Es war ein kurzer Brief, mit dem sich Angermayer am späten Nachmittag verabschiedete. „Liebe Freunde“ schreibt er, „nach langen, konstruktiven Beratungen haben meine Partner und ich eine sehr freundschaftliche Realteilung der ABL beschlossen.“ Er selbst mache sich „ziemlich wenig Sorgen“, dass ihm künftig langweilig werde.
Er müsse „zugeben, dass ich in den vergangenen zwei Jahren doch des Öfteren das Gefühl hatte, dass Arbeit nicht alles im Leben sein kann. Nach 15 Jahren im Dauerstress freue ich mich auf etwas mehr Privatleben und Zeit für Familie und Freunde.“ Damit geht die 13-jährige Geschichte der Angermayer, Brumm und Lange Unternehmensgruppe (ABL) zuende.
Das vor 13 Jahren von Angermayer und den Kaufleuten Peter Brumm und Andreas Lange gegründete Finanzkonglomerat ABL bestand aus mehr als 40 Gesellschaften. An der Spitze stand der Vermögensverwalter Altira mit der Beteiligungsgesellschaft Heliad. Zweite wichtige Beteiligung war die Aragon AG, unter deren Dach sich diverse Finanzvertriebe tummeln, deren 22.000 Berater Versicherungen, Fonds und dergleichen verkaufen. Kernstück der Gruppe war die Investmentboutique Silvia Quandt & Cie. AG.
Ein Investmenthaus ist eine Bank, die sich so nicht nennen darf, weil sie keine Lizenz hat, aber alle möglichen Geschäfte einer Bank macht: Kapital besorgen, Aktienanalysen schreiben, Unternehmen beim Verkauf von Beteiligungen beraten. Sie war in den vergangenen Jahren vor allem für Unternehmen der eigenen Gruppe aktiv. Dass Angermayer den Namen von Silvia Quandt, eine Tochter aus der ersten Ehe von Unternehmerlegende Herbert Quandt, nutzen durfte, hat Angermayer Silvias Sohn Golo zu verdanken. Beide sind seit vielen Jahren eng befreundet.
Schon seit einigen Monaten steht es nicht gut um die Gruppe. Aragon hat in den vergangenen drei Geschäftsjahren auf Konzernebene insgesamt einen Verlust von 13,7 Millionen Euro gemacht. Altira verzeichnet für den Zeitraum einen Verlust von 22,2 Millionen, der Solarfinanzierer Ecolutions ein Minus von 17 Millionen Euro, Heliad machte 30,5 Millionen Euro Verlust. Eine Dividende erhielten Aktionäre bislang nur von Altira - und das auch nur in einem einzigen Jahr.
Kuriose Börsenpannen
Fast 45 Minuten konnten am 29. Oktober 2013 an der US-Börse Nasdaq einige Indexstände nicht übermittelt werden. Wegen der fehlenden Daten wurde der Optionshandel vorübergehend ausgesetzt. Als Grund für die Panne nannte der Betreiber menschliches Versagen: Durch einen Bedienfehler seien Störungen in der Datenübertragung entstanden.
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Morgen des 26.8.2013 vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden.
Eine technische Panne hat die US-Technologiebörse Nasdaq am 22. August 2013 für mehrere Stunden lahmgelegt. Grund für den Knock out sei ein Softwareproblem gewesen, teilte der Börsenbetreiber Nasdaq OMX mit. Die Übermittlung von Kursdaten an die New Yorker Börse an der Wall Street war offenbar zusammengebrochen. Auch der Optionshandel wurde bis auf weiteres ausgesetzt. Erst nach rund dreistündiger Zwangspause konnte die Börse den Handel mit den Papieren von Technologiefirmen wie Apple, Facebook, Microsoft oder Google wiederaufnehmen. Die Nasdaq rechnet aber bisher nicht mit Schadenersatz- oder Haftungsansprüchen.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat am 21. August 2013 versehentlich eine riesige Menge von Optionsgeschäften getätigt. Die irrtümlichen Orders wurden kurz nach Handelseröffnung aufgegeben und betrafen Optionen auf Aktien, deren Börsensymbole mit den Buchstaben H bis L beginnen. Eine mit den Problemen vertraute Person, die nicht namentlich genannt werden wollte, führte die fehlerhaften Aufträge auf eine Computerpanne zurück. Diese habe dazu geführt, dass bloße Interessensbekundungen an den Optionen irrtümlich als Orders an die Handelsplätze versandt worden seien. Möglicherweise drohe Goldman Sachs ein Verlust in Millionenhöhe.
