
Erst wurden „Einhörner“ geschlachtet, nun geraten auch Internet-Riesen unter Druck: Die Tech-Branche hat an der Börse einen miserablen Start ins neue Jahr erwischt. Anleger glauben nicht mehr an die rosigen Wachstumsaussichten, auf denen die hohen Bewertungen vieler Unternehmen basieren. Erinnerungen an den „Dot-com Crash“ zur Jahrtausendwende werden ins Gedächtnis zurückgerufen. Platzt schon wieder eine Tech-Blase?
15 Prozent hat der Technologie-Index Nasdaq Composite, in dem Branchen-Schwergewichte wie Apple, Google-Mutter Alphabet oder Amazon gelistet sind, seit Jahresbeginn verloren. Damit sind Zuwächse seit Ende 2014 futsch, Hunderte Milliarden an Börsenwert eingebüßt. Anleger hatten 2016 zwar ohnehin nicht viel zu Lachen – auch der US-Leitindex S&P 500 gab um fast zehn Prozent nach. Doch Tech-Aktien sind besonders heftig unter die Räder gekommen.
Die zehn größten IT-Übernahmen weltweit nach Kaufpreis
Im Jahr 2010 schluckte Microsoft die norwegische Suchmaschine Fast. Das 1997 gegründete Unternehmen ist auf Suchmaschinenprogramme für Firmenkunden spezialisiert. Der Kaufpreis soll 1,2 Milliarden US-Dollar betragen haben.
Quelle: Statista
2006 übernahm Google Youtube für 1,65 Milliarden US-Dollar. Youtube, damals noch ein defizitäres Start-Up-Unternehmen, war für Google zu diesem Zeitpunkt der teuerste Kauf in der achtjährigen Firmengeschichte.
2014 überrasche Facebook Branchenkenner mit dem Kauf von von Oculus VR. Zwei Milliarden US-Dollar zahlte Facebook für den Hersteller von VR-Brillen, die speziell für PC-Spiele ausgelegt sind. Mit dem Unternehmen hat Mark Zuckerberg großes vor. „Oculus hat die Chance, die sozialste Plattform überhaupt zu werden“, sagte er anlässlich der Übernahme.
Nur ein Jahr nach der Youtube-Übernahme kaufte Google für sage und schreibe 3,1 Milliarden US—Dollar den Anzeigenriesen Doubleclick. Auch Microsoft, AOL und Yahoo waren interessiert, hatten allerdings das Nachsehen. Schon vor dem Zukauf hatte Google die führende Stellung im Geschäft mit der Internet-Werbung inne. Mit der Übernahme konnte Google diese Position noch weiter ausbauen.
Ähnlich viel wie für Doubleclick zahlte Google für den Kauf Nest Labs: 3,2 Milliarden US-Dollar. Die Firma, die smarte Thermostate und Rauchmelder herstellt hat für Google ein ganz besonderes Potenzial: Sie ermöglicht Google das Sammeln von Daten in der analogen Welt.
Nur einen Monat, nachdem Google Microsoft Doubleclick vor der Nase weg kaufte, legte Microsoft 2007 nach und kaufte für 6,3 Milliarden US-Dollar Aquantive – einen Wettbewerber Doubleclick. Für Microsoft war das bis dato der größte Zukauf der Firmengeschichte. Letztendlich war es ein Flop für Microsoft.
Im Jahr 2013 kaufte Microsoft für 5,4 Milliarden US-Dollar die Handysparte von Nokia. Bereits seit 2011 hatten beide Unternehmen zusammengearbeitet – Nokia war der wichtigste Hersteller für Smartphone mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows Phone.
2011 tätigte Microsoft den bis dato teuersten Kauf seiner Firmengeschichte: Für 8,5 Milliarden US-Dollar übernahm Microsoft den Online-Telefondienst Skype. Rentiert hat sich das bis heute nicht. Skype fehlt es an zahlenden Kunden.
Im August 2011 kündigte Google an, den Mobilfunk-Pionier Motorola Mobility zu übernehmen. Insgesamt 12,5 Milliarden US-Dollar zahlte Google dafür. Interessant seien für Google nach eigenen Angaben vor allem das 17.000 Eintragungen umfassende Patentportfolio Motorolas gewesen. Die Liasion hielt nicht lange. 2014 verkaufte Google das Unternehmen für knapp drei Milliarden US-Dollar an Lenovo.
