Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding „Draghi hat auch den deutschen Mittelstand gerettet“

Seite 2/4

"Geldpolitik muss normales Wachstum ermöglichen"

Die Schulden in diesen Ländern wachsen immer noch schneller als die Wirtschaft – mit Hilfe der Notenbankpolitik der EZB. Die Staaten können sich dank Draghis Niedrigzinspolitik weiter billig finanzieren.

Die Schuldenquote ist in den letzten drei Jahren vor allem deshalb gestiegen, weil in der Anpassungskrise zunächst die Wirtschaftsleistung eingebrochen ist. Nur dank Draghi haben die Krisenländer überhaupt die Gelegenheit bekommen, ihre schmerzhaften Reformen umzusetzen, ohne zwischendurch in einer eskalierenden Depression und Deflation zu versinken. Auch nach der deutschen Agenda 2010 ist die deutsche Schuldenquote noch jahrelang gestiegen bis schließlich das Wachstum der Wirtschaft den Schuldentrend gedreht hat. Jetzt müssen die Krisenländer weiter wachsen, um ihre Schuldenquote zu vermindern.

Reformen, etwa in Portugal oder Griechenland, werden schon wieder zurückgefahren.

Nein, Reformen werden nicht zurückgedreht. Das Verfassungsgericht in Portugal hat zwar einen Teil der Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst für verfassungswidrig erklärt. Die portugiesische Regierung bemüht sich aber, dies auszugleichen, also woanders zu kürzen. Das ist kein Zurückdrehen.

Portugal

Auch nicht in Griechenland? Selbst EZB-Präsident Draghi drängte erst jüngst wieder zu wirtschaftlichen Reformen in den Eurokrisenländern. 

In Griechenland gibt es eine Diskussion, wo genau im Staatssektor die nächste Entlassungsrunde ansetzen muss. Das ist mühsam. Aber das ist kein Zurückdrehen von Reformen.

Sechs Jahre nach der Krise sind sich die Griechen darüber noch nicht einig? 

Der Streit darüber, wo und wie entlassen wird, ist Teil des normalen politischen Prozesses. Müssten bei uns nach Gehaltskürzungen um 20 Prozent  auch noch viele Staatsdiener entlassen werden, ginge das auch nicht geräuschlos ab.

So kreditwürdig sind die Eurostaaten
Das Centrum für europäische Politik (CEP) hat die Kreditfähigkeit der Euro-Staaten analysiert. Einen besonders intensiven Blick haben die Wissenschaftler auf Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien geworfen. Das Resultat: die Probleme, die zur Euro-Krise geführt haben, bestehen weiterhin - und haben sich sogar auf weitere Länder ausgeweitet. Quelle: dpa
Die Kreditfähigkeit von Spanien nimmt erstmals seit Einführung des Euros zu. Die Ampel für Spaniens Kreditwürdigkeit steht auf grün, das CEP vergibt beim Schuldenindex eine Wertung von 2,3. Ein positiver Wert des CEP-Default-Indexes bei gleichzeitigem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsüberschuss bedeutet: Das Land benötigt in der betrachteten Periode keine Auslandskredite, es steigert daher seine Kreditfähigkeit. Diese positive Entwicklung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch weitere Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen umsetzen muss, um die in den Krisenjahren drastisch angestiegene Staatsverschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Quelle: dpa
Auch für Irland steht die Ampel auf grün. Der ehemalige Krisenstaat hat, wie die kontinuierliche Zunahme der Kreditfähigkeit seit 2010 zeigt, die Krise überwunden. Der Schuldenindex beträgt 6,7, ist also deutlich positiv. Aufgabe muss es nun sein, die Investitionen, die auf fast Null gesunken sind, zu steigern, um die Wirtschaft wieder voran zu treiben. Quelle: dpa
Für Portugal zeigt die Ampel dagegen rotes Licht: Zwar erodiert die portugiesische Kreditfähigkeit noch immer. Der ununterbrochene Anstieg des Schuldenindexes seit 2011 zeigt jedoch, dass Portugal erhebliche Anstrengungen unternommen und Anpassungen bewältigt hat. Derzeit beträgt der Index -2. Unbeschadet dieser positiven Entwicklungen ist es allerdings fraglich, ob Portugal bereits ohne weitere Finanzhilfen auskommen wird, wenn das Anpassungsprogramm Mitte 2014 ausläuft. Quelle: dpa
Auch Italien gehört zu den Ländern mit einer "verfestigten abnehmenden Kreditfähigkeit", wie es beim CEP heißt. Die seit 2009 zu beobachtende Erosion der Kreditfähigkeit von Italien dauere an. Gegenüber 2012 habe sich der Verfall beschleunigt. Es sei fraglich, ob sich dies auf absehbare Zeit ändere. Denn die hierfür notwendigen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen seien von der italienischen Regierung bisher nicht ergriffen worden. Quelle: dpa
Ganz mies ist die Lage in Griechenland: Mit einem Wert von -9,8 hat Griechenland die schlechteste Kreditwürdigkeit aller 31 untersuchten Staaten. Die Kreditfähigkeit des Landes verfällt weiter und zwar deutlich schneller als die aller anderen Euro-Länder. Die Wiedererlangung der griechischen Kreditfähigkeit ist nicht absehbar, die Ampel steht auf dunkelrot. Quelle: dpa
Eine negative Überraschung kam in diesem Jahr aus dem Norden Europas: Belgien und Finnland weisen im ersten Halbjahr 2013 erstmals eine abnehmende Kreditfähigkeit auf. Da beide Länder noch über Auslandsvermögen verfügen, ist die Schuldentragfähigkeit allerdings noch nicht unmittelbar bedroht, die Ampel zeigt gelb-rot. Der CEP-Default-Index liegt im Falle Belgiens bei -0,5, bei Finnland beträgt er -0,1. Ein negativer Wert kann auf zwei Arten entstehen: 1. Die Nettokapitalimporte übersteigen die kapazitätssteigernden Investitionen. Das Land konsumiert über das im Inland erwirtschafteten Einkommen auch einen Teil des Nettokapitalimports. Die Volkswirtschaft verschuldet sich folglich im Ausland, um Konsumausgaben finanzieren zu können. 2. Kapital verlässt das Land, so dass der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo positiv ist. Gleichzeitig jedoch schrumpft der Kapitalstock. Das Land verarmt. Quelle: dpa

Wie können Länder wie Portugal oder Griechenland von ihren hohen Schulden runterkommen? Der Schuldenstand Portugals beläuft sich derzeit auf fast 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Der wesentliche Grund, warum die Schuldenquoten trotz massiver Einschnitte bei den Staatsausgaben und höherer Steuersätze bis zuletzt noch gestiegen sind, ist nicht, dass die Schulden rapide zunehmen, sondern dass die nominale Wirtschaftsleistung so schwach ist. Wir brauchen deshalb eine Geldpolitik, die eine Deflation vermeidet und es der Wirtschaft ermöglicht, wieder normal zu wachsen. Dann kann auf Dauer auch die Schuldenquote abnehmen.

Konkret, bitte: Wie können diese Länder ihre Schuldenquoten verringern?   

Die Länder haben schon kräftig gespart, weit mehr als Deutschland zu Zeiten der Agenda 2010. Bereinigt um rein konjunkturelle Effekte sind die Staatshaushalte saniert. Was wir jetzt noch brauchen ist ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das hat Draghi eingeleitet. Das reale Wachstum kommt in Gang. Wir sehen in Spanien bereits ein Tempo, das möglicherweise bald Deutschland erreicht oder möglicherweise übertrifft.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%