Aufsehen erregt, dass es seit einem Jahr in den USA nicht börsennotierten Unternehmen wieder erlaubt ist, ihre Firmenwerte regelmäßig abzuschreiben, und es Überlegungen gibt, dies auch wieder für an den Börsen gehandelte Unternehmen einzuführen. Die Analysten der unabhängigen Schweizer Independent Credit View (ICV) haben aktuell ermittelt, dass Europas Banken 1044 Milliarden Euro an Kapital benötigen. Diese Megasumme kommt unter anderem deshalb zustande, weil die ICV-Analysten keinen Euro an Goodwill für werthaltig halten. Und in Japan haben die Bilanzregulatoren erst Ende Juli ein neues Papier zum Bilanzrecht vorgelegt: Goodwill, so heißt es unter anderem darin, sollte regelmäßig linear abgeschrieben werden, „maximal über 20 Jahre“.
Tokio ist nur scheinbar weit. Bei den Finanzmanagern in Paris, München oder Mailand löst aktuell die European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) große Aufregung aus. „Dieses für die Übernahme der Bilanzregeln IFRS in Europa entscheidende Gremium hat sich nun auch öffentlich klar dafür ausgesprochen, wieder zu regelmäßigen Goodwill-Abschreibungen zurückzukehren“, so Leibfried. Zu den wesentlichen Aufgaben der Efrag gehört die Beratung der EU-Kommission im Rahmen der Umsetzung von Bilanzregeln in der Europäischen Union. Gemeinsam mit dem Accounting Standards Board Japan und der Organismo Italiano di Contabilità hat sie ein gut 50-seitiges Pamphlet verfasst mit dem provakanten Titel: Sollte Goodwill nicht getilgt werden? (Should Goodwill still not be amortised?) Noch bis Ende nächster Woche haben Investoren, Wirtschaftsprüfer und Unternehmen Zeit, dazu Stellung zu beziehen.
Druck der Bilanzwächter
Solange eine regelmäßige Tilgung der Firmenwerte noch nicht obligat ist, so lange legt die Berliner DPR, vulgo Bilanzpolizei, ihr Hauptaugenmerk auf den Bilanzposten Goodwill. Zu Recht. Denn dort fanden die Prüfer seit Gründung der DPR im Juli 2005 bisher die meisten Falschbilanzierungen.
Bilanzbegriffe und was sie bedeuten
HGB steht für Handelsgesetzbuch. Nach dessen Vorschriften müssen Unternehmen in Deutschland ihren Jahresabschluss vorlegen. Der Abschluss nach HGB ist für die auszuschüttenden Dividenden und die Steuerrechnung maßgeblich. Die internationalen Rechnungslegungsstandards nach IFRS, nach denen große Kapitalgesellschaften ihre Konzernbilanz aufstellen müssen, orientieren sich eher an den amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften nach US-GAAP. Die internationalen Regeln machen Konzernabschlüsse grundsätzlich besser vergleichbar, folgen aber anderen Grundsätzen, zum Beispiel bei der Bewertung von Unternehmenskäufen oder anderen Vermögenswerten. Leider werden die IFRS-Regeln deutlich häufiger vom International Accounting Standards Board (IASB) geändert, als dies bei den HGB-Vorschriften im deutschen Rechtsystem der Fall ist.
Die in eine Unternehmung eingebrachten (investierten), auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesenen Vermögenswerte, vor allem Grundstücke, Gebäude, Maschinen und maschinelle Anlagen, Beteiligungen, Vorräte, Forderungen etc. Grundsätzlich sind die Unternehmen verpflichtet, entgeltlich erworbene Vermögenswerte zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren. Der Wertminderung unterliegende Vermögensteile müssen während ihrer Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Die Aktivseite informiert über die Mittelverwendung, also in welchen Werten das beschaffte Kapital investiert ist. Aus der Zusammensetzung der Aktivseite können – begrenzt – Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmung gezogen werden, bei Gegenüberstellung zur Passivseite gegebenenfalls auch auf die Zahlungsbereitschaft.
Die auf der rechten Seite der Bilanz stehenden Bilanzpositionen, im Wesentlichen Eigenkapital und Verbindlichkeiten. Die Passivseite der Bilanz zeigt die Quellen, aus denen ein Unternehmen finanziert wird.