Ein Aktienhändler der UBS handelte durch Eingabe zu vieler Nullen im Januar 1999 innerhalb von zwei Minuten zehn Millionen Aktien der Pharmafirma Roche, von den aber überhaupt nur sieben Millionen Stück existierten. Das Handelsvolumen überstieg die Marktkapitalisierung von Roche um knapp die Hälfte. Den Verkauf versuchte er durch eigene Kauforders rückgängig zu machen. 2001 verkaufte ein Händler der Investmentbank Lehman Brothers aus Versehen immer hundertmal mehr Aktien als er wollte – vor allem von Schwergewichten wie AstraZeneca und BP – und vernichtete so zeitweise 30 Milliarden Pfund an Börsenwert.
Im Dezember 2001 begleitete UBS Warburg den Verkauf neuer Aktien des japanischen Unternehmens Dentsu. Ein Händler vertippte sich und verkaufte statt 16 Dentsu-Aktien zu 600.000 Yen gleich 610.000 Aktien zu 6 Yen an. Schnell verkaufte die UBS so 64.915 Aktien, was etwa der Hälfte des Emissionsvolumens entspricht. Die UBS verlor so 100 Millionen Dollar, weil sie die Aktien selbst zum Marktpreis kaufen musste, um die Käufer mit den Papieren zu versorgen.
Ein Händler von Bear Stearns verkaufte im Oktober 2002 Aktien für vier Milliarden Dollar anstelle von vier Millionen. Bevor der Vertipper auffiel, gingen bereits Wertpapiere im Wert vom 600 Millionen Dollar an neue Besitzer. Der Leitindex Dow Jones sank dadurch um 2,3 Prozent.
Der Hochfrequenzhandel war für den "Flash Crash" an der Wall Street verantwortlich, als sich im Mai 2010 durch einen blitzartigen Kurseinbruch aus heiterem Himmel binnen Minuten fast eine Billion Dollar Marktwert in Luft auflöste. Einige Aktien verloren in der kurzen Zeitspanne rund die Hälfte ihres Wertes. Schon davor hatte es Kritik gegeben an den immer schnelleren Börsengeschäften über Computersysteme. Beim sogenannten Hochfrequenzhandel werden tausende Transaktionen binnen Millisekunden durch Computer ausgelöst.
Ende Juni 2010 fielen die Aktien der Citigroup nach Massenverkäufen durch elektronische Handelssysteme zeitweise um17 Prozent. Da die US-Börsenaufsicht SEC nach dem „Flash Crash im Mai zuvor beschlossen hatte, Aktien aus dem Index S&P 500 vom Handel auszusetzen, sofern diese innerhalb von fünf Minuten mehr als zehn Prozent fallen oder steigen, stoppte diese Sicherungssystem den Kursrutsch. Fünf Minuten stoppte der Handel, dann beruhigte sich die Lage. Den Handelstag beendete die Citigroup-Aktie sieben Prozent im Minus.
Noch vor Facebook gab es einen weiteren verpatzten Börsengang: Die Erstnotiz der drittgrößten US-Börse BATS Global Markets Ende März 2012 endete mit einem Totalschaden. Die Aktien sollten auf der eigenen Handelsplattform ihr Börsendebüt feiern, aber die neuen BATS-Aktien sackten binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent. Als Schuldige wurde eine neue Software ausgemacht. BATS musste falschen Transaktionen zurücknehmen - und nahm die eigenen Aktien nach dem peinlichen Vorfall gleich mit von der Börse.
