
Von der Stadtheiligen Sankt Katharina aus dem italienischen Siena sagt man, sie habe keine Mühe gescheut, den Mächtigen ins Gewissen zu reden. Sie kritisierte Eigennutz, verdammte Verschwendung und kämpfte gegen Hochmut. Und trotz ihrer Mahnungen blieb Katharina von Siena illusionslos. Die Welt, befand sie kurz vor ihrem Tod, schaffe im Grund nur eins: Leiden. Das habe Gott so gewollt, um den Weg zu ihm ins Jenseits besonders erstrebenswert scheinen zu lassen. Heute liegen Katharinas Gebeine noch immer in der Basilika von Siena. Und womöglich hat man nicht nur Wert darauf gelegt, ihre sterblichen Überreste zu verwahren sondern auch, ihre düsteren Prophezeiungen Wahrheit werden zu lassen.
Denn zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren bricht in diesen Tagen ökonomisches Unheil über der Stadt ein. Die Banca Monte dei Paschi di Siena entwickelt sich erneut zum Risiko.
Es ist nicht irgendeine Bank sondern die älteste der Welt und der gefährlichste Brandherd der Finanzwelt. Dabei ist sie nicht einmal besonders groß: 4,8 Milliarden Euro Marktkapitalisierung, keine 200 Milliarden Euro Bilanzsumme. Selbst die Verwebungen mit anderen Banken, was im Fall der Pleite einen Dominoeffekt auslösen könnte, sind nach allem, was man weiß, überschaubar. Trotzdem zittern Banker und Politiker in ganz Europa vor ihr.
Die Banca ist unreformierbar
Den Fall von Siena macht so besonders, dass hier die Fehler von Bankmanagern auf ein einmaliges System treffen, das sie in Siena ein „groviglio armonioso“ nennen, das harmonische Geflecht. Ein Geflecht aus wirtschaftlicher, politischer und ökonomischer Elite, das sehr schön veranschaulicht, welche desaströsen praktischen Folgen der recht abstrakte Begriff der Systemrelevanz entfalten kann und wie unreformierbar eine Bank ist, die eine giftige Symbiose mit der sie tragenden Gesellschaft eingegangen ist.
La Banca. La Cassa. La Bancarotta. Italien hat der Welt die Worte "Bank" geschenkt, "Kasse" und "Bankrott". In diesen Tagen nun kommt „La Casta“ hinzu. Die Kaste. Der Schlüssel zum Verständnis der italienischen Bankenkrise liegt in diesem einmaligen Geflecht.
„Ich nenne es lieber die unheilige Allianz“, sagt Davide Usai. Der 41-Jährige trägt die global gültige Uniform des modernen Managers: grauer Anzug, hellblaues Hemd, raspelkurze Haare und gepflegter Dreitagebart. Nur das Sakko, in das er noch hineinwachsen müsste, weicht vom erwartbaren Auftritt ab. Eigentlich gehört Usai überhaupt nicht dazu. Er soll als Chef der Fondazione Monte dei Paschi di Siena, die einst größter Anteilseigner der Bank war, eigentlich nach dem ersten großen Bankencrash von Siena vor fünf Jahren in der Toskana-Stadt aufräumen.
Stiftung und Geldautomat
Usai, ein stiller Mann, der eine Karriere als Finanzmanager beim italienischen Ableger des Kinderhilfswerks Unicef hinter sich hat, wurde im September vergangenen Jahres in Siena als Chef der mächtigen Stiftung, die sich den Namen mit der Bank teilt, eingesetzt. Da schien das Gröbste eigentlich vorbei: Die „Kaste“, die Siena Jahrzehnte ein Herrschaftsduopol aus Bank und Stiftung aufgedrückt hatte, war in den Wirren der Finanz- und Eurokrise zusammengebrochen. Nun sollten Manager von außen kommen, das System entflechten und in die Zukunft führen. Doch plötzlich befinden sich die Bank, und damit auch Stiftung und Stadt, wieder in einem perfekten Sturm.
Usai hat selbst eine Zeit gebraucht, um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Heute braucht er ein Wort, um das ganze Drama zu erklären: „Bancomat“, sagt Usai und schaut seinen Gegenüber erwartungsfroh an. Bancomat, muss man wissen, nennen die Italiener die Geldautomaten. Die Sieneser nannten so die Stiftung, deren Chef Usai heute ist. Man gab einen Wunsch oben ein, und unten purzelte das Geld zur Erfüllung des Wunsches heraus. Wie Manna vom azurblauen Toskana-Himmel.