Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding „Draghi hat auch den deutschen Mittelstand gerettet“

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"Das eigentliche Problem ist die Unsicherheit im Bankensektor"

Was hat sich die EZB dann bei dieser Sondermaßnahme gedacht? Wo ist das Problem?

Entgegen all den deutschen Inflationsängste hat die EZB ihr Ziel für den Preisauftrieb erheblich verfehlt, aber nach unten. Da bietet es für sie an, noch einmal nachzulegen, damit der Preisauftrieb langsam wieder die gewünschte Rate erreichen kann. Eigentlich kam die Draghi-Rede ein Jahr zu spät. Draghi hatte lange auf die Bedenken der Deutschen Bundesbank gegen Maßnahmen wie den möglichen Kauf von Staatsanleihen gehört. Hätte Draghi die Panik bereits im Sommer 2011 statt im Sommer 2012 gestoppt, wäre unsere Wirtschaftsleistung heute höher und der Preisauftrieb näher am Ziel.

Erreicht die EZB mit dieser erneuten Geldspritze an die Banken ihr Ziel, die Kreditvergabe an Unternehmen anzukurbeln, die – so die Hoffnung der Notenbanker- die Wirtschaft in den Euroländern belebt?

Ich glaube nicht, dass diese neuen Refinanzierungsgeschäfte für die Banken die Vergabe von Krediten deutlich ankurbeln wird. Das eigentliche Problem in der Eurozone ist die Unsicherheit im Bankensektor. Zurzeit prüft ja die EZB die Bilanzen der Institute und führt einen Stresstest durch. Solange die Banken die Aufseher im Haus haben und nicht wissen, wie beurteilen die uns, auf was genau gucken die, solange sind die Banken nicht bereit, ins Risiko zu gehen und mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben.

Erneut greift Draghi den schwächelnden Banken unter die Arme. Glauben Sie wirklich an eine Bereinigung des Bankensektors? Die Finanzinstitute müssen ja die billigen Kredite von der EZB gar nicht an Unternehmen weiterreichen. Sie können damit auch Staatsanleihen kaufen und mit der Rendite ihre Bilanzen aufpäppeln.

Die Banken werden nicht geschont. Sie werden einem harten Stress-Test unterworfen. Auch deshalb haben viele Banken schon ihre Bilanzen durch neues Kapital gestärkt. Allerdings kommt dieser Banken-Check tatsächlich ein Jahr zu spät. Hätte man das früher gemacht, ginge es der Eurozone insgesamt schon besser. Die Kreditklemme, die wir in Teilen der Eurozone haben, ist eine Folge der Unsicherheit bei den Banken, keine Folge der EZB-Geldpolitik. Deshalb sind auch die neuen Refinanzierungsgeschäfte, die die EZB den Banken nun anbietet, nicht entscheidend.  Entscheidend ist tatsächlich die Bereinigung des Bankensektors.

Rechnen Sie damit, dass die EZB doch noch in großem Umfang Staatsanleihen kaufen wird?

Nein, das ist weder notwendig noch sinnvoll. Schwierig würde es allerdings, wenn der Preisauftrieb noch weiter zurückgeht und die EZB ihr Inflationsziel noch weiter verfehlt. Dann würde es zumindest eine Diskussion über einen Ankauf von Staatsanleihen wie anderswo geben. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Außerdem hat die EZB ja angekündigt, die Zinsen bis 2016 auf dem derzeitigen niedrigen Niveau zu lassen. Das ist angemessen. Ich kann nicht verstehen, wieso manche Ökonomen in Deutschland bereits heute höhere Leitzinsen fordern, obwohl der Preisauftrieb weit unter dem Ziel der EZB liegt und sich keinerlei Inflationsgefahren abzeichnen. Das widerspricht jeglicher volkswirtschaftlichen Logik und dem eindeutigen Mandat der EZB, der Preisstabilität Vorrang zu geben.

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