamer als die nackten Zahlen. Deshalb können Anleger sich eine Printversion des Geschäftsberichts auch noch auf der meist lang nach dessen Veröffentlichung stattfindenden Hauptversammlung einstecken, wo meist noch genügend Exemplare ausliegen.

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