Bilanzen unter der Lupe Wie Dax-Unternehmen ihre Bilanzen aufpumpen

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Bei Abschreibung droht Kapitalerhöhung

So geht's den Dax-Konzernen wirklich

Letzteres kommt regelmäßig bei Verkäufen von Tochtergesellschaften vor. Bei der Deutschen Telekom etwa radierten Abschreibungen auf den Goodwill vor drei Jahren 3,1 Milliarden Euro aus. Als wieder mal die Tochter T-Mobile USA verkauft werden sollte, mussten die Bonner den wahren Wert ihrer Tochter offenlegen und einräumen, dass der Buchwert in der Bilanz massiv höher als der wirkliche Gegenwert war. Solche Abschreibungen bei der Telekom sind schon Legende. Einst machte die Goodwill-Position enorme 40,6 Milliarden Euro aus. Bis heute sind davon noch 14,6 Milliarden Euro übrig. Obwohl die Telekom bei Zukäufen auch munter Goodwill wieder zubuchte. So stockte 2013 der Erwerb des regionalen US-Mobilfunkanbieters MetroPCS für sich betrachtet den Goodwill um 955 Millionen Euro auf. Alles in allem summieren sich die Abschreibungen auf nicht fassbares Vermögen in der Telekom-Bilanz – neben dem Goodwill sind das zum Beispiel Mobilfunklizenzen – allein in den Jahren 2011 bis 2013 auf fast 23 Milliarden Euro. Effekt: Kumuliert schrieb die Telekom binnen drei Jahren vier Milliarden Euro Verlust; und die Eigenkapitalquote sackt immer weiter ab – auf nur noch 27,1 Prozent. Eine Kapitalerhöhung ist da nicht mehr fern, legt sich die Telekom doch selbst als untere Marke 25 Prozent.

Wie Goodwill entsteht (für eine komplette Ansicht bitte anklicken)

Das drückt auf den Kurs: Während der Dax in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent zulegte, liegen T-Aktionäre im Minus. Kein Wunder, dass bei Schreckenszahlen Unternehmen wie die Telekom versuchen, Anlegern lieber Gewinndaten zu verkaufen, für die es keine Vorgaben gibt. Insgesamt geht es nicht nur bei der Telekom, sondern bei vielen Unternehmen um große Zahlen und viel Aktionärskapital: 217 Milliarden Euro Goodwill haben allein die 30 Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex inzwischen aufgetürmt – 173 Prozent mehr als zum Ende des Jahres 2000. Das entspricht 35 Prozent des gesamten Eigenkapitals der Dax-Unternehmen (siehe Chart) oder rund 20 Prozent ihres aktuellen Börsenwerts. Bei einer Komplettabwertung müssten die Dax-Unternehmen ihr Eigenkapital um gut die Hälfte erhöhen, um auf den alten Stand zu kommen. Auch ohne prophetische Gaben kann jeder voraussagen, dass dies die Kurse massiv unter Druck bringen würde.

Der Goodwill der Dax-Unternehmen

Bei der Mehrzahl der Dax-Unternehmen drohen Gefahren, weil der Goodwill entweder eine große Rolle in der Bilanz spielt oder nie vernünftig abgewertet worden ist. Wo die Finanzchefs aggressiv vorgehen und hohe Abschreibungen möglich sind, das hat die Universität St. Gallen exklusiv für die WirtschaftsWoche analysiert. Die Bilanzexperten durchforsten für die WirtschaftsWoche Jahr für Jahr die Geschäftsberichte der Dax-30-Unternehmen. Das Ergebnis der neuesten Untersuchung: „Die Milliardenrisiken aus Übernahmen steigen beinahe unaufhaltsam“, so Leibfried.

Alarmstimmung bei Experten

Inzwischen sind deshalb alle ernst zu nehmenden Bilanzexperten alarmiert: Da die Manager selbst den Goodwill bestimmen und dessen Werthaltigkeit nach selbst vorgegebenen Parametern testen, sehen Wissenschaftler jede Menge Spielraum, um die Zahlenwerke zu schönen, bis an den Rand der Manipulation. Und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung in Berlin (DPR), die regelmäßig Geschäfts- und Quartalsberichte an deutschen Börsen notierter Unternehmen unter die Lupe nimmt, äußert einen schlimmen Verdacht: Erst die dramatische Bilanzregeländerung im Jahr 2004 könnte viele Vorstände dazu gebracht haben, riskante Übernahmen anzugehen. Grund: Da der Goodwill nicht mehr regelmäßig abgeschrieben wird, gibt es keinen negativen Einfluss auf den Gewinn mehr. „Der vorsichtige Kaufmann schreibt ab, doch seit die Bilanzregeln keine regelmäßig Abwertung mehr fordern, passiert kaum noch etwas“, so Leibfried. Die Vorstände können so Fehlgriffe bei Übernahmen lange Zeit vor der Öffentlichkeit kaschieren, sie kassieren deshalb regelmäßig mehr variables, von Gewinnen abhängiges Gehalt oder Boni als ihnen eigentlich zustünde.

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