Anleihen Die Zinswende kommt – ganz langsam

Ökonomen glauben, dass die EZB ab Januar ihre Anleihekäufe zurückfahren wird. Das wird auch die Bondrenditen steigen lassen. Aber das ist noch kein Grund zum Jubeln: Auf attraktive Zinsen müssen Anleger noch lange warten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Immer noch bekommen Anleger für zehnjährige Bundesanleihen sehr wenig Geld. Bis zu einer Laufzeit von acht Jahren sind die Renditen sogar negativ. Quelle: Imago

Frankfurt Eigentlich mag Sintje Boie das Wort „Zinswende“ gar nicht mehr in den Mund nehmen. Zu lange warten Investoren schon darauf, dass sich die Anlage in festverzinsliche Wertpapiere wieder lohnt. Dennoch ist die Anleiheanalystin der HSH Nordbank überzeugt: Irgendwann muss die Zinswende kommen, und das dürfte im nächsten halben Jahr der Fall sein.

Grund zum Jubeln ist das für Anleger allerdings noch lange nicht. Boie rechnet damit, dass die Rendite der in zehn Jahren fälligen deutschen Staatsanleihe bis März 2018 auf ein Prozent steigen wird. Das wäre immer noch zu wenig, um Anleger für die Inflationsrate von zuletzt 1,5 Prozent im Euro-Raum zu entschädigen. In Deutschland stiegen die Verbraucherpreise zuletzt sogar um 1,8 Prozent.

Dennoch: Im Juni 2016 – kurz nach dem Votum der Briten gegen die EU – hatte die zehnjährige Bund-Rendite mit minus 0,2 Prozent ein historisches Tief erreicht. Inzwischen liegt sie bei 0,4 Prozent. Die Zinswende hat also im Grunde genommen schon begonnen, aber sie vollzieht sich nur sehr langsam. Das dürfte auch so weitergehen.

Denn Boie von der HSH Nordbank gibt mit ihrer Prognose von einem Prozent schon die höchste Schätzung ab. Die anderen sechs Banken, die der Bundesverband öffentlicher Banken (VÖB) am Mittwoch zu seiner halbjährlichen Zinsprognose-Pressekonferenz eingeladen hatte, sind deutlich skeptischer. BayernLB und DZ Bank zum Beispiel erwarten einen Renditeanstieg auf gerade mal ein halbes Prozent.

Das ist erstaunlich, denn von Ende Juni bis Mitte Juli war die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe, die als Maßstab für die Kapitalmarktzinsen im Euro-Raum gilt, schon von einen viertel Prozent auf 0,6 Prozent gestiegen. Damals war der Auslöser, dass Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), erstmals andeutete, dass die EZB ihre umstrittenen Anleihekäufe reduzieren wird.

Das kam nicht überraschend, denn dass die EZB mit ihren seit März 2015 laufenden Anleihekäufen langsam an ihre Grenzen stößt, ist schon lange klar. Dennoch hatte sich der Markt offensichtlich noch nicht auf das Zurückfahren der Anleihekäufe - im Jargon Tapering - von aktuell noch 60 Milliarden Euro monatlich eingestellt.

Insgesamt hat die EZB Anleihen – vor allem Staatspapiere – im Umfang von mehr als zwei Billionen Euro gekauft. Mit den Käufen will die EZB Kreditvergabe, Wirtschaft und Inflation ankurbeln. Um dieses Ziel zu erreichen, hält sie außerdem den Leitzins bei null Prozent und hat den Einlagensatz, zu dem sich Banken über Nacht Geld bei der Zentralbank leihen können, auf minus 0,4 Prozent gesenkt. Banken zahlen also einen Strafzins, wenn sie Geld bei der EZB anlegen, anstatt es zu verleihen.

Das hat die Zinswelt auf den Kopf gestellt, noch heute rentieren viele Anleihen im Minus. In der Euro-Zone ist dies in Deutschland am stärksten ausgeprägt: Die zweijährige Bundesschatzanweisung rentiert mit minus 0,7 Prozent, und eine positive Verzinsung gibt es erst bei Bundesanleihen ab einer Laufzeit von acht Jahren. Viele Länder nutzen das niedrige Zinsniveau aus und begeben Anleihen mit längeren Laufzeiten, um sich günstig zu refinanzieren. Am Dienstag hatte Österreich sich für 100 Jahre Geld geliehen.


EZB bleibt noch lange im Markt

Dass die EZB ihre Anleihekäufe ab Januar reduzieren wird, ist aber inzwischen Konsens am Markt. Wie genau sie vorgehen wird, ist indes noch unklar. Ulf Krauss, Zinsexperte bei der Helaba geht davon aus, dass die Notenbanker um Draghi die Anleihekäufe im ersten Schritt deutlich um 20 Milliarden oder sogar 30 Milliarden Euro senken werden. Das wäre mehr, als der Markt erwartet. Damit würde die EZB sich Spielraum verschaffen, um das Anleihekaufprogramm gegebenenfalls auch wieder etwas hochzufahren, meint Krauss.

Andere Experten erwarten zunächst eine etwas geringere Reduktion der Käufe. Klar ist aber auch für Jens Kramer, Volkswirt bei der NordLB, dass sich die EZB noch etwas Spielraum lassen wird. Den Passus, dass die Anleihekäufe wieder steigen könnten, werde die EZB wohl beibehalten. Davon geht auch Alexander Aldinger, Zinsstratege bei der BayernLB aus. Schon allein wegen den anstehenden Wahlen in Italien im nächsten Frühjahr werde die EZB flexibel bleiben.

Wichtig ist auch, dass die EZB trotz der Reduzierung der Käufe ein wichtiger Akteur am Markt bleibt. Das liegt auch daran, dass sie das Geld aus fälligen Anleihen wohl noch lange Zeit wieder neu am Markt investieren wird. Selbst in den Jahren 2019 und 2020 dürfte die EZB so noch Anleihen im Umfang von 15 Milliarden bis 20 Milliarden Euro pro Monat kaufen, meint Michael Klawitter, Zinsstratege bei der Dekabank.

Aus diesen Gründen wird es nach Einschätzung der vom VÖB befragten Zinsexperten keinen sprunghaften Renditeanstieg geben. Hinzu kommt, dass die Rendite schon von ihrem Jahreshochs heruntergekommen ist. Angesichts der sich aufhellenden Konjunktur ist dies für Elmar Völker, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg, nicht zu erklären. Gründe für den Renditerückgang sind auch nach Ansicht der anderen Ökonomen vor allem die Spannungen zwischen den USA und Nordkorea und die Erwartungen an die US-Notenbank (Fed).

Die meisten Investoren rechnen nicht mehr damit, dass die Fed in diesem Jahr die Leitzinsen weiter erhöht. Auch für das nächste Jahr spiegeln die Märkte kaum noch Leitzinserhöhungen wider. Zu Unrecht, meint Völker von der LBBW. Er erwartet in diesem Jahr noch eine und im kommenden Jahr zwei Zinserhöhungen.

Auch die anderen vom VÖB befragten Ökonomen rechnen mit weiteren Zinserhöhungen der Fed. Zudem hat die US-Notenbank schon erklärt, dass sie – anders als die EZB – ihre Bilanzsumme schrumpfen wird. Das bedeutet, dass die Fed immer weniger Geld aus fälligen Anleihen in neue Bonds investieren wird. Ihr Anleihekaufprogramm hat die Fed schon lange beendet.

Entsprechend dürften auch die Renditen von US-Staatsanleihen steigen. Hier reichen die Prognosen für zehnjährige US-Bonds auf Sicht von einem halben Jahr von 2,3 Prozent (Dekabank) bis 2,6 Prozent (HSH Nordbank). Dies entspräche einem Renditeanstieg von maximal 0,4 Prozentpunkten. Die steigenden US-Renditen dürften nach Ansicht von Hendrik Lodde, Zinsstratege bei der DZ Bank, auch ein Grund dafür sein, dass die Renditen der Bundesanleihen steigen – zumindest moderat.

Dabei sehen die Experten den Renditeanstieg positiv. Schuldner werden sich schließlich immer noch günstig refinanzieren können, und der Anlagenotstand würde bei etwas steigenden Renditen zumindest ein wenig gemildert. Das Schlimmste, meint Krauss von der Helaba, wäre, wenn die zehnjährige Bund-Rendite wieder in den negativen Bereich dreht. Das zumindest erwartet aber derzeit niemand.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%