Berichtssaison an der Börse Wie Anleger eine Bilanz entschlüsseln

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Cashflow - nur Bares ist Wahres

Cashflow: In der Kapitalflussrechnung erfahren Anleger, wie viel Geld tatsächlich reinkommt

Cashflow - die Kapitalflussrechnung

Es gibt jedoch auch weitere Zahlen in den Jahresabschlüssen, die völlig frei von Schätzungen oder merkwürdigen Bereinigungen sind. Dazu zählt zum Beispiel die Kapitalflussrechnung, von Fachleuten als Cashflow-Rechnung bezeichnet. Hier geht es schlicht darum, anhand der realen Zahlungsströme abzubilden, wie viel Geld das Unternehmen eingenommen und ausgegeben hat. Eine Binsenweisheit lässt sich hier überprüfen: Nur wenn ein Unternehmen dauerhaft mehr einnimmt, als es ausgibt, ist es überlebensfähig.

Wo stehen die Cashflow-Zahlen?

Wie viel Geld bei einem Unternehmen tatsächlich reinkommt, steht in der Kapitalflussrechnung unter den Zwischensummen zum Cashflow. Zum operativen Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit kommt noch der Cashflow aus Investitionstätigkeit - etwa Investitionen in oder Verkäufe von Sachanlagen - und der Cashflow aus Finanzierungstätigkeit - etwa der Begebung oder Tilgung von Anleihen oder Krediten. Aus den drei Größen lässt sich der sogenannte Free Cashflow berechnen. Er gibt an, was tatsächlich am Ende in der Konzernkasse landet und für weitere Ausgaben zur Verfügung steht.

Worauf Anleger achten müssen

Ist der Cashflow negativ lebt ein Unternehmen über seinen Verhältnissen - und zehrt unweigerlich seine Reserven - sprich Eigenkapital - auf. Zwar kann der Cashflow durchaus kurzfristig mal ins Minus rutschen, geschieht dies auf Dauer, ist jedoch die Insolvenz unausweichlich.

Die Kapitalflussrechnung hält DSW-Chef Tüngler deshalb für immens wichtig. „Auch ein Unternehmen kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Nur wenn Anleger sich auch den Cashflow genauer ansehen, können sie erkennen, ob ein Unternehmen überhaupt über genügend Geld verfügt, um eine Dividende an die Aktionäre zu zahlen. 2011 hatten wir im Dax sechs Unternehmen, die ihre Ausschüttungen ganz oder teilweise aus dem Eigenkapital finanzierten. Das ist gefährlich, denn solche Unternehmen leben von ihrer Substanz.“

Beispiele für Cashflow-Veränderungen

In der Kapitalflussrechnung von ThyssenKrupp lässt sich erkennen, dass sich die Einnahmenseite allmählich bessert, obwohl der Stahlkonzern noch einen Nettoverlust (Jahresfehlbetrag) von 1,5 Milliarden Euro ausweisen musste. Denn zumindest der operative Cashflow erreichte mit 786 Millionen Euro endlich wieder einen positiven Wert - nach einem Minus von 386 Millionen Euro im Vorjahr. Auch im Bereich der Investitionen gab der Konzern nicht mehr soviel aus wie im Vorjahr. Der negative Cashflow sank hier von -1,3 Milliarden Euro auf nur noch -190 Millionen Euro, die zuviel ausgegeben wurden. Damit erreichte ThyssenKrupp wieder einen freien Cashflow von knapp 600 Millionen Euro, die in der Kasse übrig blieben. Entsprechend findet sich in der Kapitalflussrechnung unter "Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente" - also den liquiden Geldern - ein deutlich höherer Wert als im Vorjahr. Sie stiegen von 2,3 auf 3,8 Milliarden Euro.

Das Hauptproblem jeder Bilanz aus Anlegersicht: Ohne Prognosen und Schätzwerte kommt eine Bilanz nicht aus. Zudem hat der Unternehmenswert, der aus einer Bilanz hervorgeht, nur teilweise etwas mit der Börsenbewertung gemein. Meist liegen beide Werte weit auseinander. So hat beispielsweise der Stahlkonzern ThyssenKrupp, der seinen Konzernabschluss bereits vorgelegt hat, eine Bilanzsumme von 35 Milliarden Euro, ist aber an der Börse nur mit rund 20 Milliarden Euro bewertet. Allein der Umsatz betrug im abgelaufenen Geschäftsjahr mehr als 38 Milliarden Euro.

Insgesamt rechnet Tüngler vom DSW in der laufenden Berichtssaison mit robusten Jahresabschlüssen. Von der guten Stimmung in Wirtschaft und an der Börse sollten sich Anleger aber nicht blenden lassen, mit Rekordzahlen sei nicht zu rechnen. „Es müssen auch nicht immer die besten Zahlen sein, aber es müssen gute Zahlen sein“, mahnt Tüngler. Viele Anleger hätten sich in den vergangenen Wochen sorgenvoll an die DSW gewandt, obwohl oder gerade weil sie auf solide Zahlen hoffen.

Nachdem die aufgelaufenen Gewinne in ihren Depots ihnen seit langem mal wieder viel Freude an ihren Investments bescheren, fürchten sie nun das gestiegene Rückschlagpotenzial. Die Anleger haben aus den Krisen der vergangenen zwölf Jahre offenbar etwas gelernt: Auch die schönsten Bäume wachsen nicht in den Himmel. Anlegern ist der genaue Blick in die Geschäftsberichte daher nur dringend zu empfehlen.

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