Im Februar 2014 kündigte Facebook an, den Messanger-Dienst Whatsapp zu übernehmen. Der damalige Kaufpreis: 19 Milliarden US-Dollar. Facebook hat Whatsapp wegen des schnell Nutzerzuwachs übernommen. Mittlerweile hat Whatsapp 700 Millionen Nutzer weltweit.
Experten warnen, dass es noch dicker kommen könnte. „Ich glaube definitiv, dass wir es in diesem Markt mit inflationierten Bewertungen zu tun haben“, sagte Hany Nada, Gründer der Wagniskapital-Firma GGV Capital, kürzlich dem Sender CNBC. Teilweise würden Unternehmen doppelt so hoch wie angemessen gehandelt.
Square-Börsengang war ein erstes Zeichen
Angefangen hatte der „Tech-Sturm“ im vergangenen Jahr mit steigender Skepsis an Start-ups, die noch nicht an der Börse notiert sind. Lange Zeit hatten Investoren diese Unternehmen mit Geld überschüttet, doch dann drehte die Stimmung. Das Potenzial der „Unicorns“ (Einhörner) genannten Hoffnungsträger wurde auf einmal kritisch hinterfragt.
Als „Unicorns“ werden (meist Tech-) Firmen bezeichnet, die abseits der Börse eine Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar schaffen. Prominente Beispiele sind Uber, Airbnb, oder Snapchat. Ein Raunen ging durch den Markt, als eines dieser Einhörner – der Bezahldienst Square von Twitter-Mitgründer Jack Dorsey – beim Börsengang im Herbst deutlich niedriger bewertet wurde als vorher in einer Finanzierungsrunde für Investoren.
Auch bei anderen Unternehmen schauten Geldgeber plötzlich genauer hin. So korrigierte die große Fondsgesellschaft Fidelity den Wert ihres Investments bei der Foto-App Snapchat um ein Viertel nach unten. Anlegern wurde bewusst, dass vielleicht nicht alle der hochgehandelten Tech-Perlen ihre Wachstumsversprechen erfüllen werden.
Die Zweifel weiteten sich aus - auch die Großen der Branche gerieten nun ins Visier der Märkte. Amazon verlor seit Jahresbeginn rund ein Viertel des Aktienwerts, Twitter fast ein Drittel, LinkedIn über die Hälfte. Selbst Apple und Alphabet - die beiden teuersten börsennotierten Unternehmen der Welt - konnten sich dem Abwärtssog nicht entziehen und lagen zuletzt mit zehn und neun Prozent im Minus.
Zwar haben einige Firmen große Probleme - Yahoo oder Twitter kriseln stark. Apple und Alphabet aber scheffeln Milliarden und sitzen auf riesigen Geldbergen. Auch die Quartalszahlen erklären den Abwärtstrend nicht: 65 Prozent der Tech-Konzerne übertrafen die Erwartungen der Analysten - das gelang nur 49 Prozent im S&P 500.
So ist der Ausverkauf eigentlich nur als grundsätzliches Umdenken der Anleger zu deuten. Warnungen vor einer Blase gibt es schon lange. Die Bewertungen wirken zum Teil auch wirklich wie eine sehr gewagte Wette auf die Zukunft - beispielsweise wird die Fahrdienst-App Uber in den Finanzierungsrunden von Investoren trotz roter Zahlen mit über 50 Milliarden Dollar bewertet und damit höher als Autoriesen wie die Opel-Mutter General Motors.
Trotzdem sagen die meisten Analysten, dass der Vergleich mit der zur Jahrtausendwende geplatzten Internet-Blase hinkt. Zur Erinnerung: Damals schluckte der Internet-Dino AOL, den Verizon im Mai 2015 für 4,4 Milliarden Dollar kaufte, Time Warner für über 160 Milliarden Dollar. Experte Marko Kolanovic von JPMorgan glaubt zwar, dass es mit den Tech-Werten vorerst noch weiter abwärts geht. „Ich würde aber nicht sagen, dass wir es mit einer ausgewachsenen Blase in dem Sektor zu tun haben.“