Bilanzen unter der Lupe Wie Dax-Unternehmen ihre Bilanzen aufpumpen

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Aktien sind weniger günstig als es scheint

Neben dem KGV spielt das Kurs-Buch-Verhältnis (KBV) die zweite wichtige Geige bei der Fundamentalanalyse der Märkte. Dieser Buchwert ist der rechnerische Vermögensanteil des Aktionärs an seinem Unternehmen. Aktuell gestehen Investoren allen Dax-Unternehmen im Durchschnitt schon eine 70-prozentige Prämie auf den Vermögenswert zu. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt deshalb bei 1,7. Eine Komplettabwertung des Goodwill ließe das KBV um zwei Drittel auf den enormen Faktor von 2,8 steigen. Solche Prämien gestehen Anleger bestenfalls stark wachsenden Technologieunternehmen zu, aber nicht den vielen trägen Dax-Konzernen. „Diese erhebliche Veränderungen, so hat man den Eindruck, haben viele Investoren nicht auf dem Radar“, sagt Leibfried.

Weil bis auf wenige Ausnahmen Vermögensverwalter und Fondsmanager in erster Linie schematisch Zahlen durchforsten, ohne deren Qualität zu prüfen, oder, schlimmer noch, Computer-Programme über Aktienkäufe entscheiden lassen, ist es für Vorstände ein Leichtes, Anleger über den Impairment Test zu täuschen, um so höhere Gewinne und ein höheres Eigenkapital auszuweisen. Fehlerhafte Bilanzierung erfasst keines der von Großinvestoren eingesetzten Terminals und schon gar nicht irgendein Algorithmus.

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Denn viele Unternehmen greifen in die Trickkiste, sobald eine Einheit Abschreibungsbedarf hat. Ein Weg ist, den Zeitraum, der die Basis für die im Test verwendeten Planzahlen bildet, zu strecken. Gasehersteller Linde etwa verschob im schwierigen Jahr 2009 den Planungszeitraum einfach um ein Jahr auf 2014. Beliebt ist auch der Dreh, schwach laufende Geschäfte in der einen Einheit mit gut laufenden in einer anderen neu zusammenzufassen: In diesem Jahr böte sich an, schlechtere Verkäufe in Russland mit dem besser laufenden Geschäft in der Türkei oder das mies laufende Rüstungs- mit dem besseren Automotivegeschäft zu verknüpfen. So änderte beispielsweise die Deutsche Telekom im Jahr 2012 die Zuordnung ihrer Geschäftseinheiten. Ob damit eine noch höhere Goodwill-Abschreibung vermieden werden sollte, ist jedoch selbst für Fachleute wie Sellhorn „nicht zu erkennen“. „Keine Chance“, deshalb Manipulationen zu enttarnen, sieht auch Bilanzexperte Brösel. „Ganz generell ist eine Änderung der Strukturen bei den Geschäftseinheiten“ aber ein Grund, „genau hinzuschauen“, sagt DPR-Vizepräsidentin Thormann.

Analysten reagieren zu spät

Getäuscht würden damit nicht nur Aktionäre, sondern auch Gläubiger. So können Abschreibungen auf den Goodwill dazu führen, dass Unternehmen Vereinbarungen brechen, die sie Kreditgebern oder Eigentümern von Anleihen gegeben haben. Beim Stahlzulieferer SKW Stahl-Metallurgie etwa fiel vor Monatsfrist nicht nur der Aktienkurs binnen eines Tages um gleich 60 Prozent. Impairment Tests zum 30. Juni 2014 hatten „außerordentliche Wertberichtigungen in voraussichtlicher Höhe von 84 Millionen Euro“ ergeben, was auch einen Bruch von Kreditbedingungen mit Banken auslöste; die Geldinstitute stellten dem bayrischen Unternehmen trotz eigentlich nicht mehr haltbarer Finanzkennzahlen die Darlehen aber noch nicht fällig, sondern gewährten eine Gnadenfrist bis zum 30. September.

Eine Gnadenfrist könnte auch bei jenen Vorständen beginnen, die mit jeder Abschreibung einräumen müssen, Aktionärsvermögen verschleudert zu haben. „Eine Goodwill-Abschreibung birgt immer auch die Gefahr eines Reputationsverlustes für das Unternehmen und das Management“, so Sellhorn, „daher wird oft versucht, sie dem Kapitalmarkt als Neuanfang zu verkaufen und den Eindruck einer gescheiterten Akquisition zu vermeiden.“

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