Die Umsatzrendite beschreibt das Verhältnis von Gewinn und Umsatz eines Unternehmens. Sie beschreibt, welchen Teil des Umsatzes das Unternehmen als Gewinn verbuchen kann. Der Gewinn eines Unternehmens ist jedoch Schwankungen unterworfen (z.B. Branchenabhängigkeit, Produktabhängigkeit), die eine genaue Bestimmung der Rentabilität erschweren können. Die Umsatzrendite eignet sich vor allem für unternehmensinterne Vergleiche. Sie gibt Aufschluss darüber, welche Rendite die verschiedenen Geschäftsbereiche eines Konzerns erwirtschaftet haben.
Der Bestand an Kapital einer Unternehmung kann aus zwei Quellen zugeführt worden sein: Vermögen der Eigentümer durch: Einzahlung der Unternehmer, Einbehaltung angefallener Gewinne, also Selbstfinanzierung; Vermögen Dritter. Eigenkapital in weitester Deutung sind sämtliche den Gläubigern einer Unternehmung haftenden Mittel, also auch z.B. das Privatvermögen eines voll haftenden Gesellschafters. In engerer Fassung wird unter Eigenkapital das bilanzielle Eigenkapital verstanden, das als Residualgröße aus den übrigen Positionen der Bilanz ermittelt werden kann, wodurch sich die Abhängigkeit des Kapitalausweises von den Bewertungen der Bilanzposten erklärt. Rechnerisch ergibt sich seine Höhe aus der Gleichung: Eigenkapital = Vermögen (Aktivseite der Bilanz) – Schulden – Einlageneinbehaltene Gewinne – Entnahmen – eingetretene Verluste
Die Eigenkapitalquote beschreibt die Beziehung zwischen Eigen- und Gesamtkapital. Dazu wird das auf der Passiva-Seite einer Bilanz ausgewiesene Kapital ins Verhältnis zur Bilanzsumme gesetzt. Je mehr Eigenkapital ein Unternehmen zur Verfügung hat, desto besser ist in der Regel die Bonität eines Unternehmens, desto höher ist die finanzielle Stabilität und desto unabhängiger ist das Unternehmen von Fremdkapitalgebern. Da Eigenkapital jedoch teurer ist als Fremdkapital belastet eine hohe Eigenkapitalquote die Rendite auf das eingesetzte Kapital.
Als Dividende bezeichnet man den Anteil am Gewinn, der je Aktie vom Unternehmen ausgeschüttet wird. Die Hauptversammlung beschließt nach dem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat über die Höhe. Die Dividende ist immer vom Bilanzgewinn abhängig und kann daher schwanken oder auch ganz ausfallen, etwa wenn die Ertragslage schlecht ist. Sie kann sogar aus den Rücklagen finanziert werden, wenn die Unternehmensgewinne nicht ausreichen.
Die Equity-Methode kommt bei der Bilanzierung von Unternehmensbeteiligungen zum Einsatz, an denen der Konzern weniger als 50 Prozent der Anteile hält. Dabei wird der Umfang der Beteiligung am Eigenkapital der Beteiligungsgesellschaft als Grundlage genommen, um den bilanziellen Anteil an Vermögenswerten in der Konzernbilanz abzubilden. Die wesentliche Größe ist dabei der anteilige Anspruch auf den Gewinn, der dem Konzern aus der Beteiligung zusteht. 100-prozentige Tochterunternehmen sind in einer Konzernbilanz hingegen unsichtbar, weil sie in den regulären Bilanzposten enthalten sind.
Während nach HGB in vielen Fällen die Anschaffungskosten von Finanz- und Sachanlagen in die Bilanz einflossen, fordert die Bilanzierung nach IFRS vorrangig eine Bewertung, die sich an den Marktpreisen orientiert. Existiert für diese Vermögenswerte kein Markt, wird der Bar- oder Zeitwert einer Vermögensposition durch die abgezinsten, monetären Vorteile, die dem Konzern bis weit in die Zukunft daraus erwachsen, durch finanzmathematische Verfahren und aufgrund von Schätzungen im Finanzplan ermittelt. Diese Bewertung nach Fair Value soll ein realistischeres Bild von Vermögenswerten liefern, als die puren Anschaffungspreise.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Latente Steuern sind noch nicht entstandene Steuervor- und nachteile. Zumeist sind sie in nennenswerter Höhe unter den Aktiva einer Bilanz zu finden. Dabei handelt es sich überwiegend um sogenannte Verlustvorträge, die einer Steuerersparnis entsprechen. Macht ein Unternehmen Verlust, erwartet aber in Zukunft wieder Gewinne, können die bereits entstandenen Verluste die Steuerlast in den kommenden Jahren mindern. Die dann zu erwartende Steuerersparnis können Konzerne laut IFRS als Vermögenswert in der Bilanz ansetzen. Diese verbessern das Konzernergebnis, obwohl sie davon abhängen, dass ein Unternehmen den Weg in geplantem Umfang zurück in die Gewinnzone schafft. Passive latente Steuern sind entsprechend Steuerschulden, die erst in der Zukunft entstehen. Macht ein Konzern Verlust, bilanziert aber keine aktiven latenten Steuern, bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Wirtschaftsprüfer nicht an einen Rückkehr in die Gewinnzone glaubt.