Als das 900 Millionen Nutzer starke Social-Media-Portal im Mai 2012 den Sprung an die Börse wagte, bekam die Erfolgsstory deutliche Risse. Nach gravierenden Pannen im Handelssystem der Technologiebörse Nasdaq in New York stürzte der Kurs des Börsenneulings rapide in die Tiefe. Beteiligte Firmen erlitten hohe Millionen-Verluste, etliche fordern von der Nasdaq Schadenersatz. Die Schweizer Großbank UBS, die beim Facebook-Börsengang 349 Millionen Franken (290 Millionen Euro) verlor, drohte bereits mit einer Klage gegen die Börse.
Am 31. Juli 2012 versetzte eine fehlerhafte Handelssoftware versetzte Wertpapierhändler und Anleger an der Wall Street in Aufruhr: In den ersten 45 Minuten des Handelstages verzeichneten rund 150 Aktientitel so hohe Umsätze wie sonst an einem ganzen Tag. Die Folge waren heftige Preisschwankungen, und fünf Aktien mussten sogar ganz aus dem Handel genommen werden. Das Börsenhandelshaus Knight Capital räumte ein, Probleme mit seinen computergestützten Systemen seien dafür verantwortlich. Ein neues Handelsprogramm hatte die Börse mit fehlerhaften Handelsaufträgen geflutet. Knight Capital verbuchte durch die viel zu teuer gekauften Aktien einen Verlust von rund 440 Millionen Dollar.
Kurz nach dem Handelsstart im April 2014 an der Technologiebörse Nasdaq schossen die Aktien des Lebensmittelherstellers Kraft Foods binnen einer Minute um satte 30 Prozent nach oben, von 45 auf mehr als 58 Dollar. Die Nasdaq verneinte Probleme mit ihrer Handelsplattform und machte einen Börsenmakler als Verursacher aus. Laut "Financial Times" hatte ein Handelsprogramm irrtümlich versucht, 30.000 Kraft-Aktien binnen kürzester Zeit zu ordern. Die Nasdaq und andere betroffene Börsen erklärten nach einer Untersuchung der Kursbewegungen die fragwürdigen Transaktionen oberhalb eines Kurses von 47,82 Dollar für ungültig. Der Fehler ereignete sich nur einen Tag, nachdem Kraft Foods sich aufgespalten und sein Geschäft mit Snacks außerhalb der USA unter dem Namen Mondelez International als eigenständige Aktie an die Nasdaq gebracht hatte.
Die Aktienkurse rauschten in den vergangenen Monaten in den Keller. An der Börse kosteten Altira, Aragon und Heliad Mitte 2007 noch über 600 Millionen Euro, heute haben sie nur noch einen Marktwert von gut 50 Millionen Euro. Aktionäre rebellierten. Promi-Investoren zogen sich zurück. José Marie Kolb, ein Mitglied des Milliardärs-Clans Werhahn (Diamant-Mehl, Zwilling) gab ihre Altira-Anteile genauso ab, wie Allianz Global Investors. Silvia und Golo zogen sich aus sämtlichen Beteiligungen, unter anderem der nach ihnen benannten Silvia Quandt& Cie AG, zurück. Das war ein herber Schlag für die Gruppe, die mit dem klangvollen Namen Quandt häufig auf Werbetour gegangen war.
Spekulationen um Altira AG
Schon seit langem gab es Gerüchte, dass es die ABL nicht mehr lange geben könnte. Die fünf ABL-Partner seien zerstritten und würden sich am Liebsten voneinander trennen, hieß es in Finanzkreisen. Gegenüber der WirtschaftsWoche hatten die Partner das allerdings noch Mitte September abgestritten. „Nein, es gibt keinen Streit. Wir verstehen uns seit 14 Jahren sehr gut und arbeiten sehr partnerschaftlich zusammen“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
In Zukunft werden sie dennoch getrennte Wege gehen. Wie die allerdings genau aussehen, ist unklar. Die Gruppe hat bislang nur grob kommuniziert, wie es mit den einzelnen Beteiligungen weitergehen soll. Der Anteil an dem Finanzvertrieb Aragon geht an die beiden Vorstände und ABL-Partner Sebastian Grabmaier und Ralph Konrad.
