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der Dax wurde in den vergangenen Jahren weder weiblicher noch digitaler und im Vergleich zu Dow Jones und Co. schon gar nicht wertvoller. Quelle: AP

Der Dax ist wie ein verblutender Dinosaurier

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Deutschlands Leitindex sendet fatale Botschaften: keine CEO-Frauen, keine digitalen Newcomer, günstiger als Apple. So riecht Untergang, nicht Zukunft.

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Die alte Deutschland AG legt eine Bruchlandung in Zeitlupe hin. In Raten verabschieden sich deutsche Wirtschaftsikonen aus dem Leitindex Dax, und niemand sollte sie vermissen. Die Commerzbank musste gehen, weil sie der Hochfinanz noch nie gewachsen war. Thyssenkrupp musste gehen, weil keiner Missmanagement und chinesische Dumpinganbieter überlebt. Lufthansa muss als nächster Konzern mit dem Rauswurf rechnen, weil sich Pandemiepech mit zu wenig Cashreserven nicht verträgt.

Abgesehen vom Coronafaktor, ist das der normale Lauf der Dinge – vorausgesetzt, die Nachrücker würden für einen Aufbruch ins Hightechzeitalter stehen. Doch der deutsche Leitindex bildet nicht den Strukturwandel hin zu einer zeitgemäßeren Wirtschaft ab. Im Gegenteil, der Dax wurde in den vergangenen Jahren weder weiblicher noch digitaler und im Vergleich zu Dow Jones und Co. schon gar nicht wertvoller. Er wirkt wie ein verblutender Dinosaurier. Sollte an der Börse die Zukunft gehandelt werden, wie alle behaupten, dann drohen Deutschland bald existenzielle Probleme.

Zugegeben, es gibt faszinierende deutsche Firmen, deren Aktien nicht notiert sind. Und es gibt selbstverständlich ein paar gut aufgestellte Ausnahmen im Dax. Trotzdem geht vom Trend eine fatale Botschaft aus. Erstens kostet die gesamte vermeintliche Champions League eines reichen Industrielandes zusammen weniger als ein Handyhersteller aus Cupertino. Zweitens schafft es aktuell kein einziger der 30 Konzerne, einen weiblichen CEO zu beschäftigen. Man muss wirklich kein Freund von Quoten sein, um das für einen traurigen und peinlichen Rekord zu halten. Und drittens symbolisieren die Neuzugänge im Dax vieles – nur keine digitale Revolution. Zwar könnte der Bezahldienstleister Wirecard dafür stehen, aber mit seinen fragwürdigen Bilanzierungspraktiken ist er nicht erstligareif.

Donnerstagabend ordnet die Deutsche Börse ihre Ranglisten neu. Vergangenes Jahr führte das dazu, dass Gründungsmitglied Thyssenkrupp den Dax verlassen musste. Nun wird wohl die Lufthansa den Kreis der Dreißig verlassen.

Während sich die Schwergewichte der Autoindustrie zu lange auf ihren Spaltmassen ausruhten, statt sich intensiv mit teslawürdiger Software zu beschäftigen, dürfte jetzt mit der Deutschen Wohnen der zweite Wohnbaukonzern in die erste Liga aufsteigen. Die Verwaltung von Immobilien ist ein solides Geschäft, faszinierend ist anders. Betongold taugt nicht als Treibstoff für Raumschiffe, sondern höchstens als Beruhigungsmittel risikoscheuer Anleger. Doch im sedierten Zustand schafft es keiner in eine glorreiche Zukunft. Dafür braucht es einen anderen Spirit. Der Dax-Spirit ist es nicht.

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Wegen der Coronakrise kürzen viele Unternehmen jetzt ihre Dividenden für das Geschäftsjahr 2019 oder streichen sie gleich ganz. Aktionäre, die auf regelmäßige Einnahmen angewiesen sind, müssen ihr Depot umbauen – und neue Regeln beachten.

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