Im Zuge einer Unternehmenssanierung trennen sich Konzerne oftmals von ganzen Geschäftsbereichen. Um dem Leser einer Bilanz möglichst große Transparenz zu bieten, werden zum Verkauf stehende Geschäftsbereiche gesondert in der Bilanz aufgeführt. Damit wird die Bilanz um Unternehmensteile bereinigt, die in Zukunft wegfallen sollen. Gelingt der Verkauf jedoch nicht, kann das aber auch revidiert werden. Dann fließen die Bilanzgrößen der nicht fortgeführten Geschäftsbereiche zurück in die Bilanz.
Kapital- und Gewinnrücklage unterscheiden sich in der Art ihrer Entstehung. Die Gewinnrücklage speist sich aus den Jahresüberschüssen der Vorjahre und sind quasi das Sparschwein eines Unternehmens. Die Kapitalrücklage hingegen speist sich aus Einzahlungen der Gesellschafter. Insbesondere für Mittelständler sind Kapitalrücklagen ein Steuersparmodell für die Eigentümer. Wie eine Schenkung an das Unternehmen lassen sich Gelder in der Bilanz parken, auf Beschluss der Eigentümer und er Geschäftsführung jedoch auch wieder auflösen. Aktienrückkäufe, wie sie zur Kurspflege derzeit bei vielen Börsenunternehmen beliebt sind, speisen sich zumeist aus Gewinn- und Kapitalrücklagen. Werden sie aus dem Handel genommen, senken sie in Höhe ihres Nominalwertes das gezeichnete Kapital, dass unter den Passiva zum Eigenkapital des Konzerns zählt.
Hinter den sperrigen Begriffen verbirgt sich nichts anderes, als das flüssige Geld in der Unternehmenskasse. Hierzu zählen insbesondere die jederzeit verfügbaren liquiden Mittel auf Firmenkonten, aber auch andere Zahlungsmittel breiter Akzeptanz, zum Beispiel Goldmünzen, oder Wertpapiere.
Spektakulär ist unter anderem Adidas. Binnen zwei Jahren kassierte der Sportartikelkonzern jeweils eine Rüge von der DPR. Adidas hatte den Werthaltigkeitstest des Goodwill zunächst unerlaubterweise für Einheiten durchgeführt, die größer waren als die ansonsten in der Bilanz gezeigten Segmente. Später mussten die Herzogenauracher einräumen, dass 2011 in der Summe mehrerer Fehlbilanzierungen der Gewinn je Aktie um 27 Cent zu hoch ausgewiesen war. 2012 rang sich Adidas erstmals zu Wertberichtigungen durch, vor allem auf die 2005 für 3,8 Milliarden Dollar übernommene US-Tochter Reebok – nicht besonders wagemutig ist der Verdacht, dass dies auf Druck der Bilanzwächter geschah. Der Effekt der Abschreibungen über 265 Millionen Euro war ein nicht erwarteter Gewinneinbruch. Und auch für das laufende Geschäftsjahr könnte eine Abwertung drohen, nachdem Adidas im Sommer vor schwachen Geschäften unter anderem in Russland und in der Golfsparte warnte. Nach wie vor weist Adidas 1,2 Milliarden Euro Goodwill aus.
Kein Wunder, dass sich auch dieses Jahr die Berliner Prüfstelle auf den Goodwill Impairment Test, den Werthaltigkeitstest, konzentriert. Beim Impairment Test werden einzelne Geschäftseinheiten unter die Lupe genommen. Zeigt sich bei einer Geschäftseinheit, dass die ursprünglich angesetzten Annahmen über Ertrag, Cash-Flow oder Kapitalkosten zu optimistisch waren, muss eine Abwertung erfolgen – in der Theorie. Die Konsistenz und Verlässlichkeit der Cash-Flow-Prognosen, die Ableitung von Wachstumsraten und von Zinssätzen sowie „wesentliche Bewertungsprämissen“ stehen bei der DPR auf dem Prüfstand. „Vorsichtig gesagt, werten die Unternehmen seit der Pflichtumstellung auf internationale Rechnungslegungsvorschriften im Jahr 2005 den Goodwill zurückhaltend ab“, sagt Bettina Thormann, Vizepräsidentin der DPR.