Die Anteile an Altira wurden laut Pressemitteilung bei Finanzinvestoren platziert. Deren Namen wurden nicht bekannt gegeben, auch nicht ob die beiden ABL-Partner Peter Brumm und Andreas Lange ihre Vorstandsposten behalten werden. In Finanzkreisen wird spekuliert, dass beide an der Altira AG beteiligt bleiben.
Den Anteil an der Silvia Quandt & Cie AG hat der Finanzinvestor PVM Private Values Media AG übernommen. PVM hatte vor einigen Wochen bereits Anteile an dem Solar-Finanzierer Ecolutions übernommen. Vorstand Sascha Magsamen liegt seitdem im Clinch mit dem Großinvestor Theolia, ein Investor aus Aix-en-Provence.
Magsamen teilt sich die Quandt AG noch mit dem Banker Joachim Paech, der das Unternehmen mitgegründet , seit September 2011 aber nicht mehr im Vorstand ist. Mit dem Eigentümerwechsel einher geht auch eine Umbenennung des Unternehmens. Silvia Quandt wird künftig FCM Frankfurt Capital Markets AG heißen.
Die Rechte für die Nutzung des Namens „Silvia Quandt“ galten wohl nur solange wie das Investmenthaus zur ABL-Gruppe gehört, ist in Finanzkreisen zu hören.
Engagement im Medienbereich
Völlig unklar ist die Zukunft von Christian Angermayer selbst. In seinem Brief teilte er mit, dass er sich künftig auf „meine Herzensthemen Afrika/Emerging Markets, Rohstoffe und Medien/Entertainment konzentrieren werde und die ABL-Beteiligungen in diesen Bereichen übernehmen werde.
Doch weder Mitarbeiter, noch Investoren wissen was das genau zu bedeuten hat und spekulieren, ob Angermayer künftig die gruppeneigene African Development Corporation, die vor allem in Finanzdienstleister investiert und im Vergleich zu anderen Gruppen-Unternehmen ganz gut da steht, managen will.
Die ADC ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien. Das heißt: Sie wird von einer GmbH gemanagt, die vollständig der Altira gehört. Die Kommanditisten und damit die Eigentümer des Unternehmens sind allerdings vor allem externe Investoren. Etwas mehr als ein Viertel der Anteile hält der Rohstoffhändler Trafigura. Daneben gibt es mehrere institutionelle und private Anleger mit Anteilen unter fünf Prozent. Altira selbst hält laut ADC-Homepage 7,8 Prozent der Aktien.
Theoretisch könnte Altira die Management-GmbH, als auch die eigenen Aktien an Angermayer verkaufen. Das ist allerdings vor allem deshalb unwahrscheinlich, weil es wohl im Investorenkreis schon seit Wochen rumort. Gerüchten zufolge wollten einige Anteilseigner die ADC gerne aus der ABL Gruppe heraus lösen. „Dass Christian Angermayer künftig die ADC leitet, wird nicht durchzusetzen sein“ sagt eine dem Unternehmen nahestehende Person.
Klar dürfte dagegen sein, was Angermayer mit seinem Engagement im Medienbereich meint. Er wird wohl die Anteile der Gruppe an der Filmhouse AG übernehmen, die plant einen Paganini-Film, in dem Angermayers Geiger-Kumpel David Garrett den Titelhelden geben soll. Angermayer hat geholfen, dafür zehn Millionen Euro bei Investoren einzusammeln.
Aus Angermayers Umfeld heißt es, dass dem 34-Jährigen die schwierige Lage der Gruppe und die kritische Berichterstattung zuletzt schwer zu schaffen gemacht hätten und gut vorstellbar sei, dass er sich erst mal ein paar Monate komplett aus dem Geschäftsleben zurück ziehe. In jedem Fall wird er seinen Traum, ein Unternehmen nach dem Vorbild von Goldman Sachs zu formen, erst einmal aufgeben